Der austauschbare freie Künstler

von Samuel Schwarz

Zürich, 30. November 2009. Die anonymen Voten in diesem Blog entwerten jeden Versuch, etwas Vernünftiges zu schreiben. Der Text wird zu Dreck, egal, was man schreibt. Dies ist mein sechster Versuch. Der übel riechende Schweiß der anonymen Hass- und Blödelvoten springt über auf den eigenen Text. Der rechthaberische Eifer drückt auch aus dem eigenen Text schleimig zwischen den Buchstaben heraus, auch wenn man noch so vernünftig was zu schreiben versucht. Die Umstände definieren das Bewusstsein des Texts. Weil es eben möglich ist, dass auch anonyme Schreiber in den Blog pissen können, wird alles gelb und ranzig und fäkal. Das ist schade.

Denn die Thematik würde sich eignen für eine sehr differenzierte Diskussion. Strombergs und von Hartzens Text gibt einen guten Input. Man nickt mit dem Kopf und sagt: Genau, so ist's! Nur: Schöne Worte ändern leider nichts. Das Missverhältnis in der Subventionierung der Sparten ist das grundlegende Problem.

Brosamen für die freie Szene

Wenn man die Beseitigung des Armutsstatus der freien Szene ernsthaft angehen will, müsste man sich anlegen mit den gröberen Feinden des differenzierten und angriffigen Sprechtheaters. Mit den Großbürgern, dem Adel, den Sponsoren. Diese Gruppen halten die Hände über die Oper und beschützen mit ihrem Einfluss den reichlichen Subventionsfluss. Fürs Sprechtheater bleibt natürlich auch noch was übrig. Das meiste dieses Rests fließt dann in die Kassen der Staatstheater, wo die etwas weniger hochbegabten Sprösslinge der guten Familien (die höher begabten sitzen in den Management der Banken oder dirigieren in der härteren Zone der Oper) ihren Sandkasten haben, um ihre Visionen zu realisieren. Diese Staatstheater in Händen des Bürgertums fressen also den Rest des Wenigen, das nach den Fressorgien der Oper noch übrig bleibt für die darstellenden Künste. Die Brosamen gehen dann in die freie Szene.

Dass in dieser durch Geldflüsse klar definierten und dadurch hierarchisierten Theaterwelt die freie Szene nur den Status eines Castingsformats für die Stadttheater hat, ist logisch. Wenn sich etwas ändern sollte, müssten sich die Veranstalter mit den Künstlern solidarisieren und gemeinsam mobilisieren gegen das Ungleichgewicht der Subventionierung. Das zu machen, wäre aber dumm von den Veranstaltern. Denn dadurch würden sie das ganze Gefüge in Frage stellen, das auch für die Karrieren der Veranstalter maßgeblich ist (und ihnen auch die Jobs ermöglicht hat, wurden sie ja selber von Systembewahrern des Bürgertums gewählt).

Am Ende der Hierarchiekette

Den Veranstaltern und Betriebsmenschen bleibt dann nichts anderes übrig, als die Erfindung von selektionierenden Formaten, die sie dann "Impulse", "Freie Hunde", "Freischwimmer", "Politik im Freien Theater" oder "Hope and Glory" nennen. So bleibt am Ende der Hierarchiekette der austauschbare Freie-Szene-Künstler, der seine Trauer und seine Müdigkeit und Desillusionierung über diese Castingformate in einem Blog rausschreit. Das mache ich hier nun nicht. MIR GEHT ES GUT, JA. SUPA. ECHT TOLL. Die einzige mögliche Befreiung aus dieser strammen Hierarchie wäre die Solidarisierung der Künstler und die inhaltliche Diskussion und vielleicht auch die eine oder andere Belagerung eines Theaterhauses. Aber sowas gibt es natürlich nicht.

Beim blöden Rumgrinsen in den Festivalzentren und beim Posen vor den Jurymitgliedern verbrutzelt es auch dem politischsten Hirn seine Sensibilität. THAT'S SHOWBUSINESS. Man soll sich nicht darüber beklagen! Ist schon klar. Wir alle machen mit. Aber beklagen tun wir uns dann eben doch immer wieder. Er wurmt halt schon, dieser Kreislauf des Wiederkäuens. In der gemeinsamen Solidarisierung gegen die bösartige Übersubventionierung der Oper hätten wir zumindest sowas wie einen gemeinsamen Feind.

Ich persönlich meine aufrichtig, dass es im Moment mehr Spaß machen würde, den zu bekämpfen, als in Festivalzentren neidisch auf den Kollegen zu schielen, der einen Preis gewonnen hat.

 

Samuel Schwarz hat diesen Beitrag als Antwort auf das Impulse-Manifest von Tom Stromberg und Matthias von Hartz ursprünglich als Kommentar gepostet.

 

Mehr zu Samuel Schwarz und seiner Off-Theatergruppe 400asa im nachtkritik-Archiv.

 

 

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