Dem Frieden sein endloser Krieg

von Anne Richter

Heidelberg, 2. Mai 2009. Da sitzen sie nun mit dem Opfer ihrer Hilfsbereitschaft und wissen nicht weiter. Die Kneipe ist leer und steril. Die schlagkräftige Wirtin Yvonne sitzt gefesselt und geknebelt zwischen ihnen. Die beiden Männer waren nur auf ein Bier vorbeigekommen, als sie Streit mit ihrem Freund bekam. Der hockt jetzt im Keller eingesperrt. Dabei will Yvonne nur sich und ihn wieder frei bekommen, Hilfe braucht sie keine. Weil: Ehe ist für sie – frei nach Trotzki - "eine permanente Revolution".

Doch dafür haben ihre Retter kein Verständnis. Sie sind doch jetzt im Frieden und in der Freiheit der BRD. Beide kennen sich sehr gut mit Gewalt und den Grenzen der Freiheit aus. Denn beide sind altgedient und dem Bier sehr zugetan. Gemeinsam sind sie der Entzugsklinik entlaufen und hier gelandet. Gleich kistenweise steht das Bier im Bühnenraum herum, immer griffbereit und die Flasche Korn daneben. Eine brusthohe Wand im hinteren Drittel des Raumes ist Tresen, Mauer und Campzaun.

Vergangenheit, die nicht vergeht

Richard ist seit drei Jahren vom Einsatz in Afghanistan zurück. Maik bewachte vor über 20 Jahren die DDR-Grenze zur Bundesrepublik. Nun bewachen beide Yvonne. Sie kreisen um die Gefesselte, und ihre Gedanken kreisen um die Erlebnisse an der Front. Ob die nun Todesstreifen hieß oder Markplatz in Kabul, das Ergebnis für die Soldaten ist gleich: Posttraumatische Belastungsstörung mit Alkoholsucht als Folge. "Erstes Bier statt Frühstück", nennen sie das.

Der junge, schon vielfach ausgezeichnet Autor Dirk Laucke hat im Auftrag der Theaters der Stadt Heidelberg das Stück zum Spielzeitmotto "Kampf um Frieden" geschrieben. "Der kalte Kuss von warmem Bier" wurde zur Eröffnung des Heidelberger Stückemarkts 2009 jetzt im goldenen Theaterlaborraum Zwinger 1 uraufgeführt. Dirk Laucke hat Gespräche mit aus Afghanistan zurückgekehrten Soldaten geführt. Als Sohn eines NVA-Soldaten kennt er sich auch bei den altgedienten Genossen aus.

Lauckes zwei Soldaten aus zwei Generationen und zwei deutschen Armeen umkreisen sich, verstecken ihre Narben und Wunden, wollen keinesfalls als "Alki" oder "Psycho" erkannt werden. Doch ihre Vergangenheit beherrscht sie.

Richard möchte seine "Erinnerungen abgeben" wie seine Uniform. Er wollte doch nur sechs Monate in Afghanistan das Geld für die Hochzeit verdienen, nun hat er keine Verlobte mehr, dafür einen Rucksack voll unbeschreiblicher Eindrücke.

Matthias Rott spielt Richard als weichen Mann in harter Schale. Seine zwei (authentisch belegten) Erlebnisberichte lassen die Hoffnung auf Erlösung durch Erzählen aufkommen. Sicher führt er sie auf dem Grad von Sentiment und Schrecken. Schier endlos durchwandert er das schleifenreiche Rondo aus Angstzuständen, Freiheitsbehauptungen und zwischenmenschlicher Gewalt.

Der Schnee von Gestern auf meinem Haupt

Maiks große Sehnsucht waren die Cannabis rauchenden Hippies auf der anderen Seite des Zauns. Sein Auftrag: Republikflucht verhindern. Als sein Kamerad "rübermachen" wollte, musste er sich entscheiden. Sein Kamerad starb und kehrt seitdem zu Maik zurück.

