Schutzraum Theater

von Georg Kasch

Berlin, 17. November 2016. Neulich war ich bei der Premiere der NSU-Monologe im Heimathafen Neukölln. Überall zwischen den vielen Menschen stand auffällig Sicherheitspersonal herum, breitbeinige Typen in Schwarz. Zuerst mutmaßte ich, dass parallel ein Konzert stattfindet mit irgendeinem Sternchen, das sich zu wichtig nimmt. Dann stellte ich fest, dass die "NSU-Monologe" im Großen Saal stattfinden, die Sicherheitsleute also die Premiere beschützten. War dieser Sicherheitsaufwand nicht ein bisschen überdimensioniert?

Gorki 280 h via TwitterBanner am Berliner Gorki-Theater © via TwitterDann fiel mir ein: Würde es hier wirklich einen rechtsterroristischen Anschlag geben, würden im Publikum die Opfer der NSU-Anschläge ein weiteres Mal Opfer werden – es wäre ein verheerendes Zeichen. Denn es muss – gerade in Zeiten wie diesen – Orte geben, an denen man sich auch als Minderheit sicher fühlt. Warum nicht im Theater?

Hausrecht statt Gastrecht

Der Heimathafen Neukölln hatte übrigens im Foyer denselben Text zum Hausrecht-Gebrauch ausgehängt, wie er gerade vor dem Gorki Theater hängt. Dieser Hinweis ist kein Ausschluss – eher unwahrscheinlich, dass sich Menschen mit rechtem und rechtsextremen Gedankengut (oder gar rechte Störer) davon abhalten lassen würden, ins Theater zu gehen (vermutlich hatten sie es nie vor, es sei denn mit Pöbelabsichten). Der Hinweis wendet sich vielmehr ans Gorki-Stammpublikum: Liebe Nicht-Biodeutsche, (Post-)Migrant*innen, PoC, Queers, hier seid Ihr sicher. Wenn sich jemand diskriminierend daneben benimmt, fliegt er oder sie umgehend raus.

Insofern finde ich die gestern vom geschätzten Kollegen Michael Wolf vorgebrachte Argumentation, dass sich (dieses) Theater nicht an potentielle AfD-Wähler richtet, etwas scheinheilig. Bevor es das Langhoff-Gorki gab, waren (post)migrantische, queere, PoC-Menschen und alle anderen Minderheiten lediglich zu Gast in Stadttheatern, in denen weiße Menschen auf der Bühne in der Tendenz die Probleme weißer heterosexueller Charaktere verhandelten. Das funktionierte, solange diesen Theatern nicht peinliche Stigmatisierungen unterliefen. Und weil man in der Kunst darauf vertrauen kann, dass die meisten Zuschauer empathiefähig genug sind, sich auch in Konflikten, Charakteren und Schicksalen wiederzufinden, die nicht unmittelbar auf sie zugeschnitten sind.

kolumne 2p kaschMarcel Reich-Ranickis Insel

Das Stadttheater ist schon immer eine Art Schutzraum, eine Gegenwelt gewesen – man denke an Marcel Reich-Ranicki, für den ausgerechnet das Berliner Staatstheater in den 1930ern zur Insel wurde, die Vorzeigebühne des nationalsozialistischen Deutschlands. Shakespeare zum Beispiel bietet auch in extremen Situationen ein breites Identifikationsangebot. (Das tut er, nebenbei bemerkt, auch heute noch, über alle Parteigrenzen hinweg. Wo wäre eigentlich die Statistik, die besagt, dass im guten alten Repertoire nicht mindestens so viele AfD-Wähler sitzen wie Parteigänger jeder anderen Couleur? So vernagelt sind die Häuser ja nun wahrlich nicht; und die dezidiert tagespolitische Agenda – Stichwort: Flüchtlingshilfe – stellt nach wie vor eher eine Nische im Produktionsplan dar.)

Zum Glück gibt es zunehmend Bühnen, die – zumindest ansatzweise – eine andere Realität zeigen. In der sich das Publikum mit einem Mal auf wunderbare Weise neu mischt, nicht mehr nur die weiße, heterosexuelle deutsche Mehrheitsgesellschaft allein rumhockt. Theater, in denen man sich als Minderheit auch mal seiner selbst vergewissern kann. Diese Selbstvergewisserung führt im Idealfall zu einem neuen Selbstverständnis des aufgeklärten "Mainstreams". Wohlgemerkt: Es geht hier um ein Stadttheater unter vielen (und einer Hand voll freien Theatern). Es geht bei anderen Stadttheatern um ein bis zwei Produktionen in der Saison.

Zeigt, dass wir keine Angst zu haben brauchen!

Wenn wir da Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe sehen oder Menschen, deren Eltern keinen deutschen Pass hatten, die fließend drei und mehr Sprachen sprechen und sich ihrer sexuellen Identität nicht so sicher sind, wie man das in der Mehrheitsgesellschaft gewöhnt ist, dann bringt das keine Systeme zum Einsturz. Dann ist das kein Theater, aus dem später Revolutionen werden. (Was allerdings auch ein äußerst schlichter Begriff von politischer Wirksamkeit der Kunst wäre.) Aber es ist ein Theater, das sichtbar macht. Eine Sichtbarkeit, die es lange in der deutschsprachigen Kultur nicht gegeben hat (oder wenn, dann als tragische Figuren: der letztlich mordende Schuhcreme-Othello, der wütende Caliban, "Edward II."). Das ist schon was. Und zwar etwas, was jeden Kultureuro wert ist.

Wer sich dennoch über das Gorki-Schild aufregt: Wir, die Minderheiten, zählen auf Euch. Bist zur Bundestagswahl ist es ein Dreivierteljahr. Zeigt uns bis dahin (und darüber hinaus) mit Eurem Engagement gegen die AfD und andere, die unsere Lebensrealität in Frage stellen, dass wir keine Angst zu haben brauchen. Dann wird vielleicht auch das Theater als Schutzraum überflüssig.

 

Georg Kasch, Jahrgang 1979, ist Redakteur von nachtkritik.de. Er studierte Neuere deutsche Literatur, Theaterwissenschaft und Kulturjournalismus in Berlin und München. In seiner Kolumne "Queer Royal" blickt er jenseits heteronormativer Grenzen auf Theater und Welt.

 

Zuletzt entschuldigte sich Georg Kasch für all das Missliche in der Welt und fragte, wie es weitergehen soll nach Trump.

 

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