Verloren im Gefängnishof

von Ralf-Carl Langhals

Heidelberg, 26. November 2016. Ein wenig mulmig ist einem schon, wenn man vor den hoch aufragenden, roten Sandsteinmauern des ehemaligen Gefängnis "Fauler Pelz" steht, das den Heidelberger Kessel noch hermetischer und auswegloser erscheinen lässt. Ein Spiel, eine Installation, was regst du dich auf, denkt man – und tritt ein. Nach vorherigem Klingeln, einzeln und im streng eingehaltenen Fünfminutentakt. Betont unfreundlich ist das Personal, das Vollzugsbeamte mimt, Anweisungen gibt und Wege anzeigt. Sehr beruhigend ist auch der ausgehändigte Handzettel nicht, dass das Leitungswasser hier nicht trinkbar sei und man – noch beunruhigender – jederzeit mit dem Codeword "Abbruch" aussteigen könne. O Gott, was kommt da auf mich zu? Was ist das hier? Ein SM-Käfig?

Stumme Anweiserinnen in Gummistiefeln

Das frühere Bezirksstrafgefängnis hat seinen Namen nicht von der "faulen Haut", auf die man sich hier bis 2015 in Untersuchungshaft legen konnte, wie immer noch viele Kurpfälzer meinen. "Fauler Pelz" kommt von einem faulenden Abwasserkanal des vor Jahrhunderten stillgelegten Gerberviertels, das sich hier am Fuße des Schloßbergs befand. Bernhard Mikeska und Alexandra Althoff spielen mit diesem doppeldeutigen Irrtum – und nennen ihre Knastbespielung "In deinem Pelz", denn aus der eigenen Haut kommt man – so wahr wie banal – weder innerhalb noch außerhalb von Gefängnismauern heraus.

In Deinem Pelz 03 560 Heinz Holzmann uSchließerin am Eingang: Barbara Martin © Heinz Holzmann

Gesprochen wird nicht, stumme Anweiserinnen in Gummistiefeln und Kostümen, die an Personalkittel der "Irrenanstalten" des 19. Jahrhunderts erinnern (Kostüme: Pauline Hüners) deuten herrisch auf Türen, zeigen mit grantigen Kopfbewegungen, was der Zuschauer als nächstes zu tun habe. Es summt, es knarrt, es schließt, noch ein Gittertor, noch ein Treppenhaus, die Wärterinnen immer irritierend nah hinter und nicht vor sich (schließlich sind wir Gefangene) – die Spannung steigt. Hände waschen, desinfizieren, dann liest einem eine besonders Grimmige aus der Hand und nickt verächtlich wissend: Man ist schuldig.

Geräusche nicht existenter Insassen

Auch in der einzigen Schauspielszene, die es pro Zuschauer zu erleben gibt, fühlt man sich schuldig. Was man hier wolle, was man anhabe, ob man ein wildes Tier sei, will (in meinem Falle) der unglaublich intensive Andreas Seifert wissen. Bis man ihn in seiner Zelle trifft, hat man einen Parcours hinter sich: Stand verloren im Gefängnishof, hat (gefühlt) endlose Minuten in einer zwei auf vier Meter kleinen Einzelzelle verbracht, in einer anderen per Kopfhörer den Geräuschen eines nicht existenten Zelleninsassen gelauscht. Dramaturgisch füllen sich die Zellen, in die man nacheinander verbracht wird, allmählich: erst Einsamkeit, dann Geräusche, dann ein Blatt mit ein paar Zeilen von Paul Auster, zerknitterte Bettwäsche, ein vergessener Pullover über der Stuhllehne ... bis zur Schauspielerbegegnung.

