Schadensbegrenzung mit Nachwirkungen

von Rainer Nolden

Trier, 15. Dezember 2016. Es war einmal eine beschauliche mittelgroße Stadt, in deren Mauern ein mittelgroßes Theater stand, in das die Menschen gerne gingen, um abgelenkt, zerstreut, unterhalten zu werden. Und dann begab es sich, dass der Chef dieses Theaters in den Ruhestand ging, also musste ein neuer Kopf her. Viele fühlten sich berufen, einer wurde auserwählt. Karl Sibelius versprach ein neues, frisches, ungewöhnliches Theater zu machen. Die neue Ära kam dann auch, aber mit ihr kam dann auch ganz schnell das Ende dieses Märchens.

Mit dem Kopf durch die Wand

Und nun sind alle zurück in der Wirklichkeit, reiben sich die Augen und fragen verdutzt: Was ist denn da schiefgegangen, dass es endete, wie in einem ganz schlechten Roman. Eine Stadt wagt es, einen bunten Vogel zu installieren, überhaupt nicht selbstverständlich in Zeiten, in denen man gerne auf Nummer sicher geht. Der entpuppt sich dann als exemplarisch unfähig, die Finanzen des Hauses zu kontrollieren, rettet sich in fadenscheinige Erklärungen und Ausreden statt reinen Tisch zu machen, entpuppt sich gegenüber Mitarbeitern nicht gerade als Teamplayer und entspricht am Ende dem Bild eines sich exzentrisch gebärdenden Künstlers.

Sibelius Theater Trier WebsiteKarl Sibelius © Theater TrierTatsache ist: Der Ex-Intendant, den sich die Stadt erwählt hat, ist ein eloquenter, charmanter, sicherlich auch dickköpfiger und möglicherweise sogar verbohrter Mensch, was ja für einen Künstler erst mal keine schlechten Eigenschaften sein müssen. Aber mit diesem Kopf wollte er sofort durch die Wand, und da hat ihm keiner Einhalt geboten. Hätten nicht zumindest ein paar Fragen beharrlicher gestellt werden müssen – zum Beispiel, warum in seiner vorigen Wirkungsstätte ein Defizit in der Kasse war, als er seinen Vertrag dort vor der Zeit kündigte? Waren die Stadtväter so begeistert (geblendet?) von der beredten Überzeugungskraft des Österreichers, dass sie ihm widerstandslos den Posten des Generalintendanten anvertrauten (den es in Trier zuvor nicht gegeben hat) – und damit die Generalgewalt übers Geld gleichermaßen? Hätte man ihm nicht von Anfang an ausreden sollen (müssen!), den äußerst populären Generalmusikdirektor entweder in die Wüste zu schicken oder zum Chefdirigenten zu degradieren?

Zu viele Egos auf viel zu kleinem Raum

Der erste Knatsch war also bereits in vollem Gange, noch ehe sich der Vorhang hob. Weitere Gerüchte von Streit und Krächen hinter den Kulissen machten die Runde und wurden schnell zu Gewissheiten. Sibelius hatte einen Schauspielchef geholt, von dem er wusste, dass er nicht mit ihm konnte, und er geriet von Anfang an mit Künstlern in den Clinch, die er kurz zuvor nach Trier verpflichtet hatte. Erste Abfindungen mussten gezahlt werden.

Kein Mensch erwartet von einem Theaterbetrieb, dass er voller Harmonie und Reibungslosigkeit sei. Dafür sind viel zu viele selbstbewusste Egos auf viel zu kleinem Raum, die alle ihre Ideen durchsetzen wollen. Das ist ja auch im besten Falle produktiv, solange das Haus abends voll wird. Das war in Trier zuletzt jedoch eher die Ausnahme als die Regel.

Zu viel des Bizarren und Zumutbaren?

Zwar gab es in der Ära Sibelius, die ja eher ein Ärachen war, spannende, aufregende, originelle und provozierende Vorstellungen. Erster Schock fürs Publikum: die Zuschauer, an solide theatralische Hausmannskost gewohnt, sahen sich mit den inszenatorischen Ausschweifungen eines Mini-Castorfs konfrontiert. Da wurde die erste Premiere unter der neuen Leitung, Molières Tartuffe, zu einer ausführlichen, nichtsdestoweniger unterhaltsamen Selbstdarstellung des neuen Ensembles – mehr als eine Stunde verging, ehe das Stück begann, was erste Unmutsäußerungen verursachte – nebst üppigem Farbenverspritzen (wann immer die Worte für Gefühle fehlten, gossen sich die Akteure kübelweise Wandfarbe über die immer entblößteren Körper und standen am Ende splitternackt zwischen den glitschigen Kulissen).

Moliere3 560 VincenzoLaera x"Molière", farbspritzersatte Eröffnungsinszenierung von Karl Sibelius' Intendanz © Vincenzo Laera

Es gab einen bis zum bitteren Ende gedachten "Fidelio" mit Martern aller Art (und keinesfalls von Mozart!) und Lesbensex unter der Dusche, fleißig benutzten Pissoirs und explizit ausgespielten Gewaltexzessen, der die Vorlage voller Beethoven’schem Idealismus von Frieden, Freiheit und alles überwindender Liebe brutal konterkarierte (und damit den realen Ereignissen in den Folterkellern dieser Welt erschreckend nahekam). Eine verrätselte isländische Oper setzte als Uraufführung der allgemeinen Ratlosigkeit noch eins drauf – das war den Trierern dann endgültig zu viel des Bizarren und Zumutbaren. Scharenweise verließen sie die Aufführungen und kündigten ihr Abo gleich mit.

