Erlöst zu werden, ist nicht immer angenehm

von Charles Linsmayer

Basel, 3. April 2009. Zu Inszenierungen von Jossi Wieler und vor allem von Christoph Marthaler hat die 1951 in Köln geborene Anna Viebrock auf ihre eigenwillige, neorealistische Weise immer wieder Bühnenbilder oder besser: Bühneninnenräume geschaffen, die die jeweiligen Aufführungen auch optisch-atmosphärisch zum Ereignis machten.

Seit 2002 führt Anna Viebrock in ihren eigenen Raumentwürfen immer häufiger auch Regie, in Basel nach der Laederach-Paraphrase "69 Arten den Blues zu spielen" (2006) und Doubleface oder Die Innenseite des Mantels (2008) bereits zum dritten Mal, und wie immer ist der Blick des Publikums auch in der Produktion "Die Bügelfalte des Himmels hält für immer", die sie wie "Doubleface" zusammen mit Malte Ubenauf kreiert hat, zunächst vom Bühnenarrangement gefesselt.

Der Tumbler rattert und stampft zu Geige und Orgel
Aus Trümmern einer untergegangenen Basler Speiseeisfabrik und nach dem Modell von Geschäftsbetrieben, wie sie in Wien zu finden waren, hat Anna Viebrock den Bühnenraum des Basler Schauspielhauses täuschend echt in eine Textilreinigung verwandelt. Mit einer Waschmaschine, einem Trockner, diversen Bügelapparaten und einem Ladenraum für die Kundschaft im Hintergrund. Befremdlich erscheint nur, dass von rechts ein Balkon in den Raum hinein ragt und dass das Ganze überhöht ist von einer alten Türe, die ins Leere geht.

Die Sache erreicht nur schon einen gewissen Unterhaltungswert, wenn Carina Braunschmidt, Inga Eickemeier und Lilith Stangenberg als Mucki, Lilli und Auguste den Reinigungsbetrieb aufrecht erhalten, an altertümlichen Geräten Hemden, Nastücher und Hosen bügeln, während der reparaturbedürftige Tumbler rattert und stampft und Rüdiger Lotter und Thomas Leininger an Geige und Truhenorgel Mysteriensonaten von Heinrich Ignaz Franz von Biber spielen und Graham F. Valentine im Hintergrund Kunden wie Onno de Vries (Urs Bihler) oder Kroff von Kroffenstein (Pascal Lalo) bedient.

Nur irdische Bügelfalten müssen erneuert werden
Anna Viebrock will aber nicht nur gefällige lebende Bilder, sondern durchaus ein Stück mit tiefschürfendem, ja sogar religiösem Hintergrund bieten. Reinigung wird von ihr unter anderem auch als Schuldbefreiung und Katharsis im religiösen Sinne verstanden, weshalb sie das Reinigungspersonal immer wieder in religiöse Verzückung geraten und Gedichte und Texte rezitieren lässt, die wie Litaneien und Gebete klingen: "Heilige Andacht Kreuzestod bitt für uns, denn wir habens alle Not, bitter Not, Kreuz und Tod, bitter Not, bitt für uns..." Und auch der Titel ist durchaus so zu verstehen, dass zwar die irdischen, vor den Augen des Theaterpublikums hergestellten Bügelfalten immer wieder erneuert werden müssen, dass aber "die Bügelfalte des Himmels für immer hält".

Die Idee hat Anna Viebrock in einem alten Abenteuerroman gefunden, den nicht einmal die Deutsche Bibliothek in Frankfurt oder Leipzig archiviert hat: Waldemar Keller (alias Victor Klages), "Jagd nach der Bügelfalte. Ein bunter Roman", Schützen-Verlag, Berlin 1935. In diesem Roman findet ein gewisser Strunk in einem Buch, das er gekauft hat, einen Zettel, laut dem auf den Finder in Mexiko 10 000 Dollar warten, worauf er sich in naiver Geldgier auf den Weg macht und – natürlich – einem Betrüger auf den Leim geht.

Leichtgläubiger Glückssucher
Anna Viebrock und Malte Ubenauf lassen diese Geschichte, ergänzt mit Gedichten von Henri Michaux, Friederike Mayröcker und Rilke, in lockerer Folge durchspielen. Auf einer Anzeigetafel erscheinen die jeweiligen Kapitel, und Graham F. Valentine mimt mit humoristischem Flair den leichtgläubigen Glückssucher, der am Ende arm und ausgeraubt zurückkommt und vernehmen muss, dass die schnöde verlassene Ehefrau es inzwischen nicht nur mit einem anderen treibt, sondern auch 250 000 Mark geerbt hat.