In Deinem Pelz 01 560 c Heinz Holzmann uBegegnung in der Zelle: Christina Rubruck © Heinz Holzmann
Freilich denkt man nach: über die winzigen Milchglasfenster, durch die man nichts sieht, über die uralten Eisentüren, die gewölbten Satteldecken, den immer noch verbleibenden Geruch von abgestandenem Essen. Über das fremdverordnete Alleinsein mit sich selbst. Wie mag es sein, hier leben zu müssen? In einem Gefängnis aus dem Jahre 1848, das bis vor kurzem Strafvollzugrealität war – und vom gleichen Architekten erbaut wurde wie das stuckvergoldete alte Stadttheater. Geräusche dringen von außen herein, was passiert da, wer kommt? Die Hölle sind die anderen.

Sie merken: Die Eindrücke bleiben sehr äußerlich. Man kann Alexandra Althoff und Bernhard Mikeska wohlwollend die klügsten Gedanken unterstellen. Als Kritiker hätte man sich – "szenische Installation" hin, Raum+Zeit her – schlicht Text gewünscht, Auseinandersetzung, Futter. Dieser minimalinvasive Eingriff zum Thema Schuld und Sühne, bei dem ein "originelles" Gebäude die Hauptrolle spielt, ist eine interessante Erfahrung, nicht weniger, aber eben leider auch nicht mehr. Und somit eine verpasste theatralische wie dramaturgische Chance, die wenig mehr bietet, als es beim "Tag des offenen Denkmals" auch zu erleben gegeben hätte, schade.

 

In deinem Pelz
Ene szenische Installation für je einen Zuschauer
von Bernhard Mikeska und Alexandra Althoff (RAUM + ZEIT)
Regie: Bernhard Mikeska, Konzept und Raum: Alexandra Althoff, Bernhard Mikeska, Kostüme: Pauline Hüners, Dramaturgie: Alexandra Althoff, Jürgen Popig, Licht: Ralph Schanz.
Mit: Christina Rubruck, Nanette Waidmann, Claudia Renner, Anne Schäfer, Maria Wardzinska, Hendrik Richter, Andreas Seifert, Olaf Weißenberg.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.theater-heidelberg.de

 

Kritikenrundschau

Die Wandelperformance schaffe in den Zellen, Fluren, Treppenhäusern und Höfen des alten Gefängnistrakts aus dem 19. Jahrhundert tiefere Einsichten ins eigene Ich, so Volker Oesterreich von der Rhein-Necker-Zeitung (26.11.2016). "Die Aura des beklemmenden Orts mit seinen quietschenden Türen, klappernden Schlüsseln und befremdlichen Ritualen verfehlt seine Wirkung nicht. Hinzu kommt das Gefühl, heimlich durch die Zellenklappe oder von einem Kameraauge beobachtet zu werden. Wie bei Orwell."

Kommentare  
In deinem Pelz, Heidelberg: nichts verstanden
Ja, aber wenn es doch nicht mehr anders als schweigend und nur mit Körper geht! Nur dann ist doch die Zeit richtig, um aus ihr echtes Theater machen zu können!! Schrecklich - die Kritik hatte wieder mal Spaß, zur Abwechslung gruseligen, aber trotzdem nichts von der Kunst verstanden!
In deinem Pelz, Heidelberg: Futter-Frage
@denkmalimmersiv, was war denn Ihrer Meinung nach das Kunstvolle daran? Was haben Sie verstanden, gesehen, erlebt, das dem Kritiker entgangen ist, was über die von ihm beschriebenen "äußerlichen Eindrücke" hinausgehen. Herr Langhals wünscht sich "Text ..., Auseinandersetzung, Futter". Auseinandersetzung und Futter sind genau die Punkte, die ich oft hinterfrage in Heidelberg, daher frage ich, sehr interessiert und bin neugierig.
In deinem Pelz, Heidelberg: Entstehung eines Texts
Hinter streng Formalem, am Anfang sich in historischer Kulisse wähnend, entsteht ganz langsam ein eigener Text zu dem Thema Schuld und Unschuld kreist in ruckartigen Angstsekunden in dem Moment wenn sich die Zellenklappe öffnet hoch hinein in den Gedanken der Flucht, die immer wieder möglich scheint und doch in der persönlichen Begegnung nie.
So wird ein stummes Spiel zum Theatertext in uns, und bleibt marodierend zum Thema Freiheit.
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