Mordspiel in ferner Märchenwelt

von Dirk Pilz

Chemnitz, 21. März 2009. Der Wahnsinn kennt ja bekanntlich verschiedene Formen. Lady Macbeth zum Beispiel hat es derart getroffen, dass sie in einer wilden Szene mit Vorschlaghammer und Schutzhelm auf einen wehrlosen Bierkasten eindrischt, der rasch auch seinen Widerstand aufgibt und geräuschvoll zerbirst. Sie sieht danach rechtschaffen gebeutelt aus, was wir ihr sofort glauben, denn dieser Wahnsinn muss anstrengend sein.

Mister Macbeth hat es nicht eben leichter erwischt. Ihn befördert der Irrsinn regelmäßig zur Rampe, an der er am liebsten auf die Knie sinkt und ins Ferne phantasiert, wobei er seine Augen erstaunlich weit aufreißen und erschreckend starr stellen kann. Wenn er später dann vom Blutrausch ergriffen ist und immer über seinen langen, dunklen Militärmantel zu stolpern droht, die Zunge auf fiese Erkundungswege über seine Lippen schickt, jede Silbe spricht, als sei sie auf der Flucht vor einem unnennbaren Schrecken, ist es fast, als habe er sich in eine sehr seltsame Weltwahnsinnsmischung verwandelt: Er leiht sich seinen Irrsinn zu gleichen Teilen bei Hamlet, Hitler und dem Hyänengetier. Keiner, der ihm diesen Irrsinn neidet.

Nicht identifizieren bitte!
Schlimm steht es aber auch um den jungen Macduff, der fest im Griff eines Jugendlichkeitswahns steckt. Wenn der Herr Papa ihm die Krone verspricht, stürzt er unter pausenlosen "Ey-geil-voll-krass"-Rufen hinunter ins Publikum und herzt sich wahllos durch die Zuschauerreihen. Niemand, der mit diesem tauschen möchte.

So geht das hier zweieinhalb Stunden. Und womöglich muss man es dieser Inszenierung hoch anrechnen, dass sie keinerlei Identifikationsfläche bietet. Nur einmal, wenn Macduff die Nachricht vom Tode seiner Familie vernimmt und er stumm und erstarrt in seinen Kriegerstiefeln steht, dass man die Trauer förmlich knistern hört, ist’s, als gönne sich dieser Abend einen Ausflug ins Mitschluchzfach.

Sonst aber: ein Trauerspiel von griechischem Format, das Bruno Cathomas versucht hat, wobei er das Griechische und das Tragische auf sehr direktem Wege nimmt – er hat das Morden ungeschönt als Morden, die Rache ungeschminkt als Rache inszeniert. Stumm baumelnd die Leichen an langen Schnüren, kreischend geht das Morden vonstatten. Cathomas nimmt seinen Shakespeare sozusagen überwörtlich, indem er nichts als die Mechanik der Gewalt gelten lässt. Kalt, zynisch, brutal und laut ist dieser Abend.

Nach spätestens einer Stunde aber fragen wir uns: was tut's? Sie toben und schreien und wüten alle unentwegt, und doch ist’s, als sei das alles weit weg. Schmerzlich wird es nicht, dafür aber deutlich. Die Bühne: ein zerbeulter Stahlträgerkäfig, der aussieht, als sei eine Bombe eingeschlagen. Der Boden: Holzspäneschlamm, in dem ausgiebig gewühlt und gesuhlt wird. Die Figuren: Irrsinnsmaschinen, Puppen in der Hand von Affekt und Rausch. Und hinter diesem Treiben steht die Chemnitzer Band RADAR auf einem Spiegelpodest und liefert den Alptraum-Rhythmus, der manchmal allerdings sehr nach Cocktail und Chill-Out klingt.

