In der Holofernes-Show

von Michael Laages

Kassel, 4. September 2008. Was wohl zuerst da war: der Wunsch nach einem dieser starken Stücke oder der Gedanke an beider Wirkung zu zweit? Wie auch immer – nun liegt zur Eröffnung der neuen Saison auf beiden großen Bühnen des Staatstheaters in Kassel je ein abgeschlagener Männerkopf herum: der des Propheten Jochanaan in der Oper und der des Feldherrn Holofernes im Schauspielhaus.

"Salome" von Richard Strauss folgt auf Friedrich Hebbels "Judith" – und so, als doppelköpfiges Fanal für "Macht" und "Rausch", taugt auch der Hang und Drang zum Spielzeitmotto was, der in den großen, stilbildenden Häusern längst nicht mehr so stark ausgeprägt und stattdessen in entlegeneren Gegenden angekommen ist. Aber auch wenn das Publikum in Kassel die beiden Kern- und Schlüsselworte der Saison in deren Verlauf wieder aus dem Blick verlieren wird – die beiden toten Köpfe sind nicht so schnell zu vergessen.

Auf der Blutbahn

Und sicher auch nicht dieser Text – denn was immer in Kassel von der Inszenierung des Oberspielleiters Volker Schmalöer zu halten ist, Hebbels Text steht stark und kräftig da. Was für ein kühner Wurf des 26-jährigen Nachwuchsautors aus Wesselburen! Ganz ohne den 1839 weithin noch handelsüblichen Vers-Aufschwung, zimmerte er aus ebenso grobem und kantigem Holz zwei monströse Porträts von noch heute unbedingt zeitgenössischem Profil.

Zum einen den Feldherrn, der zunächst im Auftrag des Königs Nebukadnezar, inzwischen aber längst aus selbstgegebenem Recht eine Blutbahn durch die Welt gezogen hat, auf der er sich als Gott-Mensch gebärdet, und den nichts zu fällen vermag außer dem, was ihm gleicht. Zum anderen die Gotteskriegerin, aus Verstörung und Berufung bereit, alles (und vor allem sich selber) ganz und gar hin- und aufzugeben im selbstzerstörerischen Kampf gegen diesen Nimmersatt.

Dazwischen: hie das Heer, da das Volk, die Krieger des Holofernes und die Bürger der jüdischen Bergfestung, von deren Gott es heißt, er sei dem Feldherrn ebenbürtig. Sie selber allerdings haben längst nichts mehr zu trinken und geben einander kleingeistig gegenseitig die Schuld an der Misere. Ein Weltpanorama ist das, nichts weniger, gezeichnet vor 150 Jahren.

Stahlzylinder mit Sehschlitzen

Da müsste die Inszenierung schon mithalten. Das gelingt jedoch nur insofern, als das Ungeheuerliche des Textes kenntlich bleibt. Mancher Störung zum Trotz. Denn es mag zwar angehen, dass das Feldherrenlager (wie vielleicht der ganze Feldherr selbst) ein bühnenfüllender Stahlzylinder mit Sehschlitzen für den Kampf ist; die jüdische Bergfestung allerdings hat Bühnenbildner Franz Lehr dann mit einem Berg aus leeren PET-Wasserflaschen zugemüllt – wegen Wassermangels. Das leuchtet schnell ein, stört dann aber. Speziell bei Agnes Mann, deren Judith die psychologisch tief verrätselte Geschichte von der nicht vollzogenen Ehe nun durch Plastik-Geknister hindurch retten muss.

Derweil sind die Krieger des Feldherrn eine dekorativ wilde Bande irgendwo zwischen Vorstadtjungs und American Fightclub, schwarz maskiert und mit homophiler Über-Libido durchsetzt. Und Axel Holst als Holofernes gefällt sich (und dem Regisseur und dem Publikum) vor allem als knuffiger Allerweltszyniker: jedes finstre Philosophem eine Pointe. In der Holofernes-Show. Und so ist denn sicher noch in keiner "Judith"-Premiere derart viel (und derart dumm) gelacht worden. Die Steilvorlagen kamen immer von vorne.

Alles da  – aber nicht stark genug

Der Bürger-Chor immerhin ist eine Art Ensemble aus beweglichen Steinen – eine derart graue, dumpfe Welt, da kann diesem lustigen Feldherrn niemand widersprechen, geht allemal zu Recht zu Grunde. Alles, was mit "Judith", diesem Höllentext, gut möglich und zu machen wäre, ist in Kassel zwar angelegt, wird jedoch mit viel zu wenig visionärer Kraft verfolgt.

Da hilft dann auch das Sturmgebraus von Agnes Mann nur noch bedingt – sie ist ein flirrend-feuriger Rache-Engel, wenn sie auch (gemeinsam mit Christina Rubruck als Magd Mirza) allzu lange und blutfontänenreich am Haupte des Holofernes herumsägen muss. Da verrenkt sich die Inszenierung dann noch einmal im dekorativ spektakelnden Einfall – statt sich ganz auf den doch viel monströseren Pakt des Finales zu konzentrieren, in dem die blutige Heldin ihrem Volk das Versprechen abnimmt, sie zu töten, bevor sie dem nunmehr kopflosen Geliebten einer Nacht ein Kind gebären würde.

Noch im letzten Moment aber bleibt sie berechnend – vielleicht, denkt sie, (dann wär’ alles gut!) ist sie ja unfruchtbar. Und nimmt das abgeschlagene Haupt als Souvenir mit nach Hause.

 

Judith
von Friedrich Hebbel
Regie: Volker Schmalöer, Ausstattung: Franz Lehr. Mit: Max Engelke, Axel Holst, Enrique Keil, Marie-Claire Ludwig, Agnes Mann, Franz Richartz, Christina Rubruck, Daniel Scholz, Christian Sprecher, Uwe Steinbruch.

www.staatstheater-kassel.de

 

 

Kritikenrundschau

Nur halb froh zeigt sich Bettina Fraschke in der Kassler Tageszeitung Hessische Niedersächsische Allgemeine (6.9.2008). Sie hebt zwar beeindruckende Schauspieler hervor, zum Beispiel Axel Holst, dessen Darstellung des Holofernes Fraschke mitunter fast subversiv findet, weil er "dem Mannsbild mit seinem stolz gereckten Kinn immer wieder kleine Gesten unterjubelt, die ihn gar nicht machomäßig, sondern fast feminin scheinen lassen." Auch die Verve, der Aufführung läßt sie nicht kalt, besonders wenn der Kampf der Geschlechter verhandelt wird. Trotzdem kann der Abend sie letztlich nicht wirklich überzeugen: Judith' handele "vom heiligen Ernst der Gotteskrieger, denen es allzu leicht fällt, persönliche Interessen mit dem Wunsch des Allerhöchsten zu kaschieren", schreibt sie. Doch die Inszenierung traue Hebbels großen Worten, großen Ideen offenbar nicht ganz. "Dauernd werden sie aufgebrochen, ins Witzige gezogen, Lacher provoziert. Die wuchtigste Ansage kriegt auf einmal den Dreh ins Lächerliche. Vielleicht ließe sich die monströse Sprache, die Wucht der Ideen sonst kaum ertragen? Aber warum dann die Stückauswahl?"

 

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