Tut mir leid!

von Georg Kasch

Berlin, 11. Oktober 2016. Das mit dem Herbst tut mir leid. Der ist dieses Jahr so kalt, so windig geraten und er kommt viel zu früh. Im September hatte es angenehme Temperaturen, man konnte Baden bis weit in den Monat hinein, die Sonne strahlte. Und nun? Alles dahin. Da stimmt doch was nicht. Da muss einer schuld sein. Warum nicht ich?

Nennenswerte Schäden

Am Wirbelsturm Matthew sind schließlich die "teuflischen Sodomiten" schuld, meine Brüder im Geiste. Andrew Bieszad sagt das, er muss es wissen. Er ist katholischer Religionswissenschaftler und freut sich, dass wegen des Hurrikans, der heißt wie einer der vier Evangelisten, die Pride-Paraden in Savannah und Orlando abgesagt werden mussten. Bieszad ist auch Islamexperte. Deswegen weiß er, dass Muslime eine ordentliche Portion Mitschuld haben: Schließlich sind die in der Tendenz schwul.

kolumne 2p kaschOb Mallam Abass Mahmud das witzig fände? Vermutlich nicht. "Allah ärgert sich sehr darüber, wenn Männer mit anderen Männern Sex haben – dieser Ärger verursacht dann Erdbeben", sagt er. Er muss es wissen, er ist Imam in Ghana. Und außerdem einer Meinung mit Schlomo Benisri, ultraorthodoxer Abgeordneter der Knesset. 2008 wurde Israel von zwei Erdstößen erschüttert, die keine nennenswerten Schäden anrichteten. Benisri war sich sicher: Das war eine Warnung ans Parlament, das gerade mehr Rechte für Schwule und Lesben beschlossen hatte. 

Den Herren zu widersprechen hieße, eine der wenigen Gemeinsamkeiten dieser Erzfeinde zu untergraben. Ich und meinesgleichen sind schon an so vielem schuld, am Massaker von Srebrenica, an Magermodels, am Vogelsterben, an Donald Trumps Frisur und natürlich am Grand Prix, da kann ich nicht auch noch den Nahost-Konflikt befeuern. Tut mir leid.

Am runden Tisch der Weltverschwörung

Wir haben schon in der Nähe zu viel zu tun. Denken Sie an das Millionengrab der Berliner Staatsoper – klar haben da die Homos den Steuerzahler gefoppt. Ich meine, hallo, Oper?!? Oder das Wiener Burgtheater und sein Finanzgebaren: In einer Stadt, die Conchita Wurst hervorgebracht hat, ist es kein Wunder, dass alles drunter und drüber geht. Oder das ewige Hickhack ums Volkstheater Rostock. Ich sag's ihnen im Vertrauen: Das wurde direkt am Runden Tisch der schwulen Weltverschwörung ausgeheckt, weil seinen Mitgliedern die örtlichen Koloraturen nicht glamourös genug war. Und überhaupt: Preise rauf? Auslastung runter? Nachrichten schaurig? Die Zeitung voller Tippfehler? Hund krank? Keiner grüßt? Das Brot fällt immer auf die Marmeladenseite? Mea culpa, mea maxima culpa!

Eine Sache allerdings gestehe ich ungern und auch nur, weil der Papst es längst geleakt hat: Ich bin am Braxit schuld. Angelina Jolie und Brad Pitt, das Traumpaar, Inkarnation des perfekten Bundes, in der sich Schönheit und Geld, Arbeit und Familie aufs Glücklichste verbinden, unberührt von der oberflächlichen Hollywood-Welt, in der sie leben. Der letzte Anker aller Romantiker, die ein Vorbild brauchen, um daran zu glauben, dass die Ehe für immer ist. Außerdem straight allies, die sich dafür einsetzten, dass auch Schwule und Lesben heiraten dürfen. Aber auf so was kann man keine Rücksicht nehmen, wenn es darum geht, die Ehe zu besiegen. Wenn schon Weltkrieg, dann richtig.

 

Georg Kasch, Jahrgang 1979, ist Redakteur von nachtkritik.de. Er studierte Neuere deutsche Literatur, Theaterwissenschaft und Kulturjournalismus in Berlin und München. In seiner Kolumne "Queer Royal" blickt er jenseits heteronormativer Grenzen auf Theater und Welt.

 

Zuletzt hat Georg Kasch hier nach den Landtagswahlen über Mecklenburg-Vorpommerns anti-queeres Coming Out nachgedacht.

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