Döntjes vom besseren Leben

von Falk Schreiber

Hamburg, 10. November 2016. Vor kurzem ist Hamburg seinem Hafen ein Stück näher gerückt. Seit vergangenem Samstag ist die Elbphilharmonie öffentlich zugänglich, und, ja, die Architektur des Konzerthauses ist spektakulär, ja, der Blick von der sogenannten Plaza auf die Elbe nimmt einem den Atem. Nur der Hafen, naja, der sieht beeindruckend aus, aber er ist vor allem Kulisse, für Hochkultur auf der einen, für Immobilieninvestment auf der anderen Seite.

Durchökonomisierter Raum

Zwei Kilometer elbaufwärts hat die MS Stubnitz festgemacht, ein 1964 vom Stapel gelaufenes Kühlschiff, das für die Fischereiindustrie der DDR einst die Gewässer vor der ostafrikanischen Küste leerfischte und seit 18 Jahren mit Konzerten, Performances, Kino und Parties als Kulturschiff von Hafen zu Hafen schippert. Bei ihren regelmäßigen Hamburg-Besuchen bekommt die Stubnitz gnadenhalber den Baakenhafen zugewiesen, ein langsam versandendes Hafenbecken zwischen Brachland und verfallenden Lagerhallen, das seiner Erschließung noch harrt. Aber Vorsicht: Der Hafen ist ein durchökonomisierter Raum, über dessen Verwertung die Hamburg Port Authority mit Argusaugen wacht, ein städtisches Unternehmen, das jeglicher politischen Kontrolle entzogen ist. Kultur darf hier nur fallweise stattfinden, im Zweifel geht die Hafenlogistik immer vor.

Ports 560 FalkSchreiber uDas Schiff, die MS Stubnitz, ist der Star © Falk Schreiber

Aktuell hat die Hamburger Gruppe Geheimagentur für ihr Stück "Ports – vom Recht auf Meer" auf der MS Stubnitz ein Konkurrenzunternehmen gegründet: Die Hamburg Port Hydrarchy (HPH), deren Gebaren ähnlich undurchsichtig ist wie dasjenige ihres städtischen Pendants. Die Geschäftsfelder der HPH sind Paralogistics (die ökonomischen und subökonomischen Verflechtungen der Seefahrt), Cruiseology (Kreuzfahrten und die damit verbundenen Verheerungen), Radical Seafairing (Döntjes vom besseren Leben) und Sky Luck (die magische Grenze der Zwölf-Meilen-Zone); als Zuschauer besichtigt man drei dieser vier Stationen in den verschiedenen Zonen des Schiffs.

Poesie des Anheuerns

Das heißt: Bei der Station Paralogistics wird man per Kopfhörer über die Brücke dirigiert, beim Radical Seafairing schaut man Handkamera-Videos und liebevolle gestaltete Overhead-Projektionen vom Leben jenseits aller Zwänge auf "schwimmenden, autarken Systemen". Mal riecht es nach Gras (informeller Handel!), mal lehnt man sich über die Reling und starrt ins nachtschwarze Wasser (der Horror der Piraterie!), mal tanzt man, und ziemlich häufig hat man nichts zu tun und friert erbärmlich. Eine echte Struktur besitzt der Abend nicht, man zittert eben über die Decks, schaut, wo gerade etwas los ist und nimmt im besten Falle einiges an Information mit.

So zum Beispiel, dass sich in Venedig eine radikale Widerstandsästhetik gegen die zerstörerische Kreuzfahrtindustrie gebildet hat. Oder dass jahrelang die New Imperial Star abends den Hafen von Hong Kong verließ, sich mit Überschreiten der Zwölf-Meilen-Zone in ein schwimmendes Kasino verwandelte, die Nacht über vor der Küste dümpelte und erst am Morgen wieder in die Stadt zurückkehrte.

Ports 560b FalkSchreiber uNorddeutsche Novemberkälte: zitternd an Deck © Falk Schreiber

Wie jede Geheimagentur-Arbeit ist auch "Ports" akribisch recherchiertes Dokumentartheater, und wenn einige Aspekte wie recycelte Elemente aus den früheren Stücken "Parlez!" (2011) und "Ein Kreuzfahrtterminal" (2015) wirken, dann mag man das dem Abend nicht vorwerfen – eine Recherche ist ja nicht weniger Wert, wenn sie mehrfach verwendet wird. Allerdings kann das Stück seine analytische Schärfe diesmal nicht ganz ausspielen: Die Recherche verliert bei aller Anstrengung gegen die schlichte Schönheit des Veranstaltungsortes. In ein altes Schiff wie die MS Stubnitz sind Geschichten eingeschrieben, die Irrwege durch verwinkelte Gänge, enge Kajüten und halsbrecherische Treppen atmen ein Theater der Realität, gegen das der ehrenwerte Informationsoverkill um die Hamburg Port Hydrarchy nicht ankommt. Zumal der performative Part von "Port" nicht viel weiter als bis zur Lecture reicht.

Zum Abschluss treffen sich alle auf dem Unterdeck zu einer schnapsschwangeren Verlosung: Zu Gewinnen gibt es ein Reisestipendium, um der Londoner Performancekünstlerin Katie Beard auf ihrem Hausboot zu helfen. Die Künstlerin auf dem Narrowboat, das ist ein kluges Bild, das Ökonomie, Kunst und Seefahrt in eins setzt, nur kommt es nicht an gegen die Poesie des Anheuerns, mit der dieses Stipendium beschrieben wird: "Anheuern, das heißt abhauen. Weil der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht. Weil die Liebe schmerzt." Ach! Die Liebe! Was war da nochmal mit Hafenwirtschaft? Und von ferne leuchtet die Elbphilharmonie.

 

Ports – Vom Recht auf Meer
von und mit Geheimagentur, in Kooperation mit Kampnagel und der MS Stubnitz, Produktionsleitung: ehrliche arbeit – freies Kulturbüro
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause

www.kampnagel.de
www.geheimagentur.net

 

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