"Erlöst zu werden ist nicht immer angenehm", heisst es gegen Schluss auf der Schrifttafel, und während das Personal die Reinigungsarbeit in Spitalkleidung und Mundschutz wieder aufnimmt, verkündet der heimgekehrte Abenteurer vom Balkon aus als Kaiser des Planeten Saturn groteske Lebensweisheiten wie "Wer sich ein Auge ausreisst, wird es bereuen" oder "Man muss immer Göttliches in Reserve haben!" Wonach wie zur Bestätigung eine Madonna mit dem Jesuskind im Kinderwagen auffährt und der Abend nach gut zwei Stunden ohne Pause zu Ende ist.

Behelfsmäßiger roter Faden
Es wird viel Slapstick nach Marthaler-Art getrieben, die im Detail bisweilen köstlich humorvoll daherkommt. Wenn Pascal Lalo als Kroff von Kroffenstein unendlich viele Kittel nacheinander auszieht oder wenn zwei der jungen Frauen mit Schachteln ihre Gaudi treiben, in der die eine eine neue Waschmaschine anzuliefern vorgibt, wonach die andere sie mit ganzem Körpereinsatz zerquetscht. Oder wenn Urs Bihler und Graham F. Valentine, die sich nun wirklich nicht ähnlich sehen, als Zwillingspaar wahrgenommen werden wollen.

Zu einem überzeugenden Ganzen aber fügen sich die bunten Einfälle und Sketches weder thematisch noch von einem Plot her, der sich im Verlaufe des Abends immer mehr zu einem höchstens noch behelfsmässigen roten Faden verdünnt. Eine Parodie auf Lebenslügen und verlogene religiöse Gefühle, verballhornt in eine irdische Reinigungs- und Erlösungsanstalt? Am meisten imponierten jedenfalls noch die konsequent durchgehaltene, gelegentlich ins Blasphemische, gelegentlich ins Blödeln absackende kabarettistische Grundstimmung.

Und natürlich das betörend nostalgische Bühnenbild, dem man sich, ohne Anna Viebrocks eigentümliches Talent geringschätzen zu wollen, einen Regisseur wie Christoph Marthaler hätte wünschen mögen.

 

Die Bügelfalte des Himmels hält für immer
eine Reinigung von Anna Viebrock und Malte Ubenauf
Regie, Bühne, Kostüme: Anna Viebrock, Musik: Rüdiger Lotter, Dramaturgie: Malte Ubenauf.
Mit: Carina Braunschmidt, Inga Eickemeier, Lilith Stangenberg, Urs Bihler, Pascal Lalo, Graham F. Valentine, Silvana Arnold. Violine: Rüdiger Lotter, Truhenorgel: Thomas Leininger.

www.theater-basel.ch

 

Mehr lesen? Zuletzt inszenierte Anna Viebrock in Köln im Februar 2009 Der letzte Riesenalk nach einem Roman von Marcel Beyer.

 

Kritikenrundschau

Die "versponnene Geschichte von Waldemar Strunk und seiner Suche nach Glück", wie sie Anna Viebrock und Malte Ubenauf in ihrer Basler Inszenierung "Die Bügelfalte des Himmels hält für immer" erzählen, halte neben dem szenischen Fundament der "Reinigung mit den spirituellen Ansprüchen" noch "viele weitere Schichten" bereit, sagt Ellinor Landmann im Schweizer Radio DRS2 (4.4. 2009). Die Geschichte schlage Haken, nehme "die abenteuerlichsten Wendungen, wird zur Kriminalburleske, zum surrealen Schwank". Die Schichten aber "verbinden sich, werden rhythmisch gestaffelt", und während "im Publikum nach Sinn gesucht" werde, suche man "auf der Bühne nach Erlösung". Gefunden aber würden "Texte, Gedichte, die immer wieder eingestreut werden." Der Abend bleibe "in der Schwebe zwischen Mysterienspiel und Parodie. Klar ist nur eines: Erlösung und Reinheit sind im Irdischen nicht zu haben, dafür ist hienieden Platz für Surreales und für Poesie. Und so findet wenigstens das Publikum dieses wundervollen Theaterabends sein Glück, wenn es denn aufhört nach der Erlösung im Theatersaal, nach dem roten Faden zu suchen."


Die Story, die sich in "Die Bügelfalte des Himmels" entwickle, sei "geschenkt", schreibt Stephan Reuter in der Basler Zeitung (6.4. 2009); sie diene "allenfalls als Erzählgerüst. Strunks surreales Reiseabenteuer spielt sich an Ort und Stelle ab, ist in seinen besten Momenten eine reizvoll versponnene Traumtänzerei – und mithin urkomisch choreografiert". Der Abend verheimliche dankenswerterweise erst gar nicht, "dass er ein fragiles Slapstick- und Anekdotenkabinett ist. Die 32 Kurzszenen leben von Anna Viebrocks skurrilem Humor, sind nicht frei von Durchhängern, aber die Pointen sitzen, das Ensemble harmoniert, die Musik ebenso". Und so werde einem in Viebrocks Traumraum "ganz wunderlich und leicht ums Herz".


