Magda Medea Ulrike

von Esther Slevogt

Berlin, 3. Mai 2008. Die Idee zumindest ist spektakulär: In der Nacht ihres Selbstmords in Stuttgart-Stammheim erscheint Ulrike Meinhof im Augenblick ihrer tiefsten Verzweiflung – als sie damit hadert, die bourgeoisen Reste in sich selbst nie losgeworden zu sein, also das stalinistische Klassenziel der RAF, das Individuelle ganz der revolutionären Idee unterzuordnen, nicht erreichte – im Moment dieses ebenso religiös geführten wie hasserfüllten Selbstgesprächs in ihrer Zelle erscheint Ulrike Meinhof plötzlich der Geist von Magda Goebbels, einer Fanatikerin aus anderen Zeiten. Aus Zeiten, gegen deren Erbe die Meinhof ihren Kampf einmal begründet hatte.

Begünstigt wird diese Konstruktion durch den Sachverhalt, dass es der 8. Mai und damit das Datum des Jahrestags der Kapitulation von Nazideutschland gewesen ist, welches Ulrike Meinhof 1976 für ihren Freitod wählte. Und dass man, wenn man noch etwas großzügiger assoziieren will, den Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses in Stuttgart-Stammheim durchaus als den Führerbunker der RAF deuten könnte. Im Führerbunker unter der Reichskanzlei hatten sich am 1. Mai 1945 Magda und Joseph Goebbels das Leben genommen und zuvor ihre sechs Kinder umgebracht. Und diese Magda Goebbels sagt plötzlich zu Ulrike Meinhof: Hey, du bist wie ich! Wir sind die Untoten, das Unbewusste der Geschichte. Und Exempel für das Scheitern der Frauen beim Versuch, Macht und Politik mit ihrem Geschlecht unter einen Hut zu bringen.

Der 8. Mai 1976 war auch Muttertag

Dieses Scheitern manifestierte sich in Terror und Masochismus. Und in einem instrumentalisierenden Verhältnis zu den Kindern: Magda-Medea-Ulrike. Sonntag, der 8. Mai 1976 war auch Muttertag. Aber soweit geht Magda Goebbels natürlich nicht, wenn sie als fuchsschwanzbehängte, elegant sich wiegende, geisterhafte Silhouette mit Hut und sorgsamer Hochfrisur in der Zelle erscheint, wo die kurzgeschorene Ulrike Meinhof in zerrissener Jeans verzweifelt auf ihrer Pritsche hockt.

Vielmehr ist dies die Arbeitshyphothese der Regisseurin und Autorin Jutta Brückner, die diesem szenischen Laborversuch zu Grunde liegt: ausgeführt in einer spannenden essayistischen Recherche, die parallel zu dem Theaterabend erschienen ist, der jetzt unter der Überschrift "Bräute des Nichts" in der Berliner Akademie der Künste im Rahmen der Feierlichkeiten zum 40. Jubiläum des Signaljahrs 1968 Premiere hatte: ein hybrides Format aus Film, Installation und Life-Performance.

Bunker der Geschichte

Tief unten, in der sogenannten Blackbox, einem von Betonwänden geprägten bunkerhaften Veranstaltungsort im Keller des Akademiebaus am Pariser Platz, ist auf einer Bühne ein äußerst stilisiertes Zellen-Ambiente aufgebaut (Ausstattung: Pedro Richter), dessen dekorative, fast kommerzielle Glätte von Anfang an irritiert und sich am Ende als absolut tödlich für den Abend herausstellen wird: eine Pritsche und ein weißer Tisch mit Hocker davor. Die Beine des Mobiliars bestehen allesamt aus weiß verpackten Büchern. Die Pritsche hat ein blutrotes Laken, auf dem "Andreas Baader" steht.

Alsbald taucht hier ein Chor aus vier schwarz-verhüllten Horrorgestalten auf, die ihre weiß maskierten Gesichter mit Taschenlampen beleuchten. Über ein Tonsystem dringt scharfes Zischen in den Raum, geflüstert skandierte Parolen und Meinhofzitate wie "Mensch oder Schwein!". Oder die bedrohlichen Tonlagen eines komplexen elektronischen Soundesigns (Georg Morawietz). Die Vier werden im Verlauf der zwei Stunden immer wieder in merkwürdig symbolischen Handlungen life zu beobachten sein: beim Aufblasen schwarzer Luftballons oder beim Hantieren mit silbernen Metallkugeln, die irgendwann die Bühne füllen. Manchmal sprechen sie auch Chorisches zur Lage der Frau im Allgemeinen oder Ulrike Meinhof im Besonderen: Wahrscheinlich ist es das schon, das Unbewusste der Geschichte, das hier in äußerst platter Form ins Szenische drängt.

