Presseschau vom 23. November 2016 – Laurie Penny im New Statesman zu "Hamilton" und politischem Theater in Trump-Zeiten

"A culture at war with itself"

"A culture at war with itself"

23. November 2016. "Dissent is delegitimised when artists cannot challenge authority", – wenn Künstler Autoritäten nicht herausfordern dürfen, delegitimiert das die politische Auseinandersetzung, schreibt die britische Bestseller-Autorin und feministische Aktivistin Laurie Penny im New Statesman zur aufgeheizten Diskussion infolge der Broadway-Ereignisse vom Wochenende, als der designierte US-Vizepräsident Mike Pence als Zuschauer des Musicals "Hamilton" erst vom Publikum ausgebuht und dann von der Bühne aus mit politischer Message direkt angesprochen wurde (Donald Trump äußerte sich später auf Twitter und verlangte eine Entschuldigung).

"Let’s not concede that freedom of speech – particularly the freedom of oppressed people to stand up and ask for their fundamental rights to be respected – is a side-issue." – Lasst uns nicht zulassen, dass Redefreiheit – insbesondere die Freiheit unterdrückter Menschen Respekt für ihre Grundrechte zu verlangen – Nebensache wird, so Penny nun, und zum Statement des Casts: "This interaction matters (…) even if the outrage was manufactured" – dieser Schritt sei wichtig, "selbst wenn er inszeniert war". Denn die Kultur der Macht-Reflektion sei in der gesamten westlichen Welt gefährdet wie nie zuvor – "It matters because the culture of speaking back to power is under threat across the west as never before.

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"The idea that Pence, a man who has spent his political career pursuing the LGBT community (...) should expect any respect on Broadway is laughable, as is the idea of a show by and about immigrants becoming a hit in the latter days of American imperialism, when a post-ironic racist, sexist figurehead is about to prance into the White House" – Die Erwartung, dass Pence, der zeit seiner politischen Karriere gegen die LGBT-Community zu Felde gezogen sei, am Broadway respektiert werde, sei lächerlich; genauso wie "die Erwartung, dass ein Theaterstück von Einwandern über Einwanderer ausgerechnet jetzt zum Broadway-Hit wird, wenn ein postironischer, sexistischer Rassist ins Weiße Haus einzieht", so Penny. "Both are phenomena of a culture at war with itself." – Beides Symptome einer Kultur, die mit sich selbst im Krieg liege.

(sd)

Kommentare  
Laurie Penny zu "Hamilton": Einspruch
Naja, liegt diese Kultur wirklich mit sich selbst im Krieg? Oder nicht doch mit dem - jeweiligen - Rest der Welt, der sich der Kultur dem jeweiligen nationalen Willen einer totalitären Gewinnoptimierung entgegenstellt? Und ist es deshalb - global gesehen - nicht doch eindeutig eine rein kapitalorientierte Kultur die einer rein sozialorientierten Kultur unversönlich genenübersteht? Also ein Krieg wirklich zweier verschiedener Kulturen? Das sollte man vielleicht nicht zudecken wollen aus diplomatischen Gründen. Auch und gerade nicht als Feministin.
Laurie Penny zu "Hamilton": Könnte es sein..?
Könnte es ein Problem sein, dass im Volk eines Staates sehr große Teile der Bevölkerung als Wähler aktuell mehr damit zu beindrucken sind, wenn ein erfolgreicher altgedienter Spieleerfinder schon vor ybsen Jahren einen Gastauftritt in der comicartigen Aufmerksamkeit der erfolgreichen Simpson-Family im Fersehen hatte, als von der Beobachtung ihrer eigenen täglichen sozialen Verhältnisse oder durch das vergleichende Lesen von Parteiprogrammen sowie Wahlversprechen einerseits und veröffentlichten Statistiken nach einer halben Legistlaturperiode andererseits???
Laurie Penny zu "Hamilton": Krieg einer Kultur
#1 Ich bin mir nicht sicher was Sie der Autorin unterstellen, wenn Sie von einem Zudecken aus „diplomatischen Gründen“ reden. Wäre es möglich, dies zu erläutern?