Gut für die Show, katastrophal für die Kasse

Große Teile des Publikums waren überfordert mit dem theatralischen Tsunami an Ungewöhnlichem, Neuem, Irrwitzigem, der über sie hereingebrochen war. Aber mehr und mehr, auch das wurde deutlich, haben sie begonnen, sich an die "andere Art" von Theater zu gewöhnen, haben sich sogar teilweise mit ihr angefreundet. Vor allem die jugendlichen Zuschauer, von denen Sibelius mit seinem Spielplan immer mehr in sein Haus gelockt hat.

Genützt hat es nicht, weil die Arbeiten angesichts des Etats zu teuer und mit zum Teil nur 100 Sitzplätzen wirtschaftlich absolut unrentabel waren. Das Ballett wurde künstlerische Spitze, schaffte es jedoch selten, vor vollem Haus zu tanzen. Und unermüdlich verpflichtete der Intendant Gäste an sein Theater – was gut war für die Show, aber katastrophal für die Kasse.

Ein promovierter Kulturmanager, der im Management versagt

Und letztlich auch für Sibelius: Beratungsresistent soll er gewesen sein, was die finanziellen Seiten seines Jobs anging; deutliche Warnungen, es bloß nicht zu übertreiben mit dem Geldausgeben, verpufften im Wind, der dem Chef immer stärker ins Gesicht blies. Sibelius verhedderte sich weniger in den Strukturen als in seinen eigenwilligen und exzentrischen Reaktionen, als immer mehr Schwierigkeiten ans Licht kamen. Unverständlich nach wie vor, denn Sibelius ist studierter Kulturmanager und Executive Master of Art Administration, der über "Orchestra Projects – Instruments of Social Change" promoviert hat und zudem "Master of Arts in Peace and Conflict Studies" ist. Das heißt, ein ausgebildeter Konfliktlöser hat das respektable und respektierte Haus innerhalb weniger Monate gegen die Wand gefahren.

Sibelius war überfordert mit der Aufgabe, dieses Haus zu leiten. Ein Theater ist keine Bratwurstbude, in der einer allein den Einkauf, die Zubereitung, den Verkauf, die Buchhaltung und die Steuererklärung stemmen kann. Gerade deshalb stehen für einen Theaterbetrieb viele kluge Köpfe bereit, die sich um die vielen Probleme kümmern. Im Trierer Rathaus hat man es versäumt, von Anfang an ausreichend befähigte Köpfe einzusetzen. Und Sibelius, der nach allen Widerständen allein wie gefordert das Steuer in der Hand hielt, dachte nicht im Traum daran, sich Ratgeber an Bord zu holen.

Was kann sich das Haus noch leisten?

Beiderseits lassen sich mithin diejenigen ausmachen, die gemeinsam für das Problem verantwortlich sind, das zu lösen denen überlassen bleibt, die zunächst einmal für Schadensbegrenzung sorgen müssen. Ob jetzt Ruhe am Theater einzieht? Die Stimmung im Ensemble ist, vorsichtig ausgedrückt, nicht übertrieben euphorisch, obwohl mit einem gemeinsam agierenden und absolut gleichberechtigten Übergangsleitungsteam ein Check-and-Balance-System installiert wurde und Alleingänge ausgeschlossen sind.

Der glücklose Karl Sibelius ist seit Monaten nicht in der Trierer Öffentlichkeit gesehen worden und kommentiert die Ereignisse mit keinem Wort. Zähneknirschend hat ihm die Stadt bei seinem Weggang 300.000 Euro in die Hand gedrückt, Geld, das ihm vertragsbedingt zusteht. Schadensbegrenzung der Stadt, die ihre Nachwirkungen hat.

 

Kleine nachtkritik.de-Chronik der Ereignisse:

Übergangsleitungsteam für Theater Trier steht – Meldung vom 15. Dezember 2016

Trier kündigt Intendant und wählt Kulturdezernent ab – Meldung vom 18. November 2016

Trier will sich von Intendant trennen – Meldung vom 8. November 2016

Haushaltsprüfung beim Theater Trier offenbart weiteres Millionenloch – Meldung vom 26. Oktober 2016

Stadt Trier bietet umstrittenem Intendanten Vertragsverlängerung an – Meldung vom 3. August 2016

Trier rettet Theater mit Blitzergeld – Meldung vom 15. Juli 2016

Schauspieldirektor Ulf Frötzschner verlässt Trier – Meldung vom 10. Juni 2016

Was ist los am Theater Trier? Warum Intendant Karl Sibelius trotz neuer künstlerischer Maßstäbe in der Kritik steht – Podcast vom 9. Juni 2016

Millionendefizit in Trier: Oberbürgermeister stellt Intendanten Verwaltungsdirektor an die Seite – Meldung vom 6. Juni 2016

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