Unterordnung und Auslöschung des Individuums

Die eigentliche Handlung findet jedoch auf der Leinwand statt, wo man Anne Tismer als Ulrike Meinhof in ihrer Zelle eine äußerst präzise Charakterstudie spielen sieht. Besonders der erste Teil macht mit geradezu bestürzender Intensität deutlich, wie die Forderung nach der Unterordnung des Individuellen in ihrer Konsequenz zur Auslöschung des Individuums führt. Eine Weile vergisst man die problematische Austattung, die die Handlung stilisieren soll, aber nur ins Geschmäcklerische verflacht. Doch dann kommt Magda Goebbels, ebenfalls von Anne Tismer gespielt, über Filmmontagen mit ins Bild.

Es ist ein bisschen wie im Wilkie-Collins-Mystery-Thriller "Die Frau in Weiß". Magda erst als wiegende Silhouette, als Schatten im Flur und an der Wand. Ulrike Meinhof schreit, wehrt sich verzweifelt gegen die Erscheinung. Schießlich materialisiert sich die Figur. Es ist ein Glück, dass Anne Tismer sie spielt, die sich auch hier um scharfe pathologische Konturen ihrer Figur bemüht und Abgründe schafft, wo die Vorlage eher im Vagen bleibt. Denn Jutta Brückner ist zu sehr von der Vorgeschichte Magdas gefesselt, die einen jüdischen Stiefvater und einen radikalen Zionisten zum Geliebten hatte, um in ähnlich abstrahierende Zonen zu gelangen, wie bei ihrer Konstruktion der Figur Ulrike Meinhof.

Alles auch ein Drama der betrogenen Frau?

Brückner lässt Magda ihre Geschichte erzählen, ohne dass dies in der eigentlichen Frage, die der Abend stellt, sachdienlich wäre und deshalb eher sensationistisch wirkt. Hinzu kommt, dass es von Ulrike Meinhof auch heute noch stark wirkende, reflektierende Texte gibt, die in den Abend einfließen, während Magda Goebbels im Wesentlichen nur einen Abschiedsbrief an Sohn Harald aus ihrer Ehe mit dem Industriellen Günther Quandt hinterließ. Jutta Brückner gleicht diesen Mangel mit den Liebesbriefen aus, die deutsche Frauen an Adolf Hitler schrieben, als dessen imaginäre Braut sich Magda Goebbels empfand. Trotzdem bleibt Magda Goebbels ein papiernernes Konstrukt von Jutta Brückner.

Auch sonst fügt sich die spektakuläre Kombinationen der beiden Figuren szenisch zu keinem überzeugenden Ganzen. Zumal die Hauptparallele, die hier zwei Frauen in den Nihilismus führt, am Ende im Drama der betrogenen Frau verortet wird: Magda Goebbels, die unter den öffentlichen Seitensprüngen ihres Mannes ebenso leidet, wie Ulrike Meinhof unter denen ihres Mannes Klaus-Rainer Röhl. Zwar ist das Private als politisch längst erkannt. Doch so privat ist das Politische dann wohl auch wieder nicht gewesen. Mit dieser Aneinanderführung banaler biografischer Parallelen jedenfalls verengt Jutta Brückner die assoziativen Räume ihrer Versuchsanordnung, statt sich zum Offenen, Spekulativen und auch etwas Waghalsigen ihrer Konstruktion zu bekennen.


 

Bräute des Nichts
Der weibliche Terror
Magda Goebbels und Ulrike Meinhof
Video-Theater-Performance von Jutta Brückner
Regie: Jutta Brückner, Austattung: Pedro Richter, Sounddesign & Musik: Georg Morawietz. Mit: Anne Tismer sowie Barbara Geiger, Ines Rosenholm, Verena Schonlau und Kristin Wolf (Chor).

www.adk.de
www.juttabrueckner.de

Im Zusammenhang mit dem Projekt erschien als Nr. 53 der Reihe "Recherchen" bei Theater der Zeit, Berlin, Jutta Brückners diskursive Recherche "Bräute des Nichts".

