Choreografie der Gequälten

von Andreas Wilink

Köln, 26. September 2009. Das Eröffnungsbild kreiert die Stille des Anfangs. Paradiesischen Zustand. Eine Unschuldvermutung. Dann wird es Licht. Das Drama beginnt – und der Zerfall setzt ein. Es "ward eine Finsternis über das ganze Land", sagt Matthäus, Kapitel 27, als auf Golgatha gestorben wird. Der Tod der Cordelia und des Lear behauptet eine ähnliche Wirkung. Aus dem Dunkel, dem noch Ungestalteten, heben sich schemenhaft Körper, die in schwarzen Nebeln zu schwimmen scheinen.

Nur zur Rampe hin, wo eine niedrige Backsteinmauer die Grenze zieht, die später – Schlachtengetümmel ersetzend und übersetzend – zerhauen und geschleift wird, bewegt sich in einem Streifen Helligkeit eine schmale Gestalt. Ihre Stimme, die von den Gipfeln der Verzweiflung herab über die Agonie des Alters und die Schwere der Gattung redet, kommt aus dem Off, während sich ihre Trägerin, Barbara Nüsse, für den Lear bereit macht und einkleidet.

Shakespeare als Elementarereignis

Was mit großer Geste beginnt, kann nicht klein enden. Karin Beiers "König Lear" zur Eröffnung der Spielzeit am Kölner Schauspielhaus hat den Mut, die Konsequenz und den Willen zum Weltdeutungsdrama, das hier ein Weltendedrama meint, in dem das, was ist, nur eine Silbe, eine Sekunde, einen Licht-, Kleider- und Stimmwechsel getrennt ist vom Nichts. Den Zwischenraum – mit der Ver-Nichtung von Ordnung – füllen 140 pausenlose Minuten schmerzhaft intensiv, unfeierlich, unerbittlich, radikal. Bis auf die Knochen freigelegt, lässt die Inszenierung keine Gefallsucht, strapazierte Aktualitätsfloskeln und entleerte Dekonstruktionsformeln zu. Nach diesem Abend weiß man wieder, warum überhaupt man ins Theater geht.

Wir glauben den Raum zu kennen. Er setzt Zeichen, nicht mehr und doch genug, um eine Spiel-Welt zu konturieren und zu imaginieren. Johannes Schütz hat einen seiner Baukästen skizziert, in dessen Leere jeder Gegenstand abstrakt bleibt und doch konkret darstellbar, dynamisierbar und fühlbar wird, jede Form des Menschseins sichtbar und untersuchbar wird. Drei Monate nach Jürgen Goschs Tod tritt eine Regisseurin, wenn zwar mit ihrer ganz anderen Geschichte, ihrer progressiven Entwicklung und besonders ihrer ureigenen Musikalität, das Erbe eines zwingenden Theaters an, richtet den Blick unabwendbar auf die Natur des Humanen und zeigt Shakespeare als Elementarereignis.

Allein unter Frauen geht die Welt zu Grunde

Karin Beier besetzt das Stück rein weiblich: Die Welt geht allein unter Frauen zu Grunde. Sechs Schauspielerinnen in Reifrock und Hosen, in Tweed und bunten Pullundern, ausstaffiert wie für den Club des toten Dichters oder kostümiert für die Zirkusmanege (Greta Goiris), lassen das Niedere und Erhabene umstürzen, sich einander annähern und antithetisch konfrontieren. Sie ergänzen Shakespeares Endspiel um Farben der Groteske, stellen Kontaktstellen zwischen Komik und Katastrophe her und bringen – mit roten Nasen und Narrenpritsche – Beckett und Grock ins Spiel.

Man hat den Besetzungs-Coup bald vergessen, bei dem das Ensemble (mit Ausnahme von Nüsses Lear) doppelt und dreifach das "Fach" wechselt, Überblendungen herstellt und Bruchstellen markiert, so dass etwa Edmund, Cordelia und Narr bei der immens begabten Kathrin Wehlisch eine passagere Existenz zwischen Irrwisch und Intelligenzbestie führen. Gleichwohl legt sich etwas verletzbar Weiches in die Figuren, die die Pein qualvoller, die Verzweiflung ungeschützter, die Grausamkeit brutaler macht, wenn Körper, die gebären und nähren, zugleich den Tod bringen oder ihn erleiden.

