Mutmachstück mit Klavier und Kuschelschaf

von Hartmut Krug

Berlin, 18. Juni 2008. Maria hat sich in Adam verliebt, zwei allein erziehende Eltern haben sich gefunden und führen ihre Kinder zusammen. Eine ganz normale Patchwork-Familie soll entstehen, in Berlin, in Marias Wohnung. Doch Marlena und Philipp haben zwar den neuen Vater begeistert aufgenommen, dessen Tochter Ola jedoch lehnen sie ab. Während Adam die Leerstelle des leiblichen Vaters einnimmt, beansprucht 0la allein durch ihre Existenz bereits besetzte Räume, in der Wohnung, im Alltagsgeschehen und im Herzen der neuen Mutter.

Wenn Marlena und Philipp zu Beginn in die Wohnung stürzen, lachend die Tür hinter sich zuknallen und die neue Schwester Ola aussperren, steht diese im doppelten Sinne im Regen. Und wenn dann die Mutter die Situation nicht richtig erkennt, vielleicht auch nicht erkennen will, und Ola mit Schokolade tröstet, zeigt sie nicht verständnisvolle Zuneigung, sondern schafft mit ihrer Beruhigungsstrategie nur neue Konflikte. Nun sind ihre leiblichen Kinder doppelt sauer.

Fremdheit akzeptieren

Auf spielerisch sinnliche Weise springt das Stück der jungen Magdalena Grazewicz gleich mit seiner Eingangsszene mitten hinein in das Problem einer Patchwork-Familie: wie sich kennen lernen, wie sich akzeptieren, wie Nähe und Ferne austarieren, wie Fremdheit akzeptieren, die mir ganz nahe rückt und meine Alltagsgewohnheiten und –gewissheiten zu verändern droht? Die in Polen geborene Autorin, ausgebildet im Fach "Szenisches Schreiben" an der Berliner Universität der Künste, hat ihr erstes Kinderstück (für Menschen ab 8) geschrieben und damit gleich den "berliner kindertheaterpreis 2007" bekommen, den das Gripstheater gemeinsam mit seinem Sponsor ausgeschrieben hat.

Autoren für Jugendstücke sind leicht zu finden, Autoren für Kinderstücke dagegen sind rar. Magdalena Grazewiczs erster Versuch in diesem Genre wirkt noch recht bedächtig, die Autorin argumentiert mit ihren Figuren langatmig und vermag die Probleme der Kinder noch nicht immer in spielerische Situationen zu übersetzen. In der Inszenierung des Problemstücks durch den ebenfalls noch jungen Jens Neumann wird ebenfalls viel zu viel erklärt statt er- und gespielt. Wo sonst in Grips-Stücken die erklärenden Songs für zusätzliche sinnliche Reize sorgen, gibt es hier nur kurzes Klavierspiel zur Belebung der Umbaupausen.

Von Oma träumen

Nur wenn die Schauspieler Kinder spielen, die Spiele spielen, wird es lebendig und sogar witzig. Die Autorin verstärkt das Problemthema, indem sie die neuen Familienmitglieder aus Polen kommen lässt. Während der Vater integriert scheint, gleich für längere Zeit beruflich auf Reisen geht und seine gerade erst nach Deutschland nachgeholte Tochter in ihrer neuen Situation allein lässt, verkriecht sich Ola mit ihrem Kuschelschaf und ihren Träumen an die Oma in Polen im Schrank. Deutsch spricht sie nicht in der neuen Familie, sondern nur auf dem Spielplatz, wo sie mit der türkischstämmigen Selin (Katja Hiller als aufgedrehtes Mädchen in Popstarposen) eine Freundin findet.

Von ihren neuen Geschwistern, vor allem von Marlena (Katja Götz macht die Ängste deutlich, die hinter dem gemeinen Verhalten ihrer Figur stecken) und deren Gemeinheiten, wird sie weiter mächtig gemobbt. Doch da Philipp (Roland Wolff als der etwas naiv fröhliche kleine Bruder) mit Marlena nicht immer sein Fliegerspiel machen kann, kommt es zur Annäherung mit 0la.

Routinierte Gelassenheit

Bei der Problemauflösung wird allen ihr Anteil am falschen Verhalten zugeteilt, auch den Eltern. Michaela Hanser gibt die überforderte, harmoniesüchtige und unaufmerksame Mutter mit routinierter Gelassenheit, während Christian–O. Hille als Adam recht blass bleibt.

Ein Grips-Stück ist immer ein Mutmachstück, und so finden die drei Kinder und ihre alt-neue Mutter nach allerlei Querelen und Katastrophen zueinander. Am Ende steht ein Traum, in dem alle im gemeinsamen Spiel miteinander glücklich sind. Beeindruckend, wie das Grips wieder einmal eine aktuelle gesellschaftliche Erscheinung auf der Bühne zu thematisieren versteht. Trotz der Schwächen des Stückes und der Inszenierung, die wenig Gespür für Tempo und Rhythmus zeigt (und z.B. ein Telefonat zwischen Maria und Adam) nicht spielerisch auflöst, sondern es unendlich lange statisch und trocken ablaufen lässt, sieht man dem Versuch einer jungen Generation von Theatermachern am Grips mit Sympathie zu.

 

Ola meine Schwester
von Magdalena Grazewicz
Inszenierung: Jens Neumann, Bühne: Jörg Finger, Kostüme: Marie Landgraf, Musik: Christian-O. Hille, Choreographie: Kolja Seifert.
Mit: Julia Schubert, Katja Götz, Roland Wolf, Katja Hiller, Michaela Hanser und Christian-O. Hille.

www.grips-theater.de

 

Kritikenrundschau

Ein "heiteres Problemstück", ganz aus der Perspektive der Kinder erzählt, "das sich durch einen spielerisch leichten Umgang mit schwerwiegenden Dingen auszeichnet" schreibt Irene Bazinger in der Berliner Zeitung (21.6.2008) über "Ola meine Schwester". Auch Jens Neumann inszeniert "auf Augenhöhe der mehr oder minder lieben Kleinen". Fast beiläufig und dabei eindringlich würden Werk wie Aufführung vermitteln, "dass sich Konflikte mit Verdrängung jedoch nicht aus der Welt schaffen lassen - und dass es gemeinsam einfach schöner ist". Diese unangestrengte positive Utopie wirke zwar ein "bisschen wie aus dem Märchenbuch", aber, findet Bazinger, "wer möchte ein Stück, das politische Debatten derart einfühlsam mit persönlich erfahrbarer Dringlichkeit auflädt, darum schelten?"

 

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