Hä?...I wish I understood

von Simone Kaempf

Berlin, 26. Februar 2017. Zur Wut gehört im Leben genügend Vernunft, auf dass man sie nicht an seinen Mitmenschen auslässt. Was nicht immer gelingt. Um das umgekehrte Prinzip geht es Elfriede Jelinek: In ihrem gleichnamigen Textkonvolut dreht sie den Spieß gehörig um. Wut? Los, raus damit, Zorn auch, Liebe, Gottesliebe auch, und damit landet man auch ganz schnell beim Gotteshass. Denn kein Satz, keine Haltung, kein Gefühl, das sich in ihrem Text nicht irgendwann ins Gegenteil verkehrt, Jelinek at its best. Alles temporeich mit klagendem Furor verwoben, ein nicht abbrechender Strom. Aus dem plötzlich wieder irrlichternd helle Momente herausragen an Maß, Vernunft und Bedachtheit.

"Wut" entstand nach dem Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt in Paris im Jahr 2015. Es sprechen IS-Kämpfer, Religionsverfechter, Wut-Bürger, Herakles, griechische Musen, radikale Muslime. Im Durcheinander bleibt oft verdeckt, wem da gerade das Wort gehört. Und wer behauptet, das beim ersten Lesen alles bereits zu verstehen, hat in das düstere 100-Seiten-Werk nicht tief genug hineingeschaut. Jelineks hochkomplexen Text in den Griff zu kriegen, ist für jeden Regisseur nochmal eine gesteigerte Herausforderung im Vergleich zu dem, was die Dramatikerin sowieso abverlangt.

Wie soll man das alles verstehen?

Welche Mühe es Regisseur Martin Laberenz und die fünf Schauspieler am Deutschen Theater Berlin gekostet hat, ahnt man, wenn sie einen Karton gefüllt mit Text-Manuskripten auf den Boden wuchten, die Seiten herumwerfen und mit Fußtritten wegkicken. Was nicht nötig wäre. Denn Laberenz kommt Jelinek ziemlich gut bei. Er spart nicht an Mitteln: Video, im Magen wummernde Musik, ein gekreuzigter Jesus auf der Motorhaube kommentiert mit dem Ausruf: "Der Herrgott weiß warum", dazu filmische Traumfabrik-Stimmung beim Cocktailempfang. Doch allen voran packt Laberenz den Abend beim Verstehen-wollen und beim Heraushören-wollen, was da eigentlich steht.

wut1 560 Arno Declair uKultivierte Wut-Party © Arno Declair

Dieses zentrale Motiv steht mit der ersten Szene fest. Andreas Döhler drückt sich im Smoking vor dem Vorhang herum, richtet sich in Entertainer-Manier ans Publikum und sagt erstmal langgezogen "Hä?". Wie soll man auch alles verstehen – schon wie der Unterschied von Mann und Frau in die Welt kam. Das Stichwort greift die kleine Party-Gesellschaft dankbar auf für Erklärungsversuche über das Verhältnis von Gott, Mensch, Schöpfung und Religion.

Partysause mit Hinrichtung

Im Partygeplauder eines Hollywood-lässigen Champagner-Empfangs räkelt man sich auf einem Ledersofa, schenkt Champagner nach und bricht im Stil intellektueller Partyspiele nach vorne in kleine Monologe aus. Sabine Waibel etwa im tiefausgeschnittenen Seidenkleid, Anja Schneider in einem weißen Oscar-Verleihungs-reifen Kleid und Linn Reusse im nachtblauen Hosenanzug extravaganter Art. Und doch sind diese kultivierten Partypeople Zwitterwesen, die sich lässig bewegen, zu Jazzigem swingen und kurz darauf selbstgesprächig über Gott diskutieren. Die ihre Kultiviertheit ausstellen und dann die Pariser Supermarkt-Hinrichtung nachstellen, die sie mit dem Smartphone filmen.

Gleitend gehen diese Szenen ineinander über, selbst die ironischen Spieleinlagen sind im Ton sehr genau, direkt und mit erhöhtem Verständlichkeitslevel für Jelineks Inhalte. Die Partysause dauert eine ganze Weile, fast denkt man schon, der Abend verharre darin und verschreibe sich selbst ein Bilderverbot. Doch dann blitzt und gewittert wieder der Neonröhrenschriftzug am Bühnenhimmel. Anja Schneider verwandelt sich in eine langgewandete Heilige, die den Schutz der Kirche preist. Sabine Waibel in eine blondgefärbte Pegida-Anhängerin, die für die Wiederherstellung ursprünglicher Sicherheit argumentiert und dann zunehmend unentschlossen klagt, dass ihr Mann mit einer anderen Frau ein Doppelleben führt und sie nicht weiß, ob sie ihn verlassen soll.wut2 560 Arno Declair uReligiöse Karikaturen im Kriegsgebiet © Arno Declair

Die Szene spielt im Inneren einer verkohlten Karosserie, was, von Nebelschwaden umhüllt, an ein Kriegsgebiet erinnert. Auf der Motorhaube schließt sich eine Kreuzigungs-Szene an, begleitet von Foltergeschrei und dräuender Musik des Musiker-Duos Bernhardt, dessen Beat-Attacken sich ins Bedrohliche steigern.