Wucht und Zartheit einer Bach-Passion

Im Konfektionsmantel mit Schlips und Anzug, eine Papierkrone auf dem Kopf, teilt Lear sein Reich, erhöht und verdammt. Kurz angebunden, trocken, harsch und kalt: der Machthaber als sturköpfiger Beamter, der vor der Pension steht, bis sein durchs Äußerste zur Erkenntnis gebrachtes Wissen und Gewissen ein Mahnmal des Jammers schafft. Mit nackten Brüsten, rührend mädchenhaft, wahnwitzig heiter, aufs Ursprüngliche geworfen, trotzt die grandiose Barbara Nüsse gewissermaßen a capella, ohne lautes Beiwerk dem Sturm auf der Heide, während aus Schläuchen und Wassereimern Nässe auf sie pladdert.

Lears Erschütterung unter dem Entmächtigungsgesetz, die Notgesänge Gloucesters (Julia Wieninger), dem in einer aufgeputschten Disco-Szene die Blendung widerfährt, die gerissen-gewitzte nietzscheanische Überlebenstechnik Edmunds, der Ichverlust Edgars (Anja Lais), die Verhöhnung des Anstands durch die mörderischen Töchter, gemildert vielleicht durch eine Andeutung früheren Missbrauchs seitens des Besitzer-Vaters, erzeugen einen unheimlichen Bannkreis.

In dieser kaputten, verrohten Welt sind Mordtat, Leichenfledderei und Geschlechtsakt, geile Zurschaustellung und erbarmenswerte Entblößung eins. Die Choreografie der Gequälten und der Quälgeister hat die Wirkkraft eines Goya, erreicht Wucht und Zartheit einer Bach-Passion, wiederholt die formvollendeten Gewalt-Exzesse bei Anthony Burgess und ist doch immer auch Authentizitäts-Performance auf der Höhe und aus den Tiefen der Zeit.

 

König Lear
von William Shakespeare
Deutsch von Rainer Iwersen / Fassung von Karin Beier
Regie: Karin Beier, Bühne: Johannes Schütz, Kostüme: Greta Goiris, Musik: Jörg Gollasch, Musikerinnen: Silvia Bauer, Yuko Suzuki. Mit: Barbara Nüsse, Anja Herden, Anja Lais, Angelika Richter, Kathrin Wehlisch, Julia Wieninger.

www.schauspielkoeln.de

 

Mehr lesen? Karin Beier, 1965 in Köln geboren und seit der vergangenen Spielzeit Intendantin am Schauspiel Köln, hat das das dümpelnde Haus im Turbotempo wieder in die Oberliga gespielt. Im Februar 2009 kam am Wiener Burgtheater Caldérons Das Leben ein Traum am Wiener Burgtheater. Im Mai 2008 kam am Schauspiel Köln ihre imponierende Grillparzer-Aneignung Das Goldene Vlies heraus.

 

Kritikenrundschau

"Ein irrer alter Mann, ein wüstes Land." Christian Bos evoziert im Kölner Stadt-Anzeiger (28.9.) dieses "erste" Lear-Bild und meint weiter: "Samuel Beckett fand hier sein Menschenbild." Karin Beier habe nun in ihrer Inszenierung den "König Lear" auf "diese Beckett'sche Grundsituation reduziert. Das ist, zumal zum Saisonauftakt des Kölner Schauspiels, mutig. Und es macht das große Stück nicht kleiner, seine Wahrheiten jedoch umso bitterer." Die Landschaft des Lear – wie Beier sie zeichne – sei "eine von jedem Sinn entkleidete Wüste des Realen, frei von den Sinnzuschreibungen, mit denen der Mensch sich seine Umwelt erst erträglich macht. Weshalb auch die Aufführung für den Zuschauer zur Anstrengung, für manche vielleicht sogar zur Zumutung, wird. Hier gibt es keine durchpsychologisierten Figuren, mit denen man sich identifizieren, an denen man sich festhalten könnte. Barbara Nüsse ist als Lear erst ein schroffer Machtmensch, dann ein verärgerter alter Mann, dann ein nackt umherspringender Irrer, dann ein gebrochener Greis und endlich tot." Das sei "schonungslos, und anders kann man auch Nüsses Spiel nicht beschreiben. Wie schön, wie schrecklich, sie wieder in Köln erleben zu dürfen."