In der Basellandschaftlichen Zeitung (6.4.2009) freut sich Jörg Jermann vor allem über Anna Viebrocks Bühnenbild: "Kulissen, wie sie schöner, einheitlicher und skurriler nicht sein könnten. (…) Ein richtiger Gukkasten ist durchgestaltet, der Raum hat ein Dach mit halbrunden, fabrikartigen Lichteinlässen, er ist wunderschön geplättelt und voller Patina." Das Stück aber torkele von stummen Sketches, Slapstick-Einlagen und Abstrusem zu totaler Stille, verdächtiger Andächtigkeit und unerlöstem katholischen Marien-Ulk". Es werde so "der Mangel von mutigen Collagen und Assoziativem deutlich gegenüber eigentlichen Theatertexten von Autoren. Solche Abende verlieren sich oft, tendieren zum Ungenauen und geben sich mit Andeutungen zufrieden." Insgesamt sei der Abend "so schräg, dass er teilweise kippt ins Belanglose und kaum mehr Verständliche, dann hängt er durch wie ein mit Gags, Selbstzelebrierung und Bissigkeiten überlastetes Wäscheseil."


In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (7.4.2009) teilt Martin Halter mit, dass der Prinz von Wales die Bügelfalte 1896 eher zufällig erfand. Seither gelte der "scharfe Knick, der Herrenhosen straffen Sitz und gepflegte Anmutung garantiert, weithin als Inbegriff perfekt gekleideter Männlichkeit". Anna Viebrocks Inszenierungen zeichneten sich üblicherweise "durch opulente Ausstattung und phantastische Schnittmuster aus", ihren Mangel "an roten Fäden und Alltagstauglichkeit" kaschierten sie notdürftig mit "somnambulen Zeitlupen, musikalischen und lyrischen Einlagen" nach "Marthaler-Art". Auch diesmal sei das Bühnenbild "wieder himmlisch", eine "liebevoll eingerichtete Sammlung von industriegeschichtlichen objets trouvés", die Kostüme "sind zauberhaft" und solange "die Kundschaft nur Slapstick, Dummheiten und stumme Faxen macht", ist das "ganz wunderbar". Aber "sobald die Herren Prosa reden und die Frauen in Engelszungenchören Poesie von Mayröcker bis Rilke vortragen", sei es "mit der Stummfilm-Herrlichkeit vorbei". Nach Martin Halters Einschätzung liegt das Problem der Aufführung darin, dass Viebrock "die blasphemisch-surrealistische Begegnung von Rosenkranz und Bügeleisen" inszenieren wolle, "ihr Gottesdienst der Dingwelt" aber in ein "Potpourri von Rosenkranz-Gesetzlein, Weihe-Stimmungen, lebenden Arbeits- und Andachtsbildchen" zerfalle. Dennoch: dank "Graham F. Valentine, dem hinreißend perplexen Möchtegern-Gentleman auf großer Fahrt", sei die "Theater-Katharsis in der Textilreinigung das bislang gelungenste Viebrock-Projekt in Basel".

Alfred Schlienger, er schreibt in der Neuen Zürcher Zeitung (8.4. 2009), konnte sich wieder einmal an "einem Viebrock-Raum kaum sattsehen. So liebevoll abgenutzt, so beglückend banal, so mehrschichtig überhöht kommt er daher." Anna Viebrock und ihr Dramaturg Malte Ubenauf befriedigten mit diesem Plot, der auf einem Roman aus den 1930er Jahren basiert, "ihre offensichtliche Freude an verqueren Räuberpistolen". Der Sinn liege im "zwinkernden Unsinn". Das "disparate Bühnengeschehen" folge mehr einer "Assoziations- als einer Handlungslogik". Viebrock umspiele "ihr Thema quasi essayistisch". Das habe "einigen Unterhaltungswert, weil man den exzellenten Schauspielern ungemein gerne dabei zusieht". Der ganze Abend habe "zweifellos eine liturgische Ausstrahlung. Die repetitiven Muster erzeugen eine seltsame Art von Andacht." Und dennoch: "Die Bebilderung des Bedürfnisses zur metaphysischen Reinigung, der ewigen Erlösungssehnsucht des Menschen bleibt etwas oberflächlich und beliebig."

 

 

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