"I wish I understood"

Martin Laberenz versucht nicht, den Text mit neuen Bildern zu illustrieren, sondern er konzentriert sich mit seinen Schauspieler*innen auf die menschliche Selbstermächtigung, den Drang, über Leben zu entscheiden. Motive, die der klug gekürzte Text herauskehrt. Und so ist es kein seidiges Durchgleiten durch Jelineks Text, sondern ein sehr konzentriertes Sprechen auf der Bühne, konsequent bis zum letzten Bild durchgehalten, wenn man das Nebeneinander der Religionen mit Kostümen karikiert: als Nonne, als Palästinenserin, jüdischer Rabbi, Saddam-Hussein-Kopie und als Gockel-Camouflage. Jeder darf sein Schlusswort halten, schließlich herrscht gleiches Recht für alle. Aber was nützt es, wenn dem anderen das Existenz-Recht wortreich wieder abgesprochen wird? Die Widersprüche blättert die Inszenierung konzentriert auf.

Man kann sich gut vorstellen, das Nicolas Stemann in seiner Uraufführung den Text stärker zur Bestimmung und Weiterschreibung der eigenen Position genutzt hat. Laberenz leistet sich den einen oder anderen Scherz, nimmt ansonsten die Unvereinbarkeit der Positionen unironisch ins Visier. Auf Abstand bleibt da nichts. Die finale Ratlosigkeit beschert einem schließlich einen schönen musikalischen Rausschmeißer: Abbas "SOS" mit der Zeile "I wish I understood". Ein suggestives großes Fragezeichen. Aber zwischendurch war man dicht am Verstehen dran.

 

Wut
von Elfriede Jelinek
Regie: Martin Laberenz, Bühne: Volker Hintermeier, Kostüme: Aino Laberenz, Musik: Bernhardt, Video: Daniel Hengst, Licht: Marco Scherle, Ton: Björn Mauder, Dramaturgie: Juliane Koepp.
Mit: Andreas Döhler, Sebastian Grünewald, Linn Reusse, Anja Schneider, Sabine Waibel.
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, keine Pause

www.deutschestheater.de

 

Kritikenrundschau

"Man kann als Regisseur entweder zu differenzieren versuchen oder die Unschärfen von Jelineks Text betonen. Laberenz entscheidet sich für Letzteres, was zur zeitdiagnostischen Erhellung leider nur wenig beiträgt", so Christine Wahl im Tagesspiegel (28.2.2017). Dafür sei ihm, immerhin, schauspielerisch ein hochklassiger Abend gelungen, in dem sich die Akteure aus ihrer anfänglich gediegenen Cocktail-Wut-Gesellschaft heraus immer tiefer "in religiöse Bilder und Bildverbote, in Zornassoziationen oder falsch verstandenes Mutbürgertum hineinsteigern" und sich nebenbei als unterschwellig aggressionsgefährdetes Schauspielensemble selbst mitreflektieren würden.

"Laberenz fährt mit zunehmender Dauer des Abends immer mehr Mittel auf. Kostüme werden gewechselt, Perücken ausprobiert, Videobilderpixel bilden zerknitterte Muster, ein ausgebranntes Autowrack wird hereingerollt, Musik bauscht sich zu rhythmisch gekonterten Pophymnen auf", schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (28.2.2017). Der Zuschauer bekomme Hochleistungssport und Virtuosität geboten "mit elefantischer Ausdauer, unverhohlener Denklust und Spielwut beißen sich die fünf Bühnenterrier an den Widersprüchen fest". Fazit: "Auch wenn die Sinnlosigkeit des Unterfangens schon mit besagtem 'Hä?' umrissen ist, lässt Laberenz den Abend und den Text nie zerfallen. Er und seine großartigen Spieler wollen es wissen."

Von einer "Erschöpfung, die glücklich macht", spricht nach diesem Abend Mounia Meiborg in der Süddeutschen Zeitung (1.3.2017). Bisher sei Laberenz in Berlin eher unangenehm aufgefallen. Hier nun könne er sein Talent "zur Gaudi ausleben – und wird sogar dem Text gerecht". Besonders hebt die Kritikerin Andreas Döhler hervor: "ein Wahnsinns-Schauspieler".

 

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