Das Ganze: ein Rausch!

von Michael Laages

Frankfurt, 25. Oktober 2008. In Bernd Noacks frisch erschienener Buch-Sammlung von Skandalgeschichten im Theater erzählt zum Beispiel Jürgen Flimm von goldenen Zeiten – und wie es ehedem selbst eher kommoden Regisseuren wie ihm gelang, das Publikum zu skandalisieren. Womit? Mit einer Operette natürlich. Nirgendwo nämlich war und blieb Aufregung billiger zu haben.

Zum Glück (und seit Walter Felsenstein selig) begann parallel zu derlei Skandalismus die schöne Tradition, den "holden Irrsinn" der Operette (wie bekanntlich Karl Kraus das Genre rühmte) all jenen anzuvertrauen, die nur gelegentlich auf der Bühne singen: Schauspielerinnen und Schauspielern, sowie Musikern und Regisseuren, die hinter und unter süffigen Melodien und sahnigen Geschichten den Geist und Ungeist der Zeiten entdeckten. So mutierte die Operette oft bedeutungsschwer zur Anti-Operette. Im glücklichsten Fall allerdings ist diese Sonder-Kunst, die zwischen allen Stilen zwittert, weder das eine noch das andere.

Höllisch süß vergiftete Cocktails

So ein Glücksfall ist jetzt in Frankfurt zu besichtigen. Die hübsch vertrackte Geschichte von der "Fledermaus" ist als Story klassisch fein und filigran gestrickt – aus den ewigen Jux-Zutaten Untreue und Heuchelei, aber auch aus Schreckensspielen um Lust und Lust-Verlust; serviert in Begleitung eines höllisch süß vergifteten Cocktails aus veritablen Ohrwürmern der Marke Immergrün. Obendrein jedoch ist "Die Fledermaus" auch blanker Blödsinn, Ulk pur.

All dem kommen am Frankfurter Schauspiel der scheidenden Intendantin Elisabeth Schweeger die Regisseurin Karin Neuhäuser und der musikalische Bearbeiter Matthias Flake auf die Spur. Das Ganze: ein Rausch. Und im Theaterspielplan ist jetzt öfter mal Silvester.

Flake hat – wie sich das gehört – das musikalische Material auf das Ensemble zu arrangiert; und es ist blanker Spaß, wie er mit dem klug besetzten Orchesterchen aus Geige, Vibraphon und E-Gitarre plus Rhythmusgruppe die kleinen, verspielten Neurosen der Strauß-Musik neu kenntlich werden lässt, wie er speziell zur Eröffnung des Intrigenstadls zugleich bedient und weglässt, etwa fast die ganze Ouvertüre: weil der im Suff geschundene Anstifter der "Fledermaus"-Rache vor lauter Brummschädel keine Musik mehr hören kann.

Miss Piggy und ein Panzerknacker

Und auch im Folgenden ist alles angestrengt-opernhafte Tirilieren gekappt, die Partitur auf Song-Struktur verknappt; und zwar geschickterweise immer dann, wenn ein Auftritt, eine Szene, den eigenen Charakter ganz ursprünglich aus und in Musik behauptet. So musikalisch klug war lange keine "Fledermaus".

Und Karin Neuhäuser, erklärtermaßen vor allem um fetten Quatsch bemüht, folgt Flake auf die Spur der musikalischen Pointen – und "übersetzt" sie für sich in ziemlich viel Jux und reichlich Dollerei.

Durchs traute Heim der mit kleineren gegenseitigen Betrügereien halbwegs zufriedenen Eheleute Eisenstein tappt mit immer mehr Luftballons behängt ein grüner Kermit-Frosch, und oben auf der Kante von Franz Lehrs Bühnenwänden, die den Raum mercedessternmäßig in drei haushohe Segmente teilen, hocken die munteren Nörgelgreise Waldorf & Statler aus der Muppets-Show und streuen Animal-Erotica aus Robert Gernhardts Werken ein: Witz komm raus, du bist umzingelt!