Ronald Funke spielt den NAV-Privatier im Dralon-Hemd, der scheinbar abgeklärt alles im Griff hat. Mit Richard hat er einen "Neuen" gefunden, dem gegenüber er sich profilieren kann. Wenn nur der Widergänger, Dirk Laucke nennt ihn "Stacheldrahtmann", nicht wäre. Natanaël Lienhard spielt diesen als Kunstfigur inmitten der um Frieden kämpfenden Männer wunderbar heiter und gelassen. Mit "Schnee von Gestern" in der Tüte kommt er zu Maik und kippt den Kunstschnee als Asche auf dessen Haupt. Immer wieder wird er unvermittelt in das Eininnerungsrondo zwischen den Ex-Soldaten einbrechen und vergnügt Salz in die Wunden kippen, bis keiner von beiden mehr weiß, wem eigentlich wessen Trauma 'gehört'.

Das ist der gelungene Teil des neuesten Stücks von Dirk Lauke. Es gibt noch eine Rahmenhandlung, in der die beiden Soldaten gemeinsam aus Gruppentherapie und Entzugsklinik ausbrechen. Nach dem ausweglosen Rettungsversuch in der Bierkneipe finden sich Maik und nun Yvonne wieder in dieser Therapieanordnung ein. Diese Rahmenhandlung hat leider nicht die Qualität des Stück-Kerns und bringt die Figuren gefährlich nahe an TV-Helden.

In den Therapiesitzungen vereint der erfahrene Dirk Lauke-Regisseur Henning Bock das Publikum mit den Figuren in einer Runde. Das ist eine superdeutliche, sozial engagierte Form für diesen Rahmen, nötig ist beides nicht. Denn dass Männer wie Maik und Richard "unter uns" sind und ihre Erinnerungen nicht abgeben, sondern nur mitteilen können, haben sie eindringlich bewiesen.

 

Der kalte Kuss von warmem Bier (UA)
von Dirk Laucke
Regie: Henning Bock, Bühne und Kostüme: Nina Zoller.
Mit: Ronald Funke, Natanaël Lienhard, Simone Mende, Matthias Rott.

www.theaterheidelberg.de

 

Mehr lesen über Dirk Lauckes Stücke? Im März 2008 wurde Silberhöhe gibts nich mehr in Halle aufgeführt, Wir sind immer oben im September 2008 in Essen.

 

Kritikenrundschau

"Keine leichte Kost" sei Dirk Lauckes neues Stück "Der kalte Kuss von warmem Bier", meint Alfred Huber im Mannheimer Morgen (4.5.2009), "selbst wenn manches gedanklich allzu simpel gestrickt erscheint". Der "unsentimentale Text und die selbstquälerischen Rückblenden der beiden Männer" verwandelten die Bühne "häufig genug in einen Ort des Schreckens", was auch vergessen lasse, dass Regisseur Henning Bock die "von ihm forcierte Dramatik bisweilen zu sehr der Oberfläche anvertraut". Dazu verführe ihn vielleicht Lauckes Text, "bei dem das menschliche Unglück, immerzu in grauenvollen Zeiten leben zu müssen, (...) gelegentlich eine Spur zu plakativ ausfällt". Selten gebe es hier "schwierig auszulotende Balancen zwischen dem Gesprochenen und Gezeigten". Die Sprache sei vielmehr, "was sie ist: vor allem ein Mittel zur direkten Kommunikation". Bock unternehme damit dann den "durchaus ehrbaren Versuch, über die Sprache Situationen zu fixieren, aus denen wohl niemand unbeschadet hervorgeht, so beklemmend korrekt er darin auch immer gehandelt haben mag". Gespielt werde das von Ronald Funke und Matthias Rott, "mit großem körperlichen Einsatz"; sie sicherten dem Abend auch ein paar "starke, bedenkenswerte Momente".