„Hamilton“ - die Biografie des Finanzministers und Bankengründers - bietet wenig Ansatz für Kapitalismuskritik. So möglich macht es „Hamilton“ für mich gerade aus diesem Grund noch interessanter. Das Stück spricht soziale Mobilität, Sklaverei und Befreiung an, diese Themen liefern inhaltlich aber nicht die Konklusion.

Es steht außer Frage, daß Trump einen obszönen Raubkapitalismus repräsentiert, und mit seinen unverhohlen diktatorischen Ansprüchen nicht nur Kunst sondern auch Presse zu kontrollieren versucht.
Trotzdem ist es logisch, daß „Hamilton“ Streitgegner wird, anstelle von „Shuffle Along“ oder „The Color Purple“. Letztere thematisieren nicht-weiße amerikanische Vergangenheit. „Hamilton“ beansprucht „weiße“ Geschichte für sich (nicht zu vergessen Finanzgeschichte).

Ähnlich verhält es sich mit den anderen von der Autorin erwähnten Beispielen. Es geht um Repräsentation und Deutungshoheit, kurzum: Macht. Konflikte über Meinungsfreiheit sind nicht exklusiv in Systemen zu finden, welche auf Gewinnoptimierung statt Bedarfsdeckung ausgelegt sind. Insofern gebe ich Laurie Penny Recht, wenn Sie vom Krieg einer Kultur mit sich selbst spricht.
Presseschau Laurie Penny: Krieg der einen Kultur gegen den Geist der anderen
#3: Ich bin mir auch nicht so sicher was, und vor allem, ob ich der Autorin überhaupt etwas unterstelle... - Aber: ich denke, dass wir eine systemische Implosion hatten seit Mitte der Achtziger. Die auch daher rührte, dass es global gesehen in der Übermacht eben die Gesellschaften der Gewinnoptimierung gab. Die die Gesellschaften mit dem Primat der Bedarfsdeckung - übrigens danke für die eingeführten m.E. gut handbaren Begrifflichkeiten! - sozusagen bei näherer und vor allem tiefergehender Betrachtung "aufgekauft" haben. Das waren bis dahin zwei gleichzeitig gelebte Entwürfe zum menschlichen Umgang mit Gewinnoptimierung Einzelner und Bedarfsdeckung Vieler. Und deshalb waren das systemisch durchaus z w e i kulturelle Entwürfe. Nun gibt es, selbst wenn die Praxis eines Entwurfes ausgeschaltet wurde von dem anderen, also praktisch den Sieg der einen Kultur über die andere, eben ein Gedächtnis von Praxis. In Form von geistigem Erbe. Der Geist einer abgeschafften Kultur ist eben nicht abschaffbar. Und was nun stattfindet, ist ein Krieg der einen Kultur gegen den Geist der anderen, praktisch besiegten Kultur. Wenn in der Siegerkultur verlautbart, dass diese mit sich selbst im Krieg läge, ist das u.a. gleichbedeutend damit, dass der Geist eines einmal auch praktisch vorhandenen Kulturentwurfes unterdrückt oder i g n o r i e r t, statt als Regulativ mit Erfahrungshintergrund auch argumentativ benutzt wird, wenn es um Repräsentation und Deutungshoheit von Gesellschaftssystemen geht. Laurie Penny benutzt damit selbst eine Repräsentationsmacht und eine Deutungshoheit. Indem sie die Existenz zweier zur Disposition stehender Kulturen entweder nicht erkennt, oder - was ich allerdings nicht recht glauben mag, eben weil der Autorin an Gesellschaftskritik doch eigentlich gelegen ist - leugnet. Sie deckt sie m.E. eventuell aus "diplomatischen" Gründen zu. Weil sie sonst gar keine Öffentlichkeit, gar keinen repäsentativen Spielraum für ihre kritischen Ausführungen bekäme. Und spricht deshalb diplomatisch lieber vom Krieg nur e i n e r Kultur, die lediglich mit sich selbst im Krieg läge. Diese eine Kultur ist jedoch eigentlich so weit ganz gut mit sich im Reinen, weil ihr ja keine andere Kultur, nicht einmal als geistiges Erbe, auf diese Art und Weise systemisch gefährlich werden kann...
War das einigermaßen verständlich erörtert? - Besser kann ich es im Moment leider nicht, weil mir dazu die Gesprächspartner fehlen, die man da braucht, um intellektuell weiterkommen zu können, sorry.
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