Presseschau vom 13. Oktober 2016: Die Zeit schreibt über die "Terror"-Verfilmung, die deutsche Verfassung und die Gefahren der direkten Demokratie

Das Hopp-oder-Topp-Prinzip

Das Hopp-oder-Topp-Prinzip

13. Oktober 2016. "Das Volk richtet" ist ein Text von Marie Schmidt in der neuen Ausgabe der Zeit (13.10.2016) überschrieben. Dieser greift die am kommenden Montag im TV ausgestrahlte Ferdinand von Schirach-Verfilmung Terror – Ihr Urteil auf, um über Sinn und Gefahren direktdemokratischer Mitbestimmung im Theater und in der Gesellschaft zu sprechen. "Es findet also eine Art Referendum statt. Uns, dem Volksfernsehzuschauersouverän wird die Entscheidung über den Ausgang einer Gerichtsverhandlung übertragen", schreibt Schmidt.

Von Schirachs Text, der aktuell auf dem Spielplan von mehr als fünfzig deutschen Theatern steht, hatte bereits bei seiner Uraufführung im Herbst 2015 und erneut im vergangenen August für kontroverse Diskissonen gesorgt. Die beiden FDP-Politiker Gerhart Baum und Burkhard Hirsch hatten kritisiert, dass der Text das Publikum zu Richtern in einer Sache mache, "die sie für die Wirklichkeit halten, ohne die eigentliche Konfliktlage erkennen zu können.

In Unwissenheit über dem Gesetz

Auch Schmidt betrachtet den Text, an dessen Ende das Publikum entscheidet, was vor Gericht mit einem Piloten geschieht, der ein Flugzeug mitsamt Insassen abschoss, um "Zehntausende" zu retten, kritisch. Sollte das Publikum entscheiden dürfen, was mit dem Piloten geschieht? Schirach lässt seine Staatsanwältin dafür sprechen, dass "die Normen der Verfassung (..) unter allen Umständen gelten" sollten.

Der entscheidende Unterschied zwischen "der Handlungsebene von 'Terror' und der Logik des Fernsehexperiments" sei der: "Ein Einzelner, wie der fiktive Major Koch, hat selbstverständlich die Freiheit (sogar die moralische Pflicht), über sein Verhältnis zu den Gesetzen nach Wissen und Gewissen zu entscheiden – auf die Gefahr hin, bestraft zu werden." Ein Kolllektiv, ein Volk wiederum schwebe in "gefährlicher Ungewissheit 'über' dem Gesetz", wenn es Entscheidungen über "elementare" Normen auf Basis seines "gesunden Menschenverstandes" treffe. "Das ist die fatale Wirkung solcher Volksabstimmungen, ob darin nun fiktiv oder realpolitisch entschieden wird. Zumal wenn nur zwei Möglichkeiten zur Verfügung stehen: schuldig oder unschuldig?"

Ein solches "Hopp-oder-topp-Prinzip" schwäche letztlich "zentrale Werte" mehr, als "es Terroristen vermögen". Schirach hätte seinen Zuschauern auch die Möglichkeit geben können, "den Major zum Beispiel für schuldig zu erklären, um das Grundgesetz zu wahren, und zugleich das Strafmaß niedrig zu halten, um zu respektieren, dass er seine Verantwortung wahrgenommen hat – diese praktische Lösung steht Ihnen, den Zuschauer-Richtern, nicht zur Wahl".

(sae)

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