Genie und Verbrechen - George F. Walkers Farce als Sommertheater
Wenn die draußen zweimal klopfen
von Ute Grundmann
Leipzig, 25. Juni 2009. Rolly wäre so gern ein genialer Verbrecher – aber leider hat er dieses "Gewaltlosigkeitsding", er kann keinem weh tun. Dabei reichte schon sein Mundwerk für das, was er und sein Sohn Stevie so strikt vermeiden: Körper-verletzung. Gerade haben die beiden wieder mal einen Job vergeigt, hocken ohne Geld in einem Motel und tun zwei Dinge: reden und sich vor dem fürchten, was das Klopfen an der Tür ankündigen könnte.
Keinen hübsch-netten Goldoni gibt es diesmal als Sommertheater vor der Kulisse des Gohliser Schlösschens, sondern eine überdrehte Gangster-Farce, George F. Walkers "Genie und Verbrechen" in der wortwitzigen Übersetzung von Frank Heibert. Dazu hat Ausstatterin Anne Hölzinger vorm malerischen Schlösschen einen alten Wohnwagen aufgebockt und aufgeschnitten. Drinnen Bett, Eichenschrankwand, Eckbank, Tisch und einen Fernseher, der dem Publikum Zeichentrickfilme zeigt. Davor Lämpchenbuchstaben, die "Motel" ergeben, ein Sessel, Kakteen und ein Klo.
Draußen, wo die anderen lauern
Im Wohnwagen ist es vor allem eines: eng. Und damit spielt Regisseur Michael Schweighöfer ausgiebig, von Anfang an, wenn dort Rolly (Thomas Lawinky) und Sohn Stevie (Paul Matzke) überlegen, wo sie die 40 Dollar für die nächste Nacht herbekommen sollen, damit sie nicht rausmüssen, dorthin wo die anderen lauern.
Doch Stevie will die vom Vater geschenkte goldene Uhr dafür nicht rausrücken – Anlass genug für die beiden zu beweisen, dass man auch auf engstem Raum über Tisch und Bänke, durch Fenster und Dachluke gehen kann. Dazu eine Wortkanonade wie ein Pingpongspiel, bis es, Schreck lass nach, klopft: Doch erstmal ist es nur der Motelmanager, ein Sioux namens Phillie.
Doch das nächste Klopfen bringt den Auftritt von Nele Rosetz, die die hart-heisere Gangster-Chefin Shirley gibt, mit der Kalaschnikow, zärtlich "Kaschi" genannt, mal im Arm, mal im Anschlag. Sie steigt den beiden Möchtegern-Verbrechern aufs Wohnwagendach, denn Vater und Sohn sollten eigentlich ein Restaurant abfackeln, haben aber nur die Köchin gekidnappt. Die steckt verschnürt im Bad in der Schrankwand, entpuppt sich aber als Töchterlein des Auftraggebers der ausgefallenen Abfackelei.
Wenn Gangsterbräute verkacken
Rolly wollte sie nur ein bißchen erschrecken – klar, keine Gewalt -, doch bald lehrt sie ihn das Fürchten. Denn nun übernehmen die beiden Ladies das Kommando über die "Dummbeinmänner" oder versuchen es zumindest, und Michael Schweighöfers ohnehin turbulente Inszenierung dreht die Schraube noch ein paar Umdrehungen weiter.
Amanda (Lore Richter) spielt erst das Lolitachen, das noch mit den Wassertropfen der Dusche flirtet – die Rolly zum Vollbad samt Duschgel nutzt, und Thomas Lawinky in nasser Unterhose und ohne zeigt. Shirley erkennt, dass sie die Sache "verkackt" hat und setzt sich aufs Klo.
Dabei kann die Enge des Wohnwagens, mit der die Regie immer wieder spielt, keinen von irgendwas abhalten: Alles wird mit großen Gesten betont komisch gespielt und dabei mit Blick zum Publikum geprüft, ob es auch ankommt. Wortspiele und Kalauer sind vor allem Rollys Ding, der genüßlich verballhornt, was ihm in den Kopf und aus dem Mund kommt. Die Logik hat sich ohnehin längst verabschiedet, es geht in und vor dem Wohnwagen krachend hin und her, Kriegsbemalung und –geheul inklusive.
Und einer aus dem Publikum, das ziemlich still bleibt, darf einmal markig "Halt’s Maul!" fordern, woran sich natürlich keiner hält. Und als dann Amanda merkt, dass Rolly ja keine Schuhe anhat, hebt der an: "Ja, weißt Du, das war so... ."
Und nun könnte die ganze Geschichte von vorne losgehen, doch die Schlossturmuhr schlägt zehn und es ist Zeit für den Applaus.
Genie und Verbrechen
von George F. Walker
Regie: Michael Schweighöfer, Ausstattung: Anne Hölzinger.
Mit: Thomas Lawinky, Paul Matzke, Sebastian Sommerfeld, Nele Rosetz, Lore Richter, Sebastian Hubel.
www.centraltheater-leipzig.de
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aber man muss auch mal den s. sommerfeld erwähnen. hat toll gespielt fand ich. auch schon in der höhle.
offensichtlich tut er es nicht immer, war vielleicht nicht der richtige rahmen.
Am Rande gefragt: War Peter Michalzik eigentlich schon im Centraltheater? Es würde mich interessieren, was er dazu sagt.
Eine gefühlte Viertelstunde zanken sich Vater und Sohn mit den immer gleichen Worten, ob jetzt des Sohnes Uhr oder des Vaters Schuhe als Motel-Bezahlung dienen sollen. Da ist es keine Kunst, den Zehn-Uhr-Schlag der Schloss-Uhr als Abschluss sekundengenau zu treffen.
Furchtbar ärgerlich der riesige Aufwand: Ganz zum Schluss kommt irgendein Fremder auf einem leibhaftigen Pferd dahergeritten, um alle Protagonisten zu erschießen. DAS ist Verschwendung von Steuergeldern!
Wie sieht es denn mit dem Theater das Herrn "Radler" gefällt aus? Sind dafür Steuergelder ok? Oder besser überhaupt keine Steuern mehr für die Bühnen?
Das genannte Statement ist in meinen Augen das infamste und gefährlichste für das theaterschaffende und -liebende Deutschland überhaupt!
@ mike müller: leider ist die aktuelle Hompage des Düsseldorfer Schauspielhauses schon geändert, aber geben Sie bei google einmal Düsseldorf und Diesseits ein und öffnen die gefundene Homepage des Düsseldorfer Schauspielhauses im Cache. In den Zuschauerkommentaren finden Sie zahlreiche Anmerkungen zur Nacktheit und zur Körperbehaarung von Wolfram Rupperti in diesem Stück. Ein weiterer Tipp, der leider ebenfalls nur noch über den Cache funktioniert: bei google Bayerisches Staatsschauspiel und Gesäubert eingeben. Viel Erfolg!
Die "Nacktszenen" in diesem Fall, finde ich eigentlich völlig indiskutabel. Aber lustig, das man sich am meisten darüber aufregt. Über die Gesamtqualität der Inszenierung lässt sich natürlich streiten, bzw. feststellen das es soooo der Hammer nicht war. Aber kann ja auch am Wetter liegen...(wobei mit Sachen duschen auch keinen Sinn ergeben hätte...)
Aber H.Sommer in welchen Beiträgen von "angezogenen" Zuschauern sehen sie denn hier gewisse Maße von Körperteilen kommentiert?
Insgesamt habe ich mich aber selten so sehr gelangweilt im Theater - schon gar nicht im Sommertheater. Und ich hatte so gehofft, die Zeit der gepflegten Langeweile sei in Leipzig nun endlich vorbei. Schade.
P.S.: Der Verschreiber in der Dachzeile - "als Sommertheater des Schauspiels Leipzig" - nimmt da nahezu freudsche Ausmaße an...
jede(r) ist doch gern mal voyeur, auch wenn manche ein dickes moralmäntelchen tragen um die eigene lust am am optischen stimulus geheimzuhalten. vielleicht sogar vor sich selbst... wenns hilft, nur zu...
meine meinung: wenn es der aussage dienlich ist- nur her mit den nackten. aber als derart plumpes mittel, wirkt es albern, krampfig und eher peinlich, statt "shocking", überspitzt, skurril - oder was auch immer angestrebt wurde...
da die kostümgestaltung (inklusive perücken- bzw. frisurdesaster) ebenfalls superöde ausfiel (bis auf die vampiergebisse, die hätte man gleich von anfang an tragen sollen...da wirkte das kreischen gleich viel angenehmer), war nackig oder nicht dann allerdings auch wurst.
mag sein, dass das eine altersfrage ist. (?)
dann scheine ich mit anfang 30 jedenfalls nicht zur zielgruppe der skala-leute zu gehören. tut mir wirklich leid, soviel negatives von mir zu geben (steckt ja sicher viel arbeit und mühe drin) aber ich war ziemlich enttäuscht und wünschte mir für leipzig wirklich mehr als das! ich möchte berührt werden! ich möchte lachen, staunen, mich fallen lassen und trotzdem denken müssen/können.