"Das ist das stärkste Frauenstück seit Shakespeares Tagen", schreibt Ulrich Weinzierl (Die Welt, 29.9.). Allerdings: "Den Lear als Hosenrolle, das gab es schon: Weiland Marianne Hoppe, von Robert Wilson dazu angestiftet, ist einst in Frankfurt tapfer Köln voran gegangen." Ob dies ein Fortschritt war, sei aber vorerst mal dahingestellt. Hier jedoch wurde "beträchtlich radikaler" besetzt: "Alle haben sie (...) Frauenkörper." Und "mag sein, die Sache hat irgendwie mit Feminismus und dem Patriarchat zu tun. (...) Allein, die Frage bleibt: Was bringt's?" Nichts, antwortet der Kritiker: "Die All-Female-Version könnte freilich Schule machen, etwa bei "Julia und Julia"." Doch niemand möchte leugnen: Zuweilen gelingen "hübsche Momente und Arrangements voll Bildkraft, in ihrer Einfachheit überzeugend. Trotzdem hat – wie so oft – Loriot das Trefflichste gesagt: Ein Leben ohne Möpse (in des Wortes doppelter Bedeutung) ist möglich, aber sinnlos. Dasselbe gilt für 'Lear' ganz ohne Mann."

Wie Barbara Nüsse den Lear spiele – das sei ein "mimisches Ereignis", schreibt Hartmut Wilmes in der Kölnischen Rundschau (28.9.): "die schnarrende Arroganz und Ignoranz der Macht, die Schrullen des Alters und dann den Irrsinn, der den schmächtigen Leib durchzittert – das sollte man gesehen haben." Karin Beier werfe "Shakespeares Untergangsfresko mit ebenso energischem wie breitem Strich auf Johannes Schütz' fast leere Riesenbühne. Als wär's ein Beckett-Endspiel im Teilchenbeschleuniger." Und sie mische "die Wucht der Jämmerlichkeit mit beherztem Klamauk und schraubt die Inszenierung rasant ins Chaos: Männlein und Weiblein, Könige und Clowns, Blut und Tränen – irgendwann ist das auf diesem Höllentrip einerlei. Das infernalische Getümmel aber hat Risiken und Nebenwirkungen, verschluckt manch intime Einzelszene und lässt die Tragik oft eher exaltiert als intensiv wirken."

"Dass alle Darstellerinnen Frauen sind, scheint für Karin Beiers Inszenierung gar nicht so entscheidend", vermutet Dina Netz auf Deutschlandradio Kultur (26.9.) "Aber dass die Rollen wechseln, sehr. So kann sie zeigen, dass sich die Kategorien Gut und Böse verwischen, niemand nur das eine oder andere ist. Denn das andere Gesicht der herzensguten Cordelia (Kathrin Wehlisch) ist Edmund, der seinen Bruder beim Vater Gloucester anschwärzt. Nur eins haben alle Figuren gemein: Sie sind grotesk bis zur Lächerlichkeit." Dieser "Lear" sei "kein großes Drama, sondern eine große Freifläche für die Schauspielerinnen, die zahllose Nuancen des menschlichen Wahnsinns zeigen können." Karin Beier habe ihrer Regiehandschrift "mit dieser hochphilosophischen und hochselbstreflexiven Inszenierung (...) eine weitere, leuchtende Facette hinzugefügt".


"Shakespeares Drama ist das Drama des Alters", schreibt Vasco Boenisch in der Süddeutschen Zeitung (1.10.). Weswegen Karin Beier in ihrer "Lear"-Inszenierung den Abzählreim "Eene mene meck, und du bist weg", zur "närrischen Weltenformel" erhebe. Überdeckt wir für den Kritiker diese Ebene jedoch von der Anstrengung, durch konsequente Frauenbesetzung eine "weibliche Sicht aufs Stück" herauszuklopfen, die sich ihm jedoch nicht erschließt. So bliebe eine "eindrucksvolle, weniger eindringliche Schauspielerverausgabung". Karin Beier "wäre wohl gern Jürgen Gosch". Aber: "Wo bei Gosch Maskeraden und Exzesse intuitiv wirkten, elementar, wirken sie bei Beier gewollt, aktionistisch."

