Presseschau vom 24. September 2016 – Der Chefdramaturg des Münchner Residenztheaters widerspricht der Kritik am Intendanten-Modell des deutschen Theaters
Groteskes Bild gerade gerückt
Groteskes Bild gerade gerückt
24. September 2016. "Art but fair" und ihre Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen für darstellende Künster*innen, Shenja Lachers Kündigung wegen der autokratischen Strukturen am Residenztheater, Rolf Bolwins komplettes Unverständnis für die Forderungen der Schauspieler*innen nach Teilhabe – all das und noch einiges mehr ruft den Chefdramaturgen des Münchner residenztheaters auf den Plan. Sebastian Huber reibt sich die Augen über diese ganz und gar unzutreffende Kritik. In der Süddeutschen Zeitung (24.9.2016) antwortet er den Kritikern und wir fassen seinen bemerkenswerten Text zusammen.
Nach guter Väter Sitte beklagt der Chefdramaturg des Münchner Residenztheater in seinem Text für die Süddeutsche Zeitung (24.9.2016) erst einmal WIE diese Debatte geführt wird. "Einige Beiträge" zeichneten ein "groteskes, von Gestrigkeit, Feudalismus bzw. Diktatur geprägtes Bild großer kultureller Institutionen", das "dringend" nach "Korrektur" verlange.
Cui bono, wem nützt es?
Es sei nicht zutreffend, dass die relevanten Konfliktlinien in den derzeitigen "kulturpolitischen Auseinandersetzungen" zwischen "Intendanten und Schauspielern, dem Theater von heute und dem von morgen, Dramaturgen und Kuratoren" verliefen. Man müsse schauen, wer ein Interesse daran habe, dass "kulturell arbeitende Menschen" sich diese falschen Alternativen "aufzwingen", fragt hübsch verklausuliert Huber weiter und verzichtet - bedauerlicherwiese - darauf, diese Interessierten zu nennen. Immerhin legt er nahe, dass es sich dabei um jene Leute handelt, die die Kultureinrichtungen seit Beginn der neuenziger Jahre kontinuierlich abbauen und also "gesellschaftlichen Besitz" leichtfertig aufs Spiel setzen.
Shenja Lacher, der neoliberale Avantgardist
Dann knöpft er sich die einzelnen Kritiker am bestehenden Intendantensystem vor. Shenja Lacher sei ein Beispiel für Schauspielerinnen und Schauspieler "ab Mitte dreißig", die sich in den "Institutionen einen Namen gemacht" hätten und darauf "frei" zu arbeiten wünschten, weil sie mit lukrativen (- das Wort benutzt Huber nicht) Drehangeboten und Gastanfragen rechnen dürften. Es sei dies ein weiteres Beispiel dafür, wie Künstler in Sachen "neoliberale Entwicklungen, - Stichworte: Ich-AG, Entsolidarisierung und Prekarisierung - eine gesellschaftliche Vorreiterrolle" spielten.
Er, Huber, habe in Gesprächen mit Schauspieler*innen immmer wieder festgestellt, dass sie zwar unzufrieden seien, aber beredt schwiegen, wenn er sie auf die viel schlechteren "Arbeitsbedingungen ihrer Kollegen in vielen europäischen Ländern hingewiesen" habe. "Ohne die Leistungen dieser Kollegen und die wunderbaren Momente mit ihnen schmälern zu wollen: In aller Regel verdanken sich ihre Karrieren den Institutionen, über die sie bisweilen so leichtfertig reden." Feste Ensembles seien in Wirklichkeit "Chancen-Maschinen".
Soziale Absicherung durch Ensembles
Im Hinblick auf die soziale Situation und die beschriebenen Karrierechancen böten die Häuser mit festen Strukturen den künstlerisch Beschäftigten die größte Sicherheit. So könne man es auch in der von Art but fair gemeinsam mit der gewerkschaftsnahen Hans Böckler-Stiftung erstellten Studie (auf Seite 34) lesen: "Die besten Arbeitsbedingungen haben dauerhaft angestellte Künstler."
Auch vor Missständen wie "zu geringer Vergütung, unbezahlter Leistungserbringung, Altersarmut, unsicherer Beschäftigungssituation, Unvereinbarkeit von Familie und Beruf, Nichteinhaltung gesetzlicher Vorschriften und vertraglicher Vereinbarungen, unlauterer Vorteilsgewährung und sexueller Belästigung" - wie sie in der Internetbefragung, die dieser Studie zugrunde liege, zu Tage gefördert worden seien - fühlten sich Ensemblemitglieder "deutlich besser geschützt fühlen als freischaffende bzw. zeitweise angestellte Künstler".
Zu Christopher Balmes Kritik am Intendanten-System
Der Feudalismus-Vorwurf werde noch überboten von Christopher Balmes These: "Die "Allmacht" der Intendanten rühre von der an Diktaturen reichen deutschen Geschichte her". Das gerade Gegenteil sei mindestens ebenso wahr. Die "Beschneidungen der Intendantenmacht" ließen sich "mit Sicherheit" ebenso aus "den Erfahrungen der deutschen Geschichte" herleiten.
Die wirkliche Wirklichkeit
"Aus der Nähe betrachtet", schildert Huber das wirkliche Idyll in deutschen Theaterhäusern, sorge sich der Intendant um die "Einhaltung gesetzlicher Vorschriften", verhandele mit dem Personalrat, wie man "daneben auch noch die Unwägbarkeiten künstlerischer Produktion" ermöglichen könne. Er verlasse sich "auf die Expertise seiner Mitarbeiter" und wisse "ein waches Ensemble an seiner Seite", das er "regelmäßig" treffe, um "die Bedürfnisse der Darsteller möglichst gut zu kennen und für ein Arbeitsklima zu sorgen, in dem künstlerische Hochleistungen erbracht werden können". Denn "ängstlich, eingeschüchtert oder maulfaul" sei keiner der Gegenüber des Intendanten. Auch nicht das Schauspielensemble. Im Gegenteil. "Ausländische Regisseure" seien häufig verwundert oder erschreckt über "die Autonomie und den selbstverständlichen Anspruch an Mitsprache, die deutsche Schauspieler in den künstlerischen Prozess zu tragen gewohnt sind".
(jnm)
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