Die Biene im Kopf - Roland Schimmelpfennig hat für das Consol Theater Gelsenkirchen sein erstes Kinderstück geschrieben
Insekt fliegt zum Highscore
von Sascha Westphal
Gelsenkirchen, 6. November 2016. Nichts als Widrigkeiten und Gefahren. Wo der namenlos bleibende Junge auch hinkommt, immer muss er mit dem Schlimmsten rechnen. Das beginnt schon zu Hause, in der Wohnung seiner arbeitslosen Eltern. Wenn die gerade einmal nicht schlafen oder fernsehen, rauchen oder Bier trinken, dann schreien sie ihren Sohn an, machen ihm Vorwürfe oder drohen ihm. Und auch in der Schule ergeht es ihm kaum besser. Die Lehrerin mag nett sein, aber durchsetzen kann sie sich nicht. Also ist unser kleiner, einsamer Held den Launen und den Ängsten seiner Mitschülerinnen und Mitschüler mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert. Kein Wunder, dass er oft das Gefühl hat, die ganze Welt habe nur ein Ziel: ihn platt zu machen.
Dieser spezielle Schimmelpfennig-Minimalismus
Roland Schimmelpfennig hat zum ersten Mal ein Stück für Kinder geschrieben und sich dabei auf eine Art Gratwanderung begeben. Natürlich werden die Erwachsenen im Publikum den Autor von Stücken wie "Der goldene Drache" und "Das fliegende Kind" auch in "Die Biene im Kopf" wiedererkennen. Dieser ganz spezielle Schimmelpfennig-Minimalismus, der mit wenigen Worten Situationen umreißt und Welten eröffnet, prägt auch diesen Text, der immer wieder zwischen erzählenden Passagen und direkter Rede hin und her switcht. Überhaupt die Sprache, die hat genau diesen Rhythmus, der selbst Sätze wie "Und die Sonne erscheint rot über dem Dach des Nachbarhauses, neben dem Schornstein und den Antennen" in Poesie verwandeln kann.
Die sprachliche und stilistische Nähe zu seinen Stücken für den Abendspielplan hebt zugleich aber auch den Bruch auf einer anderen Ebene hervor. Der Gedanke an ein junges Publikum ("Die Biene im Kopf" richtet sich an Kinder ab sieben Jahren) scheint Roland Schimmelpfennigs Blick fokussiert zu haben. Statt des großen, von schicksalhaften Verstrickungen erfüllten Panoramas präsentiert er mit diesem Stück eine sehr präzise und zudem noch höchst anrührende Detailaufnahme. Er wie auch die drei Performer, die von den alltäglichen Abenteuern des namenlosen Siebenjährigen erzählen und sie in Bewegungen und Aktionen auflösen, sind ganz nah an dem Jungen dran.
Im Videogame
Das Phantastische, mit dem Schimmelpfennig schon häufiger kokettiert hat, geht eine perfekte Symbiose mit dem Gewöhnlichen ein. Dafür braucht es nur einen kleinen Kniff. Das Leben des Jungen wird zum Computerspiel, in dem er sich in eine Biene verwandeln kann. All die Probleme und Bedrängnisse, denen er immer und überall ausgesetzt ist, bekommen eine neue Bedeutung. Sie verwandeln sich in Level eines Adventure-Spiels, das den findigen Spieler automatisch mit dem Erreichen der nächsten Ebene belohnt. So überhöht Schimmelpfennig die Erlebnisse des Jungen ins Märchenhafte und Poetische und kann doch ganz konkret von sehr realen Problemen erzählen.
Ideal für ein experimentelles Kindertheater
Genau in diesem Spagat liegt der Reiz dieses Auftragswerks der Kunststiftung NRW, durch deren Förderung vor zwei Jahren schon Mein ziemlich seltsamer Freund Walter, das erste Kinderstück von Sibylle Berg, entstanden ist. Während Bergs Text noch von einer eher konservativen Vorstellung vom Kinder- und Jugendtheater zeugte, vereint "Die Biene im Kopf" tatsächlich das Beste zweier Welten.
Auf der einen Seite scheinen die besonderen Anforderungen, die ein Stück für Kinder stellt, eine befreiende Wirkung auf Roland Schimmelpfennig gehabt zu haben. Ein derart leichtes, spielerisches und dabei doch immer auch tiefgründiges Stück hat man schon länger nicht mehr von ihm gesehen. Auf der anderen Seite sind die Dichte seiner Sprache und die Offenheit seines erzählerischen Ansatzes ideal für ein experimentelles Kindertheater. Sie schaffen Freiräume, die sich Andrea Kramer in ihrer Uraufführungsinszenierung am Consol Theater Gelsenkirchen geschickt zu Nutze macht.
Manuel Moser, Eric Rentmeister und Hinnerk Schichta "erzählen und spielen" nicht nur, wie Roland Schimmelpfennig in seinen Regieanweisungen fordert. Sie verwandeln das Stück in eine mitreißende Choreographie. Wenn der Junge sich im ersten Level in eine Biene verwandelt, scheinen die Finger und Hände der drei Performer ein eigenes Leben zu entwickeln. Sie bewegen sich erst stotternd, dann immer rhythmischer auf und ab, bis sie zu einer Anmut finden, in der sich die Flügelschläge einer Biene spiegeln.
Die Körper der drei Spieler sind ebenso wie Schimmelpfennigs Sprache immer im Fluss. Ihre Bewegungen, die mal artistisch sind und mal auf liebevoll ironische Weise die etwas eckigen und ungelenken Animationen älterer Video- und Computerspiele zitieren, entwickeln eine eigene Poesie. Seine Phantasie und seine Bienen-Träume sind für den Jungen eben nicht nur Fluchträume. Sie ermöglichen ihm, auch Selbstbewusstsein zu entwickeln. Und genau dieses Selbstbewusstsein findet seinen Ausdruck in tänzerischen Höhenflügen von Manuel Moser, Eric Rentmeister und Hinnerk Schichta.
Die Biene im Kopf
von Roland Schimmelpfennig
Uraufführung
Regie: Andrea Kramer, Ausstattung: Matthias Winkler, Dramaturgie: Sylvie Ebelt. Mit: Manuel Moser, Eric Rentmeister, Hinnerk Schichta.
Dauer: 50 Minuten, keine Pause
www.consoltheater.de
Kritikenrundschau
Sven Westernströer schreibt auf Der Westen, dem Online-Portal der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (7.11.2016): Bittere Momente habe Schimmelpfennigs Geschichte zwar, doch erzähle der Autor sie mit "Sympathie und Wärme als spannende Abenteuerreise, statt groß Trübsal zu blasen". Andrea Kramer forme aus der "Tragikomödie" "schwungvolles, kurzweiliges Erzähltheater" mit fliegenden Kulissenwechseln, "viel Musik und drei fabelhaft aufspielenden Darstellern". Es gebe keine Atempause, "Schlag auf Schlag wird die Story vorangetrieben". Wenn die drei Schauspieler "einen Kleiderschrank zum Flieger erklären und damit beinahe abheben, dann sind das anrührende, poetische Momente". "Großer Applaus".
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