Kommentare  
Karin Beiers Lear: Genau SO
Vielen Dank für diese Kritik! Wir haben vieles genau SO emfpunden.
Karin Beiers Lear: Dudelei
mehr affirmative Dudelei ist dies, nicht Kritik
Karin Beiers Lear: bloß modernistisch
ja, is lieb gemeint - gewisse Merkmale pflanzen sich fort, wie auch nicht, wenn das Bild schon fast zum Markenzeichen geronnen ist, aber dennoch, Ähnlichkeit kann zwar den Reflex auch in der Reaktion provozieren, aber nicht jeder ist gleichermaßen überzeugt. Das Ästhetische Programm ist vernehmlicher als die Poesie und das macht die Sache dann doch bloß modernistisch. Aber nicht schlecht, wirklich.
Karin Beiers Lear: verwirrend und flach
Die Inszenierung verwirrend und flach. Sollte Theater nicht Geschichten so erzählen, dass auch der, der den Originaltext nicht gelesen hat, sie versteht ...?
Karin Beiers Lear: äh, nö!
Ähhhhhhhh - nein, soll es nicht!
Karin Beiers Lear: was wir nicht wollen
...sonst wären wir mal wieder bei der kehlmann-debatte
Karin Beiers Lear: Kritik ist 'far too much'
Sorry Leute,diese,eure Nachtkritik zum Kölner Lear liest sich wie der abenteuerlich bemühte Versuch,der(ebenso abenteuerlich)ambitionierten Inszenierung eine poetische,mutige,verstörende,performative Dimension einzuhauchen ,die dieser Abend aber leider zu keinem Zeitpunkt gehabt hat.
Beim Premierenpublikum hat man um sich herum mehr (höfliche) Fragezeichen als interessierte,konzentrierte Zuschauer wahrgenommen-und es kommt mir stark so vor als wolle man mit dieser Kritik etwas schön und gut reden was aber tatsächlich fremd und fern blieb.Dieser Abend lebt,wenn überhaupt,von den 6 tollen Schauspielerinnen und nicht von dem doch sehr kalkulierten und durchschaubaren Konzept eines irgendwie apokalyptischen Hexentanzes.Dazu ging es leider um zu wenig,es wurden ein paar wilde Bilder gebaut und alles war ein bischen schmutzig,nass und ungemütlich- ABER,Frau Beier, (trotzdem&und sowieso) in allen Ehren,das war nicht mal annähernd in der Nähe eines Gosch Abends-muß es auch gar nicht,ich finde nur mit solchen Aussagen hier in der Nachtkritik verwässert man sowohl das Eine als auch das Andere.Frau Beier macht einen Super Job hier in Köln,und wir sind sehr froh das wir sie haben,und es ist auch gar nicht schlimm wenn man mal daneben greift,man erkennt trotzdem den Versuch neue Wege zu beschreiten-alleine das verdient Annererkennung genug, ABER : "(...) die Wirkkraft eines Goyas,die Wucht und Zartheit einer Bach-Passion,die formvollendeten Gewaltexesse eines Anthony Burgess und doch immer auch Authentizitäts-Performance auf der Höhe und aus den Tiefen der Zeit." das ist echt 'far too much'!Da mußte ich lachen.Oder ich hatte wirklich sehr viel schlechtere Plätze an diesem Abend!
Karin Beiers Lear: kein "Macbeth"-Niveau
Auch uns hat die neuste Inszenierung Karin Beiers überhaupt nicht überzeugen können.Man saß als Zuschauer doch recht ratlos da,zumal der Abend akkustisch und dramaturgisch sehr zu wünschen übrig ließ und man nicht in einem guten spannenden Sinne überfordert war.Die Nacktheit und den Schmutz haben wir,obwohl älteren Semesters,nicht als provokant oder störend empfunden,es hat uns aber auch in keiner Weise berührt.Auch wir haben seinerzeit die berühmte Macbeth Inszenierung in Düsseldorf gesehen,welche uns eindrucksvoll in Erinnerung geblieben ist.Der Kölner König Lear erinnert zwar ein wenig an diese Inszenierung erreicht aber nicht jenes außerordentliche Niveau.
Karin Beiers Lear: damit ist niemandem ein Gefallen getan
