Der Gutmensch im Kochtopf

von Jürgen Reuß

Freiburg, 9. Oktober 2009. Nachdem die Kammerbühne des Theater Freiburg in der vergangenen Saison die Festung Europa von innen erforscht hat, betrachtet sie diese in der jetzigen Spielzeit mit dem Blick von Außen. Zu Beginn werden im ersten Teil des Ensembleprojekts "Hanib Ali ante portas Germany" von Bülent Kullukcu "Afrikanische Wege nach Freiburg" nachgezeichnet. Dafür mixt Regisseur Kullukcu aus den Lebensgeschichten der Darsteller eine Art pädagogische Revue, die von der Struktur her an eine klassische Fernsehshow für die ganze Familie zum Thema Migration und Afrikabild erinnert.


Während die Zuschauer sich mit Polstern auf der kleinen Bühnefläche ein beengtes Lager bereiten, empfängt sie das Ensemble mit kreischend-äffischem Urwaldgetobe. Das Einmaleins der aufklärungswilligen Unterhaltung: Bevor man Klischees aufbricht, muss man sie erstmal bedienen. Ob der Zuschauer bemerkt, dass das Urwaldgetöse immer beim Stichwort "Europa" losbricht? Dass der Europäer seinen Klischeeblick parodistisch zurückgeworfen bekommt?

Gerechte Klischeeantwort

Wenn auch nicht unbedingt gleich zu Beginn so wird der Zuschauer es doch im Lauf des Theaterabends mitbekommen, dass die Macht der Rollenzuschreibung in andere Hände wandert. Er bekommt es sogar gesagt: "Einst Europäer von Gottes Gnaden, spürten wir, wie unter den Blicken der Restwelt unsere Würde bröckelte, und schon war Europa ein geografischer Zufall."

Wenn er im Schlussdrittel der Inszenierung vertreten durch die Schauspieler Martin Weigel und Johanna Eiworth im Kochtopf landet und Charles Kemajou, Jacqueline Kamadja und Vida Ampomah zur Musik von Pape Dieye unter gelegentlichem Umrühren den Kurkuma-Tanz ums Feuer aufführen, weiß er, dass das die gerechte Klischeeantwort auf das von Eiworth und Weigel gespielte Gutmenschentum alternativszeniger Afrikanerbeglückung ist. Und kann dann am Ende fröhlich geläutert auf das Bühnenfloß hüpfen und zu Pape Dieyes Klängen das trennende Meer zwischen Afrika und Europa übertanzen.

Mit Blick auf sprechende Rollcontainer

Bis dahin hat er von Vida Ampomah ghanaischen Schauspielunterricht bekommen, wurde von Charles Kemajou über die drei Wege von Kamerun nach Europa aufgeklärt, hat einem bisschen interkulturellen "Ach, bei euch ist das so?!"-Geplauder lauschen dürfen, wurde über das Kulturzentrumsprojekt von Musiker Pape Dieye informiert, bekam musikalische Einlagen serviert, wurde im Mittelteil aus dem Schlaraffenland Europa, sprich dem Zuschauerraum, von grantigen Schleusern hinaus auf die Straße, einmal ums Theater herum in den engen und stickigen Vorraum zur Kammerbühne getrieben. Während die Luft knapp wurde, verlas Kemajou unter dem Nachrichtengeflacker zweier Bildschirme in einer schier endlosen Litanei die Zahl der in den vergangenen Tagen bei der Meerüberquerung zu Tode Gekommenen.

Nachdem dann das Publikum im Theaterraum den Platz mit den Schauspielern getauscht, also von den Sitzstufen auf die Bühne hinuntersehen durfte, blickte es auf sprechende Rollcontainer, die auf pfiffige Weise den beengten Wohnraum der glücklich in Europa gelandeten fassbar machte

Alles in allem also ein unterhaltsam-informativer Abend, bei dem die Mitwirkenden erst mit einem bedrohlichen "Wir kommen" das Publikum schrecken, bevor sie es am Ende zum Versöhnungstanz auf die Bühne zerren, der nach der Vorstellung im informellen Partyrahmen seine Fortsetzung fand.

Warum das Stück "Hanib Ali" heißt, wird dann im März 2010 deutlich, wenn Bülent Kullukcu sich im zweiten Teil der Figur des Alpenüberquerers Hannibal annimmt, wie sie sich Christian Dietrich Grabbe vorgestellt hat.

 

Hanib Ali Ante Portas Germany Teil 1: Afrikanische Wege nach Freiburg
Regie: Bülent Kullukcu, Ausstattung: Moritz Jüdes, Kostüme: Franziska Jacobsen, Musik: Pape Dieye, Dramaturgie: Carolin Hochleichter.
Mit: Johanna Eiworth, Martin Weigel, Vida Ampomah, Pape Dieye, Jacqueline Kamadja, Charles Kemajou, Yocelyn Lang.

www.theater.freiburg.de

 

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