Erschlagen in den Sesseln

Im Suff-Akt beim Fürsten Orlovsky, hier mal nicht (wie die Partitur es nahelegt) mit Counter-Tenor besetzt, sondern mit einem veritablen Multi- und Maxi-Talentbündel aus Spiel, Gesang und Tanz, treten dann (zwischen Legionen aus bunten Ballons) tatsächlich auch Miss Piggy und ein Panzerknacker neben Asterix und Obelix zum liebestoll-champagnergeilen Bäumchen-wechsel-dich an. Die Ungarin ist eine dralle Country-Braut, und die "Duidu"-Seligkeit wird zur "We are the world"-Schnulze mit Feuerzeug-Begleitung. Bis des Teufels Großmutter die ganze irre Band abholt.

Selbst der finale Farcen-Frosch im fidelen Gefängnis bleibt fern jeder Klamotte – Neuhäuser dosiert den Spaß fett, aber sparsam; ein bis in die Figuren am Rand ganz und gar hinreißendes Ensemble stützt sie dabei.

Und vielleicht bleibt ja irgendwann auch mal die Pause weg – oder der Rausch-Nachschub wird nicht an der Theke im Foyer, sondern gleich im Saal verabfolgt. Aber nicht, dass sich das Publikum die Aufführung schöntrinken müsste – vielmehr hängen wir schließlich wie erschlagen von so viel Vergnügen in den Sesseln. Besser geht's nicht. Prost.

 

Die Fledermaus
Operette von Johann Strauß
Libretto: Karl Haffner und Richard Genée
Inszenierung: Karin Neuhäuser, Bühne und Kostüme: Franz Lehr, Musikalische Leitung: Matthias Flake, Dramaturgie: Marcel Luxinger. Mit: Sandra Bayrhammer, Susanne Böwe, Susanne Buchenberger, Martin Butzke, Victor Calero, Wolfgang Gorks, Mechtild Großmann, Stefko Hanushevsky, Özgür Karadeniz, Matthias Redlhammer, Abak Safaei-Rad und Falilou Seck.

www.schauspielfrankfurt.de

 

Mehr lesen? Im April 2007 hat Michael Thalheimer im Deutschen Theater Berlin Die Fledermaus inszeniert. Außerdem gibt es ein Porträt von Karin Neuhäuser.

 

Kritikenrundschau

Wenn Schauspielensembles sich Johann Strauß' "Fledermaus" vornehmen, dann gingen sie davon aus, sie "sei ein verstaubtes Teil, dem man aufhelfen müsse", schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (27.10.). Und so gingen die Frankfurter Darsteller in der Regie Karin Neuhäusers "ihre Rollen mit Mumm an", sie "tun, was sie können. Da bin ich, ruft jeder Auftritt. Die Handlung bleibt zweitrangig, wie in einer Revue. Die Akteure können sie auch nicht immer brauchen." So aber sei die "Fledermaus" "kein der Krise trotzender Taumel, sondern ein Kindergeburtstag. Mehr Strauss-Musik wäre fatal gewesen: Man hätte gemerkt, dass sie aus anderem Schrot und Korn ist."

Karin Neuhäuser habe, so Guido Holze in der Rhein-Main-Zeitung der Frankfurter Allgemeinen (27.10.), die "Fledermaus" "zwar lust-, aber nicht besonders geistvoll verhackstückt". Die Musik werde "einfach nur lächerlich persifliert, meist wie abgedroschene Schlager ins Mikrophon geplärrt", "Sprüche- und Schenkelklopfen" sei "das Wesentliche des Abends", es komme "bei der Zertrümmerung der in ihrer Menschenkenntnis und Weltweisheit viel tiefer gehenden Operette der Operetten nichts Interessantes heraus". Und Holze postuliert: "Wenn man aber ein Stück für schwachsinnig hält, braucht man es nicht zu spielen".

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