Kommentarleiste de luxe

von Andreas Schnell

Oldenburg, 22. Oktober 2008. Noch bis zum Sonntag findet in Oldenburg erstmals das Performing Arts Festival "pazz" statt, das die internationale freie Szene nach neuen Formaten, Lösungen, Ansätzen, Ideen durchforstet. Für "pazz" hat das ausrichtende Oldenburger Staatstheater seine Außenspielstätte Exerzierhalle erweitert. In der Halle selbst und den anliegenden Gebäuden am Pferdemarkt findet das farbenfrohe Programm statt, dem auch ein allabendliches Konzertprogramm zur Seite gestellt wurde, auf dass die Theaterabende nicht im steifen Ambiente einer Premierenfeier ausklingen, sondern eher ausgelassen bei Musik von Mardi Gras.bb, Enno Bunger oder Apparatschik.

"Pazz" überschreitet mit seinem Anliegen so lust- wie absichtsvoll die Grenzen des Schauspiels. Da gab es beispielsweise eine Perkussionsperformance um einen Tisch von der polnischen Truppe Karbido, findet eine etwas andere Stadtrundfahrt mit "Urban Lies" und die hoch vergnügliche Europapremiere von "Weetube" vom Theatre Replacement aus Vancouver/Kanada statt. Ein Stück im engen Sinne ist "Weetube" nicht. Es fällt jedes Mal anders aus. Es ist eher ein Konzept mit festem Ablauf und wechselnden Inhalten, an denen auch das Publikum gestalterisch teilhat.

Festival, das Grenzen auslotet

Und das ist im Grunde ganz einfach: Zumindest teilweise vom Publikum vorheriger Performances ausgewählte Filmchen vom Internet-Videoportal Myspace werden an die Wand projiziert. Danach tragen James Long und Maiko Bae Yamamoto die von den Benutzern geposteten Kommentare szenisch vor, nur unterbrochen von ein paar sympathisch trockenen Conferencen. Schon der Einlass wirkt intim: In einem Kellereingang versammelt sich die kleine Zuschauergruppe, die dann über eine Treppe, auf deren Absatz das Schuhwerk zu verbleiben hat, in einen Wohnungsflur geleitet wird. Kissen sind als Sitzgelegenheiten auf dem Boden verteilt, Getränkemitnahme ist ausdrücklich erwünscht.

Die beiden Akteure begrüßen das kleine Publikum herzlich, im weiteren gibt es Popcorn und Kekse. Zur Eröffnung lief am Mittwoch ein Ausschnitt aus "The Sultans Elephant" der Gruppe "Royal de Luxe" mit einer riesenhaften animierten Mädchenpuppe. Nach dem Film beginnt die Arbeit des Theatre Replacement, spielen die beiden Akteure die Nutzerkommentare zu dem Film als Dialog.

Die vermeintliche Anonymität des Pseudonyms

Das widerspricht zum ersten gründlich dem Charakter solch einer Kommentarleiste, deren Inhalte sich eben nur partiell und erst recht nicht in direkter Abfolge aufeinander beziehen und recht absurde Dialoge ergeben. Zweitens schafft die Redundanz von "kinda cool, "awesome", "LOL", "wtf", "creepy" und anderen elliptischen Äußerungen eine teils hinreißende Komik. Drittens finden Dialoge ihren Weg in die Vorführung einer unmittelbaren Kommunikation, die im Alltag in ihrer Derbheit nur nach dem zwanzigsten Bier stattfindet – wenn überhaupt.

Erstaunlich, wie sich Menschen in der vermeintlichen Anonymität des virtuellen Raums beschimpfen – als Schwuchteln, Rassisten und Schlimmeres. Das Verfahren des Theatre Replacement lässt erkennen, was manche Menschen so für mitteilenswert halten und wie Sprache (nicht der Inhalt) durch das Medium Internet geformt wird. Eingefleischte Internet-Kommunikatoren verwenden zum Beispiel "LOL" mit einer Selbstverständlichkeit, die auch einem aufgeschlossenen Theaterpublikum offenbar noch fremd ist. Hier gab es auf Anfrage Nachhilfe: "Laughing out loud" heiße das Kürzel. "ROTF" stehe für "Rolling on the floor" - sich kugeln vor Lachen – und so weiter.

Kommunikation auf der Bühne

Es gibt durchaus auch andere Kommunikationsebenen, die gleichfalls durch eine erhebliche Redundanz auffallen und durch die Darreichungsform als Dialog zwischen zwei Menschen in einem häuslichen Setting aufscheinen: Nicht nur, dass manche Internetbenutzer den gleichen Kommentar versehentlich zweimal hintereinander absenden (gnadenlos ausgespielt vom Theatre Replacement). Auch wo beispielsweise eher über die technische Seite spekuliert wird, wie die Fähigkeit eines jungen Mannes, anderen Leuten in haarsträubenden Situationen eine Sonnenbrille passgenau aufs Gesicht zu schleudern, wird das gleich mehrfach von den einen messerscharf als gut gemachter Trick entlarvt, andere fragen auch nach mehrfacher, plausibler und identischer Erklärung immer wieder, wie das wohl gehen könne.

Das Schöne an "Weetube": Theatre Replacement führt das zwar auf, aber nicht vor. Sie zeigen die subtile Komik des Formats (wenn ein Youtube-Benutzer ein Haiku über Katzenfutter und -exkremente einstellt), anstatt daraus Kulturpessimismus zu schöpfen. Denn das Internet ist eben auch nur eine andere Form der Kommunikation. Besserwissertum, Schmähung und Redundanz gibt es auch sonst. Aber als Medium hat es eben auch seine Eigenheiten, deren immanenter Witz hier leichter Hand herausgearbeitet wird.

 

Weetube
Theatre Replacement
Künstlerische Leitung und Performance: James Long, Maiko Bae Yamamoto.

www.staatstheater.de

 

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