Die Vermessung der Liebesnähe und Distanz

von Esther Boldt

Mannheim, 15. November 2008. Steht ein Schaukasten auf der Bühne, gelborange leuchtend. Darin der reinste Biedermeierkitsch, Polstermöbelsitzecken, ein Flügel, und im Kamin glüht ein falsches Feuer. Über dem Kasten aber meldet ein Schriftzug in schönster Magritte-Schreibschrift Zweifel daran an, dass man dem Augenschein trauen sollte: "Ce n'est pas un salon bourgeois." Denn dies ist nur eine Bühne auf der Bühne, die Seitenbühne und das Materiallager liegen offen.

Regisseur Marcus Lobbes und Bühnenbildner Christoph Ernst spielen an diesem Abend also mit offenen Karten. Und rücken gleich in den Blick, worum es ihnen geht bei Shakespeares "Romeo und Julia": um ein Spiel mit dem Theater selbst und um die Mikrostrukturen der Macht. Lobbes arbeitet hier erstmals in Mannheim, mit seiner Freiburger Inszenierung von Felicitas Zellers "Kaspar Häuser Meer" war er bei den Mülheimer Stücken zu Gast.

Standbilder in der guten Stube

Aus dem Kasten brüllen die acht Schauspieler den Eröffnungschor heraus, der die Eckdaten der nächsten zwei Theaterstunden klärt: Liebe und alte Fehden, Tod und Frieden. Alles klar. Das Personal ist auf die wichtigsten Protagonisten zusammengestrichen, inklusive einer Dame "Capulet", die Texte von Julias Mutter, Amme und Vater spricht. In dem ausweglosen Arrangement aus Sitzgruppen und schweren Vorhängen gruppieren sie sich zu immer neuen Sitz- und Standbildern, denn hier kommt keiner raus. Wenn einer stirbt, dann hat er halt keinen Text mehr.

Was im Falle Mercutios besonders schade ist, denn Michael Fuchs spielt ihn als agilen, oberschlauer Plapperclown, dessen leichfüßige Wortspiele und Altklugheiten man nach seinem frühen Tod etwas vermisst. Neben ihm nimmt sich Taner Sahintürk als Romeo mitunter etwas blass aus in seinem elegischen Liebesleid, seiner trotzköpfigen, strubbelhaarigen Haderei. In der guten Stube werden schnell und umstandslos Szenen überblendet, da schert sich Capulet (Almut Henkel) nicht darum, dass Julia noch in Romeos Armen liegt, sie verordnet Hochzeit mit Paris!

Liebe und Hass ernst genommen

Fast zitierend hangelt sich die Inszenierung durch den Stücktext, manche Szenen nur in ein, zwei Sätzen anreißend, darauf vertrauend, dass der Zuschauer sie kennt. In Auslassungen und Ausbreitungen arbeitet sich Lobbes ab am Text. Ausgetretene Textpassagen werden wiederholt, die Worte aus dem Allzubekannten wundersam herausgeschält und neu zum Klingen gebracht, um nur mit einer weiteren Wiederholung in Sinnentleerung zu landen.

Es ist ein Spiel der Gabe und des Entzugs, das Lobbes und sein Ensemble mit dem Publikum spielen, sie schenken allerhand, sie halten aber ebensoviel zurück. Sie spielen gelegentlich große Gefühle aus, große Bilder aber sind in der Biedermeierstube eine Unmöglichkeit. Weil Lobbes seine Mittel gut kennt, geschieht eine Verzauberung bei allergrößter Transparenz, eine Verführung mit weit aufgesperrten Augen. Obgleich mitunter ironische Distanz zum Stoff entsteht, nimmt er seine Kernthemen ernst und stellt sie frei: Distanz und Nähe, Gewalt und Leidenschaft, Liebe und Hass. In diesem einsam-gemeinsamen Stillleben sind sich alle zu nah oder zu fern.