Mehr lesen? Auch Elfriede Jelinek hat sich mit Ulrike Meinhof beschäftigt. Die Nachtkritik zur Aufführung von Nicolas Stemanns Inszenierung ihres Stücks Ulrike Maria Stuart finden Sie hier.

 

Kritikenrundschau

"Wenn Worte Bilder zeugen könnten, wäre dieser Abend ein Triumph", schreibt Andreas Kilb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (5.6.). Denn die Gedanken und Reflexionen der Regisseurin, Filmemacherin und langjährigen Berliner Kunsthochschulprofessorin Jutta Brückner zum Goebbels-Meinhof-Komplex findet er ziemlich stark. Leider hat Jutta Bruckner aus seiner Sicht jedoch diese "Zentnerlast von Reflexionen und Spekulationen" über die so sehr verschiedenen und doch so ähnlichen Frauen, aus der Tiefe ihres Wissens" zwar ans Licht, aber eben nicht auf die Bühne gestemmt, sondern in ein Buch, das parallel zur Video-Theater-Performance erschien und dessen Lektüre er dem Theaterabend vorzieht. Denn den hauptamtlich als Filmkritiker tätigen Kilb überzeugen weder die Filmsequenzen wirklich, wo er die Virtuosität der Schauspielerin Anne Tismer an "der Kälte des Objektivs" abprallen sieht, noch die Theaterteile des Projekts, die der, wie durch seine diskreten Beschreibungen immer noch durchklingt, eher albern findet.

Kirsten Riesselmann
in der taz (5.6.) findet Jutta Brückners Versuch im Ansatz durchaus faszinierend, die Militanz der beiden Frauen, die Anne Tismer aus ihrer Sicht zudem "grandios" spielt, "in schöner poststrukturalistischer Tradition mit einer Mischung aus Psychologie, Machtanalyse und Gendertheorie anzuerklären". Allerdings findet sie die "Engführung zweier derart prominenter Figuren" fast ein wenig spektakulär. Die Filmsequenzen sind Riesselmanns Ansicht nach "sehr viel stimmiger als die Liveperformance-Ideen". Wenn sich der schwarze Geisterchor mal wieder "mit Taschenlampen selbst anleuchtet oder superbedeutsam schwarze Luftballons aufbläst", würde sie ihn "gern von der Bühne scheuchen".

Ähnlich sieht das Christine Wahl im Berliner Tagesspiegel (5.6.), die das Bühnengeschehen unter dem Begriff "platt" verbucht und nur der Schauspielerin Anne Tismer ihre Referenz erweist, der es aus ihrer Sicht zu verdanken ist, dass die Figuren Madga Goebbels und Ulrike Meinhof in den Videoprojektionen nicht im Klischee enden. Dabei hätte das Buch eigentlich alle Vorraussetzungen für einen spannenden Theaterabend gehabt. Die Brücken, die darin zwischen den beiden so unterschiedlichen Frauen geschlagen würden, seien "häufig fragil", und auch Brückners Umgang mit Begrifflichkeiten wie Revolution, Terror und Fanatismus "eher sportlich als streng akademisch". Also alles andere als platt und wie geschaffen für eine Verhandlung auf offener Bühne.

Von einer "spröden und anregenden Sache" spricht Günter Agde im Neuen Deutschland (5.6.), der nicht nur die Konstruktion einleuchtend findet, sondern ausdrücklich auch das Buch lobt. Ausgesprochen positiv findet er auch, dass Jutta Brückners sehr stilisierender ästhetischer Zugriff "ostentativ" der reißerischen Medialisierung des Stoffs wie Oliver Hirschbiegels Spielfilm "Der Untergang" ausweicht. An der konkreten szenischen Umsetzung geht für ihn trotzdem einiges nicht auf. Denn die zerfällt für optisch  zwei Teile, die nicht wirklich zusammenfinden. Einerseits auf der Bühne das Mobiliar und ein wenig überzeugend agierendender Chor, darüber auf der Leinwand als Film die Aktionen der Tismer als Meinhof und als Goebbels "mit eindrucksvollen Blickwinkeln, Schattenspielen, Nahaufnahmen in klaren leuchtenden Farben". Mit Bedauern merkt Agde außerdem an, dass "das Spielerische und der sinnliche Exhibitionismus der Tismer" immer wieder durch "das Abstrahierend-Theoretisierende ihrer Texte" gebremst wird.

 

 

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