also auf keinen Fall hat das was mit den Inszenierungen zu tun die ich genauso vermisse wie der verehrte Kritiker, aber sie lassen sich einfach auf diese Weise nicht herbei schreiben. Es geht eben nicht um einen ungefähren Eindruck, etwas in der Art wie… Obwohl ich es zutiefst verstehe. Der Abend, die Schauspielerinnen hinreißend, aber nicht in der Weise wie ganz oben beschrieben, damit ist niemandem ein Gefallen getan, niemandem!
Karin Beiers Lear: Ungenauigkeiten
Übrigens ist diese Kritik auch noch ziemlich ungenau in der eigentlichen Beschreibung des Abends, zB: war es nicht nur Lear der an diesem Abend nicht die Rolle gewechselt hat,auch der Vater von Edmund und Edgar bleibt den ganzen Abend in seiner Rolle,ebenso der Diener Kent,der sich nur innerhalb seiner Rolle zur Tarnung verändert.
Karin Beiers Lear: ist nicht, was der Kritiker in ihr sah
Das ist wirklich eine peinliche Kritik! Nicht weil die Aufführung nicht interessant wäre, sondern weil sie nicht das ist, was der Kritiker in ihr gesehen hat.
Karin Beiers Lear: total jenseitig
Habe heute auch staunend vor dieser Kritik gesessen. Hat euer Abgesandter Drogen bekommen bevor er sich in die premiere gesetzt hat? Das ist ja total jenseitig, was der da schreibt- man kann viel sagen über den Abend, viel sowohl als auch, aber was hier beschrieben wird riecht verdammt nach schön schreiben. Über die Gosch Nachfolge wollen wir gar nicht reden. Ich glaube auch nicht das man mit dieser Art der sogenannten Kritik irgendjemandem einen Gefallen tut.
Karin Beiers Lear: Hübsch platt an Gosch gelehnt
Mir schien die Aufführung in einer Weise gewollt modernistisch - und sie lehnt sich dabei hübsch platt an den Stil (wenn man es so nennen will) des Ausnahmeregisseurs Jürgen Gosch an, dass es beinahe schon Geschmacklos ist.
Karin Beiers Lear: Bochum, nicht Köln
Wir haben gestern den Bochumer "Lear" gesehen, waren auch bei der Premiere in Köln. Wir können uns nur wundern. Lieber Herr Wilink, Sie haben sicherlich Ihr Herz in Köln verloren; darüber freuen wir uns selbstredend. Karin Beier macht hier eine tolle Arbeit. Den "Lear" aber haben wir in Bochum gesehen, nicht nur einen anderen, einen tieferen.
Mit freundlichen Grüßen,
M. und E. Janssen (Köln-Klettenberg)
Beiers Lear: alter Mann hat es schwer
ach, so schön war ich auch in Bochum, aber die Kölner nicht so gut, nein nicht so gut. Aber in Bochum Lear, das war gut. Warum? Ich sage, einfach nicht so verwirrend, du siehst, was du willst sehen, aber Köln, du siehst genau was du nicht willst sehen. Experimente wie aus den 60er Jahren, nur jetzt ist schon 2009, fast ein halbes Jahrhundert - nein jetzt ist es sehr schön zu sehen was genau du willst sehen. Alter Mann ist alter Mann, der es schwer hat und sein Leben lang viele Fehler gemacht hat. Du willst nicht sehen Frauen im Chaos. Du willst sehen Menschen haben Probleme und müssen das kapieren.
Karin Beiers Lear: Selbstinszenierung einer Frau
Wenn ich halbnackte Frauen sehen will, die sich im Schlamm wälzen, dann gibt es dafür andere Veranstaltungen mit hübscheren Frauen. Wenn ich König Lear sehen will, dann gibt es dafür wohl andere Theater, in denen König Lear gespielt wird. Die Veranstaltung im Schauspielhaus Köln war weder das Eine noch das Andere richtig und daher auch nicht gut. Ein Etikettenschwindel par excellence - es steht König Lear drauf, es steht Shakespeare drauf, aber praktisch nichts davon ist drin. Was ich sah, war die Selbstinszenierung einer Frau Beier, die sich nicht im geringsten darum schert, was sie aus einem Klassiker der Weltliteratur macht und was sie dem Publikum zumutet. Mein Abo fürs Kölner Schauspielhaus habe ich vor ein paar Jahren gekündigt - nach dem heutigen Abend weiß ich immer noch, warum ich das getan habe.