Kunstreflexion, Todesangst, Sternenstaub

Da verlieben sich Romeo und Julia auf Distanz ineinander, sprechen vom Kuss und stehen meterweit entfernt, während Mercutio zu einer unhörbaren Musik die Beine schüttelt und Capulet ihre Gäste zum Feiern anfeuert. Da schmiegt sich Mercutio in der Balkonszene eng an Romeo, ihm die Wort nach dem Mund sprechend, während Julia im Hintergrund auf einer Sofakante kauert. Und bevor Lorenzo Romeo und Julia traut, türmen sie sich zum heiter-vorfreudigen Körperknäuel auf dem Flügel empor, wo Romeo sich auf Lorenzo und Julia sich auf beide wirft. In diesem Macht- und Liebesgestricke findet niemand eine angemessene Distanz, Entfernung kann zärtlich sein und Nähe brutal, wenn Julia harsch Capulets Kopf an ihre Brust reißt oder Paris sich auf Julia stürzt und an ihren Kleidern zerrt, bis Lorenzo ihn am Hosenbund davonträgt.

Da verharrt die Inszenierung stets faszinierend dicht auf der Kippgrenze vom Heitern ins Ernste, von der Kunstreflexion zu den Gespinsten der Macht. Und sie geht ins Mark, etwa wenn Julia – klirrtrocken bis fieberzornig gespielt von Silja von Kriegstein – schließlich auf dem Flügel hockt und vom Misstrauen angefressen wird, von der Todesangst vor dem, was ihr da in der Gruft begegnen wird. Wie im Schaukasten werden große Gefühle und die bittere Schwäche kommentarlos hingestellt, bei aller Transparenz reichlich Sternenstaub versprüht und dazwischen Shakespeare zum Klingen gebracht – nein, da mault man nicht mit seinem Glück.

 

Romeo und Julia
von William Shakespeare, Deutsche Fassung von Sven-Eric Bechtolf und Wolfgang Wiens
Regie: Marcus Lobbes, Bühne und Kostüm: Christoph Ernst, Dramaturgie: Volker Bürger, Licht: Wolfgang Schade. Mit: Peter Pearce, Michael Fuchs, Thorsten Danner, Taner Sahintürk, Almut Henkel, Jens Atzorn, Silja von Kriegstein, Jacques Malan.

www.nationaltheater-mannheim.de

Mehr zu Marcus Lobbes: seine Inszenierung der Uraufführung von Felicia Zellers Kaspar Häuser Meer war zu den 33. Mülheimer Theatertagen eingeladen.

 

Kritikenrundschau

Für Ralf-Carl Langhals vom Mannheimer Morgen (17.11.) ist dieser Abend "extrem erklärungsbedürftig". Marcus Lobbes' Inszenierung verlustiere sich bei eingedampftem Text vornehmlich auf der Metaebene; für den (eingedampften) Text interessiere sie sich hingegen nicht, es werde "entweder darüber hinweggehetzt oder anschwellend hinweggeschrien". Konflikte oder Emotionen würden zwischen chorischem und stummem Spiel höchstens angerissen, aber nicht gespielt. Da werden nicht nur alle Montagues außer Romeo gestrichen, sondern auch das Haus Capulet "entgegen jeder Textlogik" auf Almut Henkel zusammengestrichen, deren "stimmliches Registergurren" freilich am besten zum "prätentiösen Stil des Abends" passe. "Dialoge und Texte werden mit dem Presslufthammer ineinander geschoben, Lieben heißt Abschlecken und Umklammern, Hassen und Töten heißt Brüllen". Nur selten entstünden da "bewegende Momente – die Liebesszenen sind es nicht". Für Langhals ist dies "das lausigste Theater auf dem Theater seit langem", Lobbes Inszenierung "in ihrer manierierten und dennoch nur behaupteten Selbstreflexion von Anfang bis Ende" langweilig.


Auch Volker Oesterreich von der Rhein-Neckar-Zeitung (17.11.) ist wenig angetan, dass "aus der größten aller Liebestragödien alle großen Gefühle ausgetrieben wurden". "Sinn und Verstand der gewitzten" Übertragung von Bechtolf und Wiens gerate "unter die inszenatorischen Räder", weil Lobbes das Ensemble dazu nötige, "im Expresstempo zu brüllen oder zu schreien". Taner Sahintürk als Romeo und Silja von Kriegstein als Julia haspelten ihre Dialoge "so hopplahopp und lautstark aus sich heraus, dass alles Psychologische, alles menschlich Tiefe" verloren gehe. Lediglich Jacques Malans Bruder Lorenzo dürfe "eine gewisse menschliche Größe zeigen und seine Worte angemessen artikulieren". Dass es im Stück "hochdramatisch" zugehe, wolle der Regisseur "partout verheimlichen, weil er auf keinen Fall in die Kitschfalle der Tragödie tappen möchte".


