Gartenzwerg unter Wolkenkratzern

von Esther Boldt

Frankfurt am Main, 1. Juni 2007. Es liegt ein Gartenzwerg auf dem Willy-Brandt-Platz, zwischen Bahnhofsviertel, Europäischer Zentralbank und dem Schauspiel Frankfurt. Seit Pfingsten liegt er dort, etwa zwölf Meter lang, vier Meter hoch, mit roter Mütze, weißem Bart und prallem Bauch.

Dazu kam jetzt ein Rollrasen, der den Ort über die kreuzenden Straßenbahnschienen hinweg tatsächlich zu einem Platz machte: Zu einem Raum, den zunächst niemand zu betreten wagte. Banker und Beamte zogen zur Mittagspause einen weiten Bogen um das frische Grün, es roch so fremd und brachte klackernde Absätze zum Verstummen.

Nicht Heimat, sondern Zuhause  

Ein zweitägiger Kongress nimmt den Platz in Besitz, "feel@home. Ein Picknick", ausgerichtet von Matthias von Hartz, bereits sein dritter am Schauspiel Frankfurt. In diesem Jahr geht es in Kunst, Theorie und Tischgesprächen um das Zuhausesein. Der Zwerg greift ironisch die Diskussion auf, die seit Jahren um die Frankfurter Altstadt tobt, in der verlorene Fachwerkhäuser als Repliken wieder errichtet werden sollen. Eine selbst erklärte Weltstadt baut sich in ihrem Inneren ein Nest aus Lehm und Eichenbalken - Identifikationsflächen mit Butzenscheiben.

Sieht so ein 'Zuhause' aus in Zeiten der Globalisierung? Mit dem Begriff wollte von Hartz den der 'Heimat' vermeiden, der allzu sehr nach Sommermärchen und neuem Patriotismus klingt. Von Hartz interessiert aber weniger die nationale Identität als die soziale Zugehörigkeit. Ohnehin nutzen seine Kongresse das Theater als Versammlungsort und packen es damit an der Wurzel – nun ist man also themenbezogen für einen Abend zuhause auf dem Willy-Brandt-Platz. Zwölf Tische deckt die Frankfurter "freitagsküche" auf dem Rollrasen. Je zwei Tischredner sorgen für Gesprächsstoff, darunter der DJ und Radiomoderator Klaus Walter, die Musikerin Melissa Logan (Chicks on Speed), der Sportsoziologe und Philosoph Gunter Gebauer.

Wann und wo sind wir Zuhause? 

An Tisch Nummer 6 spricht Architekt Bernd Hollin, der gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Alexander Radoske die First Class Lounge der Lufthansa im Frankfurter Flughafen entwarf: Zuhausesein in 30 Minuten. Auf ihn folgt Gerald Hintze, Mitarbeiter des Tagestreffs für Menschen ohne Wohnung "Weser 5". So unterschiedlich die Orte auch sind, an denen Hollin und Hintze ihrem Beruf nachgehen: Beide kümmern sich um Gruppen Ruheloser, richten urbanen Nomaden eine vorübergehende Heimstatt ein – sei es mithilfe von exklusivem Ambiente oder mit Johnny-Cash-Songs. Bei allem Erfolg, den Hollin und Hintze mit ihren Konzepten haben, verhakt sich das Gespräch immer wieder an denselben Ecken: Wie ist Zugehörigkeitsgefühl produzierbar? Was zeichnet einen Ort als Zuhause aus? Leitmotivisch bleiben die überkommen scheinenden Antworten: Soziale Beziehungen; die Patina, die Dingen mit der Zeit zuwächst; Erinnerungen, die sie zum Teil der eigenen Geschichte werden lassen; das Unverwechselbare.

Währenddessen wird auf dem Rasen Lachs gegrillt, Rauchschwaden ziehen über die Versammlung, auf den Stufen sitzen einige, die keine Plätze mehr bekommen haben und trotzdem auf ein Bier geblieben sind. Nach dem Ende der Vorstellung mischt sich das Opernpublikum darunter, greift gerne zum angebotenen Kartoffelsalat, zu einem Glas Wein. Ein Picknick, tatsächlich.

Und wo bleibt das große Ganze?