Ich habe nichts gegen "moderne" Inszenierungen, aber auch da erwarte ich Text- und Rollentreue. "Mach mal jemand die Scheißmusik an" (oder so ähnlich) kommt im Orginaltext meines Wissens nicht vor. Shakespeare hat sich aber doch etwas dabei gedacht, als er das Stück geschrieben hat. Wenn Frau Beier sich das anders denkt, dann soll sie selbst etwas schreiben und dem Kind einen eigenen Namen geben.
Karin Beiers Lear: lohnt sich!
wer schreibt, das irgendwo was nicht drin sei im Theater was draufstünde, hat grundsätzlich was nicht begriffen. Da bleibt nichts anderes übrig als noch mal hingehen. Lohnt sich!
Karin Beiers Lear: dringende Bitte um Aufklärung!
Aber was hab ich denn nicht begriffen? Was? Das es sich um Theater handelt war deutlich; sehr-viel-wildes-großes-Theater-Theater, Theater-für-Frauen-von-Frauen-mit-Frauen-Theater, Was-ich-schon-immer-mal-wahnsinniges-auf-einer-Bühne-machen-wollte-Theater, Das-hat-Shakespeare-eigentlich-gemeint-Theater, Theater-um-jeden-Preis-Theater, Ätsch-wir-machen-Theater-und-du-verstehst-nix-Theater, Theater-muß-weh-tun-Theater. Hab ich alles begriffen - aber was war denn jetzt wirklich "drin"??? Und warum soll ich da jetzt nochmal hingehen??? Und WAS lohnt sich??? Ich muß das wissen bevor ich nochmal Geld in ein Ticket investiere - Mit Bitte um Aufklärung !
Karin Beiers Lear: Wundern über Weinzierl
Dass in den Kommentaren nun mal wieder „Text- und Rollentreue“ gefordert wird (@ 16), muss man wohl nicht so ernst nehmen. Was aber Ulrich Weinzierl in der WELT schreibt, das verwundert doch sehr. Er beißt sich an der Frauenbesetzung fest, mokiert sich über die „All-Female-Version“, findet einen „Lear“ nur „mit Möpsen“, ohne Männer, sogar „sinnlos“, und macht sich Gedanken über die gleichgeschlechtlichen Küsse, ob die nun „hetero- oder homosexuell“ sind, „ein schwules, ein lesbisches Verhältnis?“ Mann, Mann, Mann, Herr Weinzierl. Wie war das denn bei Shakespeare, als nur Männer auf der Bühne stehen durften? Ist eine All-Female-Version da nicht mal angebracht? Und ist sowas (man denke auch an Peking Oper, Brecht, etc.) nicht sogar interessanter als dieses immergleiche Theater, in dem Männer von Männern, Frauen von Frauen gespielt werden sollen? (Aber Schwarze nicht unbedingt von Schwarzen, Könige natürlich nicht von Königen.) Man muss ja nicht gleich Heteronormativität unterstellen. Aber es sind schon öde Ideologien, die sich da an den Möpsen reiben, oder?
Karin Beiers Lear: Etikettenwahn und Begriffscluster
nun, da ist es schon wieder, der Etiketten-Wahn, wobei nun diese Aufführung gleich damit zugekleistert wird, all die hübschen Begriffscluster fallen lassen und schon entfaltet sich das Spiel…
Karin Beiers Lear: Entfremdung von Shakespeare
Also man muss sich nicht wundern, dass Leute sich weniger für das Theater interessieren, wenn sowas aufgeführt wird. Für fachkundige vielleicht eine interessante Abwechslung, für die meisten aber doch nur 135 Minuten darauf warten, dass endlich ein Charakter stirbt, damit man gedanklich eine Person abhaken kann (Im Leaflet heisst es: "Am Ende sind alle tot."). Denn mit Entertainment hat das wenig zu tun. Die schauspielerische Leistung muss man überhaupt nicht anzweifeln, das ist wirklich gut, aber selbst wenn man sich vorher mit dem Stück auseinandergesetzt hat, versteht man etliche Metaphern und damit auch die Dialoge nicht. Den Versuch ein bisschen die Story zu "tellen" habe ich in den kurzen Mikrofonauftritten einzelner Darsteller erkannt. Weitergeholfen hat das allerdings kaum.