So sieht es auch Dietrich Wappler in der Zeitung Rheinpfalz (17.11.): "das ganze Romantikgetue, der ewige Gefühlskitsch" sollten bei Lobbes offenkundig "draußen bleiben". Alles sei "zu einer einzigen rastlosen Szene" komprimiert, zu der es "eine blasierte Partygesellschaft von heute" "aus unerfindlichen Gründen in einen musealen Salon verschlagen hat". Gestorben werde dort nicht an Degen oder Gift, sondern höchstens "an einer Überdosis Worte". Nach dem Tod des "Oberpartylöwen" Mercutio (Michael Fuchs: "ganz großartig") tauge nur noch Henkels Lady Capulet als "Partynudel", während drumherum "langweiliges Losertum" herrsche. "Für eine hammermäßige Lovestory" tauge dieses Umfeld nicht. Julia sei bei von Kriegstein "ein schlecht gelaunter Schlacks", "eher Trotzkopf als Traumfrau", deren Schwärmerei für Romeo vor allem "Provokationsmittel gegen die Supermutter" sei. "Dass sie das verwöhnte Weichei" tatsächlich liebe, "glaubt man keine Sekunde".

 

Kommentare  
Romeo & Julia, Mannheim: alles hineininterpretiert!
Mit Verlaub... ! Mir fehlen fast die Worte. Sicher kann man mit dem Kopf in einen gesehenen Theaterabend etwas hinein interpretieren, wo es eigentlich doch gefühlsmäßig, sprich an sinnlicher Wahrnehmung, an allem fehlt. Wahrscheinlich überhaupt am Theater ein Problem der letzten Jahre!
Wie weit wird hier denn, in einer der größten Liebestragödien der Weltliteratur, Liebe, Zorn, Verachtung, Enttäuschung, Haß nachvollziehbar, wenn sich Menschen nicht wahrhaftig begegnen, freuen, scherzen, ängstigen, leiden und aufopfern ?
Ist es an der Zeit, Figuren nur noch vorzuführen oder zu zitieren ?
Wo kommen wir als Zuschauer noch dazwischen auch in Abgründe menschlichen Verhaltens zu blicken, wenn man uns nicht mitnimmt auf die Reise der Entdeckungen ?
Wo bleibt das Lebendige am Theater, das Live Erlebnis, dass eine Faszination, eine Magie, ein Kribbeln im Magen, Lachen und Tränen auslösen kann ?
Ausgestellte Emotionen in der Sprache reichen nicht !

Es bleibt somit, vor allem von der Regie her, ein eher ziehmlich hilfloser und einfallsloser Theaterabend, der vor allem auch die Schauspieler hilflos und alleine läßt, die alle schon besser zu sehen waren !

Ich jedenfalls habe mich gähnend gelangweilt, ob einer "Idee", die mir nichts aber rein gar nichts erzählt.
So komme ich zu dem Schluß, dass es besser gewesen wäre, dass der Regisseur, eher eines Unvermögens wegen, lieber die Hände von dem Stück gelassen hätte.