In der Frankfurter Rundschau (5.5.2009) beginnt Peter Michalzik seine Besprechung von Dirk Lauckes neuem Stück ungewöhnlich politisch: "Die Deutschen" hätten "das Gewaltmonopol des Staates so sehr akzeptiert, dass es ihnen nicht mal mehr auffällt". Der Schießbefehl an der ehemaligen Grenze würde "dem Unrechtsregime DDR angelastet und damit Staatsverbrechern überantwortet". Die "Gewalt, die deutsche Soldaten andauernd in Afghanistan ausüben und erleiden", komme "im deutschen Bewusstsein" gar nicht vor. Der "deutsche junge Dramatiker" Dirk Laucke lasse in "Der kalte Kuss von warmem Bier" einen ehemaligen Grenzsoldaten und einen Afghanistansoldaten aufeinandertreffen. Die Stelle, an der die beiden zusammenhingen "wie Siamesische Zwillinge" sei eben das Gewaltmonopol des Staates. Leider führt Michalzik diesen Gedanken danach nicht mehr weiter.  Bemerkenswert seien "Lauckes klarer, kenntnisreicher Blick und das einfache Raffinement, mit dem er seine Geschichte entwickelt." Bei Maik und Richard handele es sich um "ein grundlos gut gelauntes Komikerpaar, die sich mit einer gesunden Leck-Mich-Am-Arsch-Haltung die Vergangenheit vom Leib halten wollen". Laucke habe "gut recherchiert und für seine beiden Übriggebliebenen einen trockenen Ton getroffen, der die Dinge anspricht ohne irgendwelche Urteile zu fällen". "Wortgewandt und burlesk" erzähle er seine Geschichte, Lösungen biete er keine. Die Frage, "wie das denn ist mit der Freiheit, und wie der Einzelne zurechtkommen kann, mit der Gewalt, die im Namen des Staates ausgeübt wird, stellt er umso nachdrücklicher". Die Heidelberger Uraufführung von Henning Bock könne das Niveau des Textes nicht halten. Sie mache "den Witz zur Pointe" und verharmlose ihn damit. Durch das Sprechen der Schauspieler schleiche sich immer wieder "der Zeigefinger des moralischen Vorwurfs".

In der Süddeutschen Zeitung (5.5.2009) schreibt Jürgen Berger: Die beiden Hauptfiguren verhandelten in Lauckes neuem Stück die jüngste deutsche Geschichte "zuerst einmal gesprächstherapeutisch". Dass Matthias Rott nicht zeige, warum einer wie Richard ganz plötzlich gefährlich werden könnte, gehe am Anfang in Ordnung, weil er so "Lauckes prekäre Kunstsprache im Kern" treffe. Die Figuren sprächen so "verwegen kunstvoll, dass man den einsamen Männern seiner Stücke nicht ungern auf ihren Rutschpartien in die Sentimentalität" folge. Wenn Die beiden die Kneipenwirtin malträtierten, ändere sich der Tonfall des Stücks in Richtung von Simon Stephens "Motortown". Allerdings spiele Laucke "den Hang seiner Männer zum Sadismus" nicht aus, sondern verwende diesen nur als "Referenzpunkt, um eine verquere Kumpelschaft zwischen dem deutsch-deutschen Soldatenduo entstehen zu lassen". Schwerer ins Gewicht falle, dass sich das Stück später zur "surrealen Kolportage" entwickele. Zunächst lasse Regisseur Henning Bock in spartanischer Kulissedas Stück von den zwei Hauptdarstellern erzählen, als ginge es um eine "Wirklichkeitsüberschreibung à la Rimini Protokoll". Später aber stricke er seine Inszenierung als "melodramatischen Thriller weiter". Mithalten könnten dabei allerdings nur noch Simone Mende als schrille, aggressive Kneipenwirtin und Natanaël Lienhard als "sanft bohrender" Stacheldrahtmann. Ronald Funke werde "zunehmend von den emotionalen Kehrtwendungen überrascht", während Matthias Rott bis zum Schluss "ein derart lieber Kavalier vom Kundus" bleibe, dass der Zuschauer, "der hier auf die Folterungen in Abu Ghraib gestoßen werden soll", ungerührt im Theater sitze und auf bessere Zeiten für neue Stücke warte.

 

Kommentar schreiben