Böse-Buben-Regie
Dazwischen erlaubt sich Cathomas, den die lokale Presse als Berliner Theaterkultfigur angekündigt hat, weil er in Berlin seine größten Schauspielererfolge gefeiert und sich am Maxim Gorki Theater drei Mal bereits als Regisseur versucht hat und übrigens letztes Jahr bei Sebastian Nübling selbst den Macbeth spielte, dieser Regisseur jedenfalls erlaubt sich allerlei nette Regiezutaten. Die Hexen sind drei sehr junge Mädchen in Fee-Kleidchen ("hexy-sexy Sachsenmädels" spottet Macbeth zu Beginn), die beiden Nebenfiguren Lennox und Rosse philosophieren über den Krieg, fallen mitunter auch ein bisschen aus der Rolle und sind überhaupt sehr aufgewertet.

Der entscheidende, weil alles entblößende Regieeingriff ist aber eine namenlose Figur, die immerfort über die Bühne wandelt, mit Vorliebe die Nebelmaschine bedient und den Todeskandidaten ein viel sagendes grünes Kreuz auf den Mantelrücken sprüht, bis er am Ende echt thrillermäßig ins Publikum grinst, von wegen: Nix da, das Morden geht auch nach der Tragödie weiter.

Das ist der Meister Tod, der Figur gewordene Zynismus, der den Lauf der Mord- und Rachedinge protokolliert und zu allem Ja und Amen sagt. Und das ist die Figur, mit der sich die Regie zu identifizieren scheint, weil sie sich in der Rolle des bösen Buben gefällt, der von einer schlechten Welt nur die schlechten Nachrichten übermittelt.

Das Chemnitzer Publikum hat all dies Morden, Schreien und Wüten heftig bejubelt, was in diesem Fall nur heißen kann, dass der Regie das Wesentlich misslang: Dieser Irrsinn hat kalt gelassen. Als ob die Welt des Wahns zu unserem Troste nichts als  eine fremde, ferne Märchenwelt wäre.

 

Macbeth
von William Shakespeare, übersetzt von Thomas Brasch.
Regie: Bruno Cathomas, Bühne: Hugo Gretler, Kostüme: Elke von Sivers,
Musik: RADAR.
Mit: Bernhard Conrad, Bettina Schmidt, Wenzel Banneyer, Bernd-Michael Baier, Nikolaus Barton, Michael Pempelforth, Daniela Keckeis, Karl Sebastian Liebich, Urs Rechn, Tilo Krügel, Michael Ruchter, Sebastian Tessenow, Julia Beier, Pauline Schoenke, Eleonore Weber, Josephine Liebmann, Wilma Keck, Stefanie Drewing.

www.theater-chemnitz.de

 

Das erste Mal als Macbeth trat Bruno Cathomas selbst im März 2008 in Zürich unter der Regie von Sebastian Nübling auf. Zuletzt beobachtete nachtkritik.de den Schweizer Schauspieler in Luk Percevals Inszenierung von Arthur Schnitzlers Anatol im November 2008 in der Berliner Schaubühne.

 

Kritikenrundschau

Bei seinem Chemnitzer "Macbeth" habe Bruno Cathomas, der hier als Regisseur fungierte, allerlei "witzige Einfälle in das Blutvergießen eingestreut", berichtet Uta Trinks in der Freien Presse (23.3.2009); manchmal herrsche "eine merkwürdig heitere Stimmung im Saal, im Warten auf den nächsten Gag." Nur gut also, dass Cathomas "trotz Text-Kürzung und Reduzierung der Figurenzahl auch noch die Idee hatte, eine zusätzliche Rolle aufzubieten: Tilo Krügel ist als, wie es im Programmheft heißt, Pförtner, der zynische Kommentar zum Ganzen", und das sei "großartig". Langweilig jedenfalls würden "die zweieinhalb Stunden Gesuhle in erdig durchsetzten Sägespänen nicht. Das Ensemble ist prächtig in Form. Es gibt auch ganz intensive Momente, da die Figuren tief in ihr Inneres blicken lassen."

 

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