(Anmerkung der Redaktion: Weil unsere Kommentatoren sich gerne Masken mit bekannten Namen überstülpen, setzen wir alle Namen von Regisseuren, Schauspielern, Kritikern in Anführungsstrichen, bis wir ihre Echtheit verifizieren können.)
Romeo & Julia, Mannheim: arme Schauspieler
Tja,die Schauspieler können einem leid tun... so ein - entschuldigung - Dreck hat nichts auf der Bühne verloren!!
Romeo und Julia in Mannheim: sinnloses Durcheinander
Meine Sitznachbarin applaudierte das Stück mit begeisterten "Bravo" Rufen....
Und ich dachte nur: hoffentlich bin ich nicht der einzige, der die Inszenierung miserabel fand.
Gottseidank bin ich es nicht!
Die größte Liebesgeschichte der Welt wurde zusammengestutzt zu einem sinnlosen Durcheinanderschreien der Schauspieler, die Versorbenen wandelten als Untote über die Bühne und in dem Zuschauer regen sich keinerlei Gefühle.
Ich habe mir viel von der Inszenierung erwartet und wurde vollkommen enttäuscht!
Kaspar Häuser Meer: Verächter sollen Gründe nennen
Gruß aus der Ferne: Marcus Lobbes hat mit seiner Uraufführung von Felicitas Zellers "Kaspar Häuser Meer" einen großen Wurf hingelegt. Ihm Unvermögen vorzuwerfen entbehrt jeder Raison. Esther Boldt argumentiert subtil und einleuchtend. Wo sind die Argumente der Verächter dieses Abends? Erläutern Sie Szenen, füttern Sie Beobachtungen ein, benennen Sie Unstimmigkeiten (der User "Nimtz" macht das wenigstens in Ansätzen)! Rein affektive Bekundungen - "So ein Dreck!" - lässt man nicht einmal auf Hauptschulen gelten.
Romeo & Julia in Mannheim: Potpourri
Wer den Abend gesehen hat, braucht keine Argumente, die die Inszenierung womöglich verklären könnten. Eine Liebesgeschichte wie diese berühmteste aller erfordert Gefühl, Sinnlichkeit, Fantasie und Intelligenz und kein Paar, das in keinster Weise eins ist, dessen Begegnungen untergehen in einem Potpourri von präpubertär dümmlichen Albernheiten wie von Mercutio oder dem Geschrei einer Figur,die sinnlos zusammengelegt in einer gar und gar unlogisch ist (Mutter, Vater Capulet und Amme). Sei es wie es sei, der Abend stimmt nicht und das ist bei diesem Stück mehr als ärgerlich.
Romeo & Julia in Mannheim: neue Erfahrung
Beim Vorsprechen vor einigen Jahren an meinem Theater wagte ich mich ebenfalls an Julias Monolog "Lebt wohl, Gott weiß, wann wir uns wiedersehen" heran. Mein Verständnis für die Sprache Shakespeares ist ein ganz anderes, als das, was ich gestern Abend im Nationaltheater gehört habe. Mit den Anfangszeilen des Chors bebrüllt zu werden war eine ganz neue Erfahrung für mich, ich fühlte mich eher eingeschüchtert als mitgerissen.
In der Erinnerung an den "Baader-Meinhof-Komplex" fühlte ich mich bei der Betrachtung Julias eher in RAF-Zeiten zurückversetzt, leider. Kein schüchternes Mädchen, das im Laufe seiner Entwicklung langsam zu einer Frau heranreift, die für die Liebe sterben würde, und die am Anfang in Shakespeares Denken meiner Meinung nach ihrer Amme gegenüber nie aufmüpfig antworten würde, sondern ein revolutionäre, laute Person tritt hier ins Geschehen, und auf die Polstermöbel.
Mercutio mimt den Applausfänger. Ich vermute nämlich nicht, dass William von einem von 12 auf sechs abgestiegenen Zeiger geschrieben hätte. Schöne Momente, Emotionswechsel am laufenden Band. Hier konnte Michael Fuchs sein Talent beweisen, mit Erfolg.
Um die Textaussetzer von dem Pfarrer zu übergehen sollte man auf Tybalt eingehen, der seine sympatische Arroganz aus dem geschriebenen Werk leider in verschriene Eingebildetheit umgewandelt hat.
Warum ein Telefon auf der Bühne lag, warum alle Textstellen wiederholt wurden, die eigentlich beim ersten Mal auf der Zunge vergehn und im Ohr faszinieren, und nicht beim siebten Mal runzelnde Stirnen erzeugen sollten und warum weder ein Degen, noch ein Fläschen sich in den Händen der Akteure befanden, sondern nur laute Worte krampfhaft zum Tode führten, zeigt wahrscheinlich, wieviel Fantasie der Regisseur seinen Zuschauern zumutet. Ich bin in dieses stück gegangen, ohne über das Leben der Schauspieler, des Regisseurs oder sonst eines Shakespeare-Theater-Menschen Bescheid zu wissen, daher kann ich auch fast keine Namen nennen. Ich finde es nicht plausibel, Leistungen aus anderen Stücken mit dieser Leistung hier zu vergleichen. Jedes Stück ist eine in sich geschriebene und inszenierte Geschichte. Die von Faust gesuchte Helena hat ja der trojanischen auch nicht die Hand geschüttelt.
Ich finde es sehr gewagt ein Stück zu inszenieren, von dem jeder erwartet, dass ein Balkon auf der Bühne gebaut wurde. Ich bin leider so traditionell und kitschig, dass ich gerne Romeo unten und Julia hoch oben gesehen hätte, sich schüchterne und sehr verliebte Blicke zuwerfend, Romeo mit einem Ausdruck, dass er alles für sie tun würde und ihre Stimmt klar und jung, unschuldig verlautend, dass sie nur in seiner Nähe sein möchte. Bitte ohne das Bild Gudrun Ensslins in meinem Kopf.
Romeo und Julia in Mannheim: geht auch ohne RAF
Liebe Shakespeare Expertin:

Mercutio: 'Tis no less, I tell ye; for the bawdy hand of the dial is now upon the prick of noon.'

Das geht auch ohne den sog. Deutschen Herbst.
Romeo & Julia in Mannheim: Verstehe die Kritik nicht ganz
Bin regelmässig in Mannheim und habe diese Inszenierung letzten Sonntag gesehen.Man kann etwas in objektiver Hinsicht feststellen:Hier wird versucht,das Stück Romeo&Julia nicht zu erzählen,sondern zu dekonstruieren.Da heutzutage alles möglich zu sein scheint am Theater, bitteschön,jedem Jungregisseur sein Recht,aber warum mit gerade diesem Stoff so umgehen? Neben mir saßen zwei etwas betagtere Damen,die sich im Laufe des Abends andauernd Fragen stellten wie denn das jetzt zu verstehen sie oder jenes.Vor mir eine ganze Reihe sehr junger Schüler,die immer unruhiger wurden,weil man ihnen keinerlei Chance gelassen hat in den Abend zu finden,mir im Übrigen auch nicht.Ich verstehe auch die obige Kritik von Frau Esther Boldt nicht ganz.Woran soll man bitte erkennen,dass sich der Regisseur am Text''abgearbeitet''haben soll?Am irrsinnig unsinnigen Tempo aller Akteure?Am künstlich opernhaften Geschrei Julias?Am-wie oben schon erwähnt-unlogischen Bündeln einer Figur?Gerade bei solch einem komplexen Stück sollte man doch bitte wenigstens alles verstehen können.Das tut man hier nicht.Da muss ich leider jedwede Kompetenz dieser Dame in Frage stellen.Aber vielleicht hat sie das Stück ja gar nicht gelesen...vermute ich...
Romeo & Julia in Mannheim: Theater als Denkanreiz
Wie immer man zur Inszenierung stehen mag: Das Furchtbarste sind Zuschauer, die immer alles verstehen wollen! Ich gehe auch gern mal aus dem Theater und denke mir: "Ich hab das eigentlich nicht verstanden", so ein Denkanreiz besteht. Theater ist doch (auch) Chaotisch, Unverständlich, Unklar.
Romeo & Julia in Mannheim: Thema verfehlt
Was hat der Regisseur mit dieser Inszenierung aus Shakespeares großer Liebesgeschichte der Weltliteratur gemacht?
Das war wirklich schade und viel zu wenig... Thema weithin verfehlt!
Dabei gibt dieser Stoff doch so unendlich viel her...
Die Liebe und die Herzensungeduld zweier junger Menschen, die alle Gegensätze überbrückt und überstrahlt.
Und eben diese Gegensatzpaare des Stoffes: Hass und Liebe, Leben und Tod, Krieg und Frieden, Licht und Dunkel, Macht/Einfluss und Ohnmacht, Einsamkeit und Nähe als Hauptthemen.
Auch die Entwicklung der 14-jährigen Julia zur liebenden Frau oder der Konflikt zwischen den Familienclans, - das alles kam zu kurz oder leider wenig überzeugend zur Sprache und zur Aufführung.
Große Gefühle muss man auch spielen (dürfen!) und dem Publikum nicht rezitierend vor die Füsse werfen...
Da kann man wohl als Schauspieler nur noch bedingt etwas retten.
Wenn Bühne zum "Guck- und Hörkasten" werden soll, dann sollte das Wesentliche auch gut hörbar (!) herausgearbeitet und gespielt (!) werden.
Julia sprach bisweilen zu leise und schon der "Prolog" des Chores war ein unverständliches Kauderwelsch...
Wenig gelungen: die zur Dame Capulet eingedampfte Rolle der Eltern und der Amme Julias, - das war schauspielerisch wohl auch kaum zu bewältigen. Dass es zwei Konfliktparteien gab, musste man sich weitgehend hinzudenken. Oder die fast zum Nichts geschrumpfte Rolle des Paris mit seiner unglaubwürdig-aufgesetzten Trauer um die vermeintlich verstorbene Julia.
Kurze Lichtblicke gab es natürlich auch, z.B. bei Julias Angst vor der Gruft oder Lorenzos Giftpfanzen- und beim "dea moneta"-Monolog...
Was die Beamer-Einspielungen und der BAP-Song zum "Finale" bedeuten sollten, bleibt wohl das Geheimnis Marcus Lobbes. Wie heißt es im BAP-Song so schön:
Verdamp lang her, dat ich fast alles ähnz nohm ... un dann dä Schock, wie et anders op mich zokohm, merkwürdich, wo su manche Haas langläuf. Nit resigniert, nur reichlich desillusioniert.
E bessje jet hann ich kapiert. ... Et ess lang her, dat ich vüür sujet ratlos stund un vüür Enttäuschung echt nit mieh kunnt...
Positiv, aber (mir) letztlich zu wenig: das Gesehene regt an, sich neu kritisch mit dem Stück und der Inszenierung auseinander zu setzen, - immerhin!
Romeo & Julia in Mannheim: schlechte Erziehung
Oh mein gott ich kann die kritiken nicht verstehen. Das Stück war so super. Vor allem fand ich es super gut, dass es alles in einem raum war. Am Anfang sicherlich etwas irreführend aber im großen und ganzen ein super Stück. Für kritiker, die das klassische Theater mögen und sich wirklich nur strikt auf Shakespeare fixieren ist so etwas nichts. Aber mit den 20 Leuten die mit uns dabei waren hat keiner ein schlechtes Wort über das Stück verlauten lassen.
Ich habe hier sehr viel gelesen und hatte schon angst, dass die Kritiker hier recht haben.
An alle, die das Stück sehen wollen bildet euch euere eigene Meinung und lasst euch nicht von diesen Kritiken hier abschrecken!!!! Neben mir saß auch einer in der vier Reihe mit seinem Heftchen und hat notiert notiert notiert. Die Schaupsieler haben super gespielt und das Stück war wie gesagt einfach auch super modern! Nur sollte man sich nicht zu sehr am original halten. Finde es auch ganz ganz "hässlich" zu schreiben, dass so ein Dreck nichts auf der Bühne verloren hat. Da frage ich mich, was für ein Dreck man in der Erziehung bekommen hat!
Großes Stück. Ich fands gut und super viele andere auch! Man muss sich nur an die moderne Art und Weise im Leben anpassen und nicht das klassische Theaterstück Romeo und Julia im Hinterkopf halten! Ende!
Romeo & Julia in Mannheim: Befragung des großen Gefühls
Wer sich große Gefühle von diesem Abend versprochen hat, wurde sicherlich enttäuscht. Aber die Fragen, die Lobbes hier aufwirft, sind doch durchaus relevant: Gibt es überhaupt noch "große Gefühle" in unserer Gesellschaft? Gibt es eine Liebe, die so wütend, verzweifelt, unauslöschlich ist, dass man für sie in den Tod geht? Muss man sich in einer Gesellschaft, in der zwei Menschen kaum noch ein Leben lang zusammen bleiben, auch und gerade wenn sie es dürfen, nicht von diesem doch sehr idealisierten Stoff distanzieren? Wäre es nicht purer, unglaubhafter Kitsch gewesen, Romeo schmachtend unter dem Balkon zu positionieren? Lobbes versucht, das Stück ins Jetzt zu holen und zu fragen: Womit können wir uns dabei noch identifizieren? Ganz bewusst macht er mit dem Guckkasten doch klar, dass alles auf dieser Bühne ein Spiel ist, ein Film fast, der jederzeit vor und zurück gespult werden kann, der am Ende auch noch einen peinlichen Abspann bekommt. Da geht man eben nicht aus der Vorstellung und denkt, wie nach einer Hollywood-Schnulze: "Ach, war das aber schön!" Nein, man geht nach Hause mit der Frage: Was war das denn? Warum gibt es hier keine Gefühle mehr? Warum schauen sich die Schauspieler kaum an, warum interagieren sie so wenig miteinander? Warum hält Romeo seine Julia nicht im Arm, als sie vermeintlich tot vor ihm liegt? Vielleicht, weil das einfach nicht mehr glaubhaft ist?
Natürlich tragen diese Fragen, diese Idee, nicht die kompletten zwei Theaterstunden. Und natürlich könnte man diese Fragen auch bei jedem anderen Shakespeare-Stück, ja, fast jedem Klassiker aufwerfen. Was Lobbes in seinen Guckkasten packt, wirkt also austauschbar. Das lässt mich mit der Ratlosigkeit zurück, warum er ausgerechnet Romeo und Julia dekonstruieren wollte.
Romeo & Julia in Mannheim: Maximalgegensätze
Sehr geehrter Helmut Zächa, sind Sie eigentlich der Lehrer jener Schulklasse, der Caspar anzugehören scheint und die, wenn ich es richtig verstehe, gestern in der Aufführung war (Schule an Weihnachten?)? Dann wäre ich gern bei Ihrer nächsten Deutsch- bzw. Englischstunde dabei. Zwischen "Thema verfehlt" und "super", zwischen Entwicklungspsychologie und Lust an "super moderner" Performance, zwischen BAP und - ich schätze mal - 50 Cent -, zwischen diese Maximalgegensätzen dürfte es zur Aussprache über die ganz großen Themen des Gegenwartstheaters kommen. Bitte lassen Sie mich hier wissen, wie's war! Ehrlich!
Romeo & Julia in Mannheim: überreichen der Botschaft
In was für einer Welt müssen wir leben, wenn die Menschen so unnahbar sind, dass sogar das Theater das Gefühl für Illusion verloren hat? Verehrter Herr Johansson: "thea'tra·lisch 1. übertrieben gefühlsgeladen, gespreizt, bombastisch, schwülstig 2. das → Theater (1, 2, 5) betreffend 3. die Schauspielkunst betreffend, theater- oder bühnengerecht" (Langenscheidt Fremdwörterlexikon)
So schön die Vorstellung auch ist, ins Theater zu gehen und Menschen zu beobachten, die uns aktuelle Misstände klar vor Augen führen, sodass wir uns nicht mehr darum zu scheren brauchen, sie ist unrealistisch. Theater ist unwirklich, es setzt sich in unserem Kopf erst als real zusammen. Das was wir sehen sind fiktionale Darstellungen, übertrieben und gespielt. Und genau dafür liebe ich das Theater: dass es mir etwas zeigt, was ich nicht von der Straße kenne, sondern in meinen Gedanken nur irgendwie damit verbinden kann. Ich habe noch nie einen Michael Kohlhaas vorm Starbucks die Pferde anbinden sehen. Uwe Topmann zeigt ihn mir auf der Bühne, will mir aber sagen, dass Selbstjustiz manchmal nach hinten losgehen kann. Gretchen hatte nie ein Kleid von Oscar de la Renta an, auf der Bühne sagt sie mir über sieben Brücken aber, was alles in einer Erziehung falsch gehen kann.
Das Nationaltheater ist ja dafür bekannt, sich gerne mit dem Past in das Present zu wagen. Doch nach wie vor finde ich, dass das hier zu weit gegangen ist. Hier wurde etwas verwechselt. Die Botschaft wurde einem auf einem Villeroy und Boch Service überreicht, ohne Illusion und ohne Vorhang.
Romeo & Julia in Mannheim: packende Unmittelbarkeit
Ich bin sprachlos angesichts vieler obiger Kommentare. Wo waren die Zuschauer, die dieser Inszenierung jedes Gefühl, jede Intensität absprechen? Haben Sie sich insgeheim ins Kino geträumt, um romantischen Ausstattungskitsch zu sehen, und - diesen vermissend - Augen und Ohren verschlossen vor der packenden Unmittelbarkeit dieser Inszenierung? Eine Stück wie dieses dient nicht unsrem schaurig schönen Unterhaltungsbedürfnis, wir müssen uns damit konfrontieren, es ernst nehmen, das Unaussprechliche und Unzeigbare zulassen. Nichts anderes tut diese gelungene Inszenierung. Wems nicht gefallen hat, der sollte noch einmal hinein gehen. Und nochmal. Und nochmal. Man wird verstehen.
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