Um das sich etwas Kunst arrangiert. Die Performancegruppe "mamouchi" verkauft bei ihrem Wohnmobil Heimatgefühle. Etwa eine Heimkehr, bei der die vier Frauen den Heimkehrer mit freudigen Rufen und Umarmungen willkommen heißen. Die "Transnationale Republik" hat ihr Meldeamt aufgeschlagen und macht Frankfurter auf Wunsch zu Bürgern ihrer Republik. Und im Treppenhaus des Schauspiels spielt Jürg Kienberger zum "Heimatflimmern" auf, ein kleines Musiktheater, das der langjährige Marthaler-Mitarbeiter gemeinsam mit dem Musikkabarettisten Klaus Trabitsch und dem Musiker Josef Brustmann konzipierte. Die Paraphrasen auf das Heimatlied- und Sprachgut, mit Ziehharmonika, Tuba und Klavier geraten allerdings bald possierlich.

Also hinaus in die Nacht, wo unterdessen die Tische zu einer großen Tafel zusammengeschoben wurden, Leute auf dem Rasen Frisbee spielen oder tanzen. Wieder hat der sonst so karge Platz im Schatten der Bankentürme, in direkter Nachbarschaft zum Bahnhofsviertel und zum Rotlichtmilieu eine neue Visage bekommen. Und sein utopisches Potenzial aufgedeckt: als temporärer sozialer Raum, der Möglichkeiten schafft für Gespräche und Konfrontationen. Zwischen den Abziehbildchen eines vergangenen Heimatbildes wie dem Gartenzwerg, käuflichen Heimatgefühlen, Kienbergers Alpenjodler und dem Zuhause im Vorübergehen, in den Transiträumen des Flughafens, klafft ein Bruch, den "feel@home" nicht schließen kann und möchte. Auch wenn sich die Unternehmung als Kongress deklariert, der zu später Stunde zur Party wird: Erkenntnis lässt sich von hier nicht nach Hause tragen. Doch immerhin: Erfahrungssplitter, kurze Begegnungen, Versatzstücke einer leicht verschobenen, weil sozial anders aufgeladenen Realität unter den Bankentürmen - und vielleicht hat sich das Große Ganze ja auch einfach nur an einem anderen Tisch zu erkennen gegeben?

 

feel@home. Ein Picknick
ausgerichtet von Matthias von Hartz.

www.schauspielfrankfurt.de

Kritikenrundschau 

"Sehr entspannt und wohlfühlig", hat Peter Michalzik die Frankfurter Innenstadt am Wochenende erlebt. In der Frankfurter Rundschau (4.6.2007) schreibt er: "Gute 1 000 Quadratmeter Rollrasen machten den Willy-Brandt-Platz zu einem hübschen Hybrid, man fühlte sich an einem irrealen Ort irgendwo zwischen Gartencenter, Wohlfühlwiese und Freiluftteppich". Richtig interessant, findet Herr Michalzik, wurde es, wenn man über sich selbst nachzudenken begann: "Fühlte man sich jetzt hier Zuhause, wie es der natürlich ironische Wille des Kurators war, oder fühlte man sich gezwungen, fühlte man sich wohl oder fühlte man sich irgendwie unentschieden. Eigentlich, dachte man dann, fühlte man sich so, wie man sich immer fühlt ..."

Auch Reiner Schulze, so schreibt er in der Rhein-Main-Zeitung der FAZ (4.6.2007), hat sich auf dem sonst so unwirtlichen Willy-Brandt-Platz am Wochenende bei "anregenden Tischgesprächen und Jodelmusik" überraschend zu Hause gefühlt. Man erfuhr Interessantes: Gunter Gebauer, Professor für Philosophie und Sportsoziologie etwa hatte eine Flasche weißen Portwein mitgebracht, mit deren Hilfe er seine These vom Fußball als "muskuläre und narrative Heimat" offenbar überzeugend darlegte. Oder: dass Männer als Frauen oder Meerschweinchen im "Second Life" nach einer Heimat suchten. Japaner und Koreaner filigrane Welten ohne Vorbild in der ersten Welt bauten, derweil die Deutschen auch im virtuellen Leben an "Fachwerkhaus mit Sportwagen" fest hielten.

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