Kleine Kämpfchen im Generationenkonflikt

von Rudolf Mast

Berlin, 25. Februar 2010. Zu den befremdlichen Erscheinungen des zeitgenössischen Theaters gehört die Tendenz, private Befindlichkeiten auf die Bühne zu zerren und sie dort als gesellschaftliche und/oder künstlerische Fragestellungen auszugeben. Zu den offensiven Vertretern dieser "Schule" gehört She She Pop, das siebenköpfige, in der Hauptsache weibliche "Performance"-Kollektiv, das sich 1998 beim Studium der angewandten Theaterwissenschaft in Gießen bildete.

Für ihre neueste Arbeit spitzen sie die Thematisierung von Privatem noch einmal gehörig zu und schleppen ihre Väter mit auf die Bühne. Anlass bildet ein Versuch, der in der Papierform der Ankündigung durchaus spannend klingt: Der Abend greift auf Shakespeares Königsdrama "King Lear" zurück, dessen Versuch, sein Reich zu Lebzeiten unter den drei Töchtern aufzuteilen, in Mord und Totschlag endet. Dieser Stoff soll den Performern von She She Pop und ihren Vätern als entfernte Vorlage dienen, um daran "Vorbereitungen zum Generationswechsel", so der Untertitel des Unterfangens, durchzuspielen und auf unblutige Weise einen "Ausgleich zwischen den Generationen" zu finden. So weit die Papierform.

Lear im Wohnzimmer

Auf der Bühne des HAU 2 sieht das Ganze so aus: Von drei Sesseln zur Linken, Tisch und Stühlen zur Rechten eingerahmt, befindet sich ein "Wohnzimmer" als Spielfläche. Dahinter erhebt sich eine löchrige Rückwand, an der drei leere Bilderrahmen hängen. Die werden später als Videoleinwand dienen, während durch die Löcher Bonbon-Licht in verschiedenen Farben dringt. Am rechten Rand steht ein Flipchart, und alles, was dort notiert und entworfen wird, wird per Kamera auf eine Leinwand übertragen.

In dieses Setting treten vier Spieler, um die Hälse Krägen aus elisabethanischer Zeit, und beschreiben kurz ihre Väter. Die Kinder stammen demnach alle aus dem Bildungsbürgertum. Dem Abend ist das anzusehen. Eine Frau hat ihren Vater gar nicht erst gefragt. Es sind also drei Herren, die zu Trompetenstößen in Stiefeln aufmarschieren und links in den Sesseln Platz nehmen. Nachdem sie singend beteuert haben, wie sehr sie ihre Kinder lieben, beginnt das Spiel – und zwar mit einem Sprung in den ersten Akt von "König Lear", zugleich in die erste Probephase vor einem knappen Jahr. Und wie der Abend in der Folge auch die weiteren Probenabschnitte durchläuft, so arbeitet er sich durch die fünf Akte von "König Lear".

Zweifelhafte Tauschgeschäfte

Beider Anfang ist von Zweifeln und Konflikten geprägt, und nun wird gemeinsam überlegt, wie man sie rechtzeitig und damit anders als bei Lear ausräumen kann. Von "Tauschgeschäft" ist die Rede und von Punkten, die einem wunschgemäßen Generationswechsel im Wege stehen. Doch ein Vater meldet auch Bedenken gegen den Spielvorgang selbst an, dessen Konflikte letztlich nur gestellt seien. Was man in älteren Begriffen "Aussteigen" aus der Rolle nennen würde, zieht sich wie ein roter Faden durch den Abend, so dass die Funktion deutlich sichtbar wird: Dieses Theater hat das "alte" Theater hinter sich gelassen und will es dadurch erweisen, dass es sämtliche Einwände, die sich gegen die Mischung aus Trash und Intellektualität vorbringen lassen, selbst benennt.

Entkräftet sind sie dadurch jedoch nicht, wie sich auch hier sehr bald zeigt. Denn wie mit jeder Szene, jedem Akt die Nähe zu "König Lear" abnimmt, so aufgesetzt und (gelegentlich auch an den Haaren) herbeigezogen geraten die "Realszenen" zwischen den Generationen, die sich daraus entspinnen: Der Sturm, der Lear erwischt, endet auf der Bühne damit, dass die Kinder Krone, Sessel und Oberhemden von den Vätern übernehmen, und Lears Wiedersehen mit Cordelia mündet in eine schnulzige Kakophonie des gegenseitigen Verzeihens.

Vater sein ist Privatsache

Den "Stall, den es auszumisten gilt", betritt der Abend so nicht einmal, nicht als "Versuchsanordnung" und schon gar nicht hinsichtlich der privaten Beziehungen, wie sie auf der Bühne stehen. Aber wie hatte ein Vater gleich zu Beginn gesagt? "Das gehört nicht in die Öffentlichkeit." Recht hat er. Doch paradoxerweise hätte der Abend gerade in der Flucht nach vorn, die hier ein entschiedener Schritt zurück gewesen wäre, zu sich finden können: Dafür hätte der Konflikt zwischen den Generationen, von dem hier ständig die Rede ist, "nur" offen ausgetragen werden müssen. Proben hätte es dafür nicht bedurft, und der Premiere wären keine Vorstellungen gefolgt. Dafür hätte sich das, was großmundig ankündigt wurde, auch erfüllen können. So aber bleibt der Abend das, was der Name der Urheber erwarten ließ: Pop.


Testament – verspätete Vorbereitungen zum Generationswechsel nach Lear - She She Pop und Ihre Väter
von und mit: Sebastian und Joachim Bark, Fanni und Peter Halