Ein Pallawatsch vom Glabawitsch

von Martin Pesl

Wien, 16. Dezember 2016. Gegen Ende einer von schlechter Presse geprägten ersten Spielzeit unter Intendantin Anna Badora musste das Volkstheater vor einiger Zeit eine weitere peinliche Meldung machen: "Mugshots", die Uraufführung des ersten Theatertexts des gefeierten Wiener Szene-Autors Thomas Glavinic in der Regie des Ensemblemitglieds Lukas Holzhausen soll ausfallen, dem Autor sage das Regiekonzept nicht zu. Holzhausen inszenierte daraufhin für das mobile Abo-Format "Volkstheater in den Bezirken" stattdessen einen Alan Ayckbourn, und man teilte Glavinic mit, er dürfe sein Stück im Winter gerne selber inszenieren.

Achtung Spaßette

Das hat er jetzt getan. Unter Mithilfe seines Kostümbildners, des Hausregieassistenten Paul Spittler. Die Inszenierung geht nicht auf Bezirke-Tournee, sondern bleibt im Repertoire der Nebenspielstätte Volx/Margareten. Vom streitbaren Bestsellerautor, etwa des Romans "Der Jonas-Komplex" und der köstlich autobiografischen Spaßette "Das bin doch ich", ist nun also nicht nur der erste Theatertext, auch gleich die erste Regiearbeit zu bewundern.

Ja, und plötzlich klingt Glavinics Regie-Ersatz gar nicht mehr so nach Notlösung. "Ein Stück", steht in der Textfassung unter dem Titel, und eine genauere Genrebezeichnung lässt sich auch aus dem folgenden Geschehen nicht ableiten. Da erwacht ein geschwätziger 30-jähriger Werbefuzzi namens Christoph am Sonntagmorgen in seinem Wohnzimmer und kann sich an die Nacht davor nicht erinnern, auch nicht an die Umstände, unter denen er Anastasia kennengelernt hat, die Frau auf seiner Couch.

Mugshots 2 560 c robertpolster uWie kam die Frau über Nacht in die Wohnung? Gedächtnislücken plagen die Protagonisten (Nadine Quittner, Christoph Rothenbuchner) in "Mugshots" © Robert Polster

Eine in vieler Hinsicht vielversprechende Ausgangssituation. Den möglichen Weg des Thrillers verlässt die Geschichte aber schon bald auf höchst unspektakuläre Weise: Das aufgefundene Blut erweist sich als Ketchup, und auch alles andere erklärt ihm die Dame einfach, denn sie hat nicht gekokst und keine Gedächtnislücke. Sie sei Zwangsprostituierte, er habe versprochen, sie freizukaufen. Auch Komödie ist hier keine zu finden, denn die beiden einzigen Witze tun nichts zur Sache und sind eher mau (Christoph muss, wenn er hektisch seinen Freund anruft, immer erst dessen lästige Tochter abwimmeln) bis unfassbar peinlich (der Anwalt, der ihm empfohlen wird, heißt Glabitsch oder Glabawitsch).

Anti Pretty Woman Theater Selfie

Dann fürchtet sich Anastasia noch ein bisschen vor dem bösen Zuhälter Joe, Christoph bestellt edlen Umirom-Käse fürs gemeinsame Mahl (das Wort ist eine weitere Selbstreferenz, nämlich auf Glavinics Roman "Die Arbeit der Nacht") und rechtfertigt seinen Widerwillen, 50.000 Euro für sie hinzulegen (obwohl er sie hätte), mit der allgemeinen Empathielosigkeit der Welt, die ihn als Werbeagentur-Arsch natürlich auch befallen hat. Einen Moment lang wird gemutmaßt, alles könne erfunden sein, dann fürchtet sich Pretty Woman doch nicht mehr und geht.

Wichtiges mitzuteilen hatte der Verfasser nicht, vielmehr scheint er seinen Text als stimmungsvolles Kammerspiel angelegt zu haben, denn die Einleitung erklärt: "Dieses Stück ist piano und pianissimo gedacht." Dazu hätte Glavinic es aber – spätestens mittels Regie – mit einem Hauch von Geheimnis belegen müssen. Stattdessen geben die alltagssprachlichen und doch oft unnatürlich klingenden Dialoge Inhalt wie Tempo vor, konkrete Handlungen wie Duschen, Sex oder das Braten eines Omeletts versinken zwischen Pseudorealismus und theatraler Andeutung. Ein Musterbeispiel dafür, dass die Personalunion zwischen Autor und Regisseur in der Regel ein gewisses Minimum an Genie in zumindest einem der beiden Bereiche erfordert. Oder eine verdammt gute Dramaturgie.

Hin und her stolziert

Die Spielenden wissen das natürlich und kompensieren die himmelschreiende Substanzlosigkeit ihres Materials auf jeweils unterschiedliche Weise: Christoph Rothenbuchner räumt in gefühlt 70 von 75 Spielminuten Gegenstände in dem lieblos eingerichteten Wohnzimmer hin und her, ohne dass es je ordentlicher aussieht. Seine Stimme drückt er anfangs erfolgreich auf Wiener Prolo-Niveau, mit zunehmender Schwafelpflicht kommt dann der professionelle Bühnensprecher in ihm durch. Und Nadine Quittner stolziert, mehr Nobeleskort als geschundene Sexsklavin, apart und seelenruhig einher.

Ach ja, "Mugshots" heißt das Stück, weil so auf Englisch Polizeifotos nach einer Verhaftung genannt werden. Darauf, erklärt Christoph, sehen alle gleich scheiße aus, weil sie ungeschminkt sind. Zum Beispiel Mel Gibson. Was das für eine Rolle spielt? Das wollte der Autor dem Regisseur offenbar nicht verraten.

Mugshots
von Thomas Glavinic
Inszenierung: Thomas Glavinic, Co-Regie und Kostüme: Paul Spittler, Bühne: Hans Kudlich, Dramaturgie: Mona Schwitzer.
Mit: Nadine Quittner, Christoph Rothenbuchner.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.volkstheater.at

 

Mehr von Thomas Glavinic: Sein Roman Das bin doch ich wurde im Oktober 2011 in Graz von Christine Eder uraufgeführt.

 

Kritikenrundschau

"Das 75 Minuten kurze Stück, für dessen Plot Glavinic auf eine 20 Jahre alte Erzählung zurückgriff, ist ein kleines Großmaul. Es fängt komödiantisch an, geht dann scheinbar als Thriller weiter, und gegen Ende wird’s auch noch moralisch", holt Wolfgang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (20.12.2016) aus. Das funktioniere nur hinten und vorne nicht, weil die beiden Figuren so schematisch und unglaubwürdig gezeichnet seien. "Dass 'Mugshots' keine Komödie ist, merkt man schon daran, dass es so wenige Pointen gibt." Ob das Stück auch angenommen worden wäre, wenn ein weniger prominenter Autor es geschrieben hätte, sei fraglich.

Für Ronald Pohl vom Standard (19.12.2016) sind die "Mugshots" ein "Nichts von Stück", ein "posttoxisches Kammerspiel", das "mit dem heiligen Ernst einer Wolfgang-Bauer-Uraufführung in Szene gesetzt" werde. Man beobachte "zwei junge Menschen dabei, wie sie den Anweisungen ihres Notregisseurs (Autor Glavinic) tapfer Folge leisten und dabei furchtbar alt aussehen." Noch jedenfalls werde "die Liebe, die Thomas Glavinic, der wunderbare Alpen-Nabokov, zum Theater gefasst hat, von diesem nicht erwidert. Aber wer weiß, vielleicht erwacht er eines Tages, und die Bühnenkünste stehen ihm zu Gebote und sind ihm zu Willen."

"Mugshots" sei "frei von Poesie, aber voll mit pointiert geschildertem Alltag – und der Autor empfiehlt sich auch als Regisseur", schreibt hingegen Barbara Petsch in der Presse (19.12.2016). Glavinic zeige "Parallelwelten, über die wir zwar gern sprechen, die wir aber in Wirklichkeit nicht wahrhaben wollen, wenn wir einem Bettler ein paar Euro geben, uns dann umdrehen und zuschauen, wie er sie wieder hergeben muss." Zuletzt fragt Petsch, ob "Mugshots" eine "allzu schlichte Geschichte" sei: "Mag sein, aber zeitgemäßer und wahrer als der ferne Strindberg und die erbauliche 'Pretty Woman'".

 

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