Ich musste während des gesamten Stücks daran denken wie ich jetzt doch mal in einem Theaterstück lande, dass so abgefahren ist, wie viele die auf 3Sat laufen, wo ich dann nach wenigen Minuten wegschalten muss(!)

Wichtiger und enttäuschender ist wohl die völlige Entfremdung des Stückes von Shakespeare, der ja nach meinen mickrigen Kenntnissen von den tollen Dialogen lebt.

So blieb es ein sehr langatmiger Abend, mit seltenen Schmunzlern und einer kleinen Diskussion im Anschluss.

Schade.

Schade.
Beiers Lear: Fehltritt überbewertet
Ich finde es schade, dass man Fehltritte nicht akzeptiert, sondern überbewertet.
Den Versuch und den Wunsch die eigene Idee durchzusetzen und ein Stück in der gewünschten Form zu inszenieren ist Karin Beier gelungen.
Beiers Lear: nachhaltiger Einsatz aller Mittel
Lieber "König Lear", wenn sie ins Theater gehen, um sich etwas "tellen" zu lassen, um die auftretenden Charaktere möglichst schnell "gedanklich abhaken" zu können, dann hatten Sie es in der Tat mit dieser Aufführung schwer, sehr schwer. Und ich gebe zu, daß das Verständnis auch nicht nur für LEAR-Unkundige schwer gemacht wird. Vieles an dramaturgischer Verdichtung (oder -Verkürzung?) ist mir auch nicht einsehbar gewesen. Aber trotzdem: Der Abend hat sehr viel "entertainment", in Ihrem Neudeutsch gesprochen, (nur vielleicht nicht das, was Sie sich nicht nur bei 3sat sondern auch im Theater wünschen.) - Mir hat großen Eindruck gemacht, wie eine so "verschworene Truppe" unter Einsatz aller Mittel körperlicher und emotionaler Phantasie ins Zentrum der Geschichte und der Figuren vorzudringen versucht, wie schutzlos eine grandiose Barbara Nüsse sich Ihrer Figur ausliefert und wie nachhaltig die theatralische Spiellust aller von der Bühne zu mir "übergeschwappt" ist. Danke dafür und großen Respekt!
Beiers Lear: altbackene Nonkonformität
Die schauspielerische Leistung war, keine Frage, grandios. Das war es aber auch.
Die omnipräsente Mauer als omnipotentes und -repräsentatives Requisit einzusetzen, war und ist in etwa so phantasievoll wie Eier mit Speck. Die gewollte, und permanente, Hysterie unterstrich in keinster Weise die Handlung, sondern nahm ihr jegliche Spannung, reduzierte sie auf ein 140 Minuten langes, wenn auch schrilles, Geplätscher. Fehlen durfte da natürlich nicht die entblößte Brust, die vielleicht in den 80er oder 90er Jahren einmal dem ganzen Pepp verliehen hätte, in dieser Vorstellung jedoch fernab jedes Kontexts erschien und zumindest mich in die langweiligsten 2h eines Irrenhauses versetzte. Mir scheint, dass es heute eher Skandal ist, eine Inszenierung bewusst konventioneller zu gestalten als dieser altbackene Versuch nonkonform zu sein, mit dem man das Spießbürgertum vergangener Tage vielleicht ver- und erschrecken konnte. Ich hoffe nur, irgendwann wird einmal verstanden, dass sich kein Schwein mehr über Aufführungen wie diese mokiert, alles Gekreische und Gescheiße, in einer Zeit in der es keine Tabus mehr zu brechen gibt, nur noch langweilt und dieser wirklich zwanghafte Versuch, dieser Aufführung Kreativität und Einzigartigkeit zu verleihen, nur noch in einem Krampf endete. Die Zeit angeblich großer Kunst durch Verfremdung scheint mir vorbei. Nichts war noch nicht dagewesen. Im Theater waren schonmal alle nackt, jeder hat geschissen und Frauen haben sich im Schlamm gewälzt. Danke wir waren ja alle so schockiert und frappiert.
Ich frage mich eher, ob die nackten Brüste und der besser gesagt die nackte, sich im Schlamm wälzende, Edgar nicht einfach nur noch der Quotenjagerei à la Hollywood dienen. Als dann noch das "Ficken,ficken,ficken" über die Bühne hallte, war die Peinlichkeit, ja nicht spießig zu wirken, vervollkommnet.
König Lear, Köln: Dekonstruktionslangeweile
Sehr strapaziöse Dekonstruktionslangweile für eine Pseudoelite. Definitiv nichts für die Freikartenrentner der Stadt Ludwigshafen bei den "Festspielen Ludwigshafen 2012", die das Theater in Scharen verließen. Die irritierende Frage bleibt: Für welche Clique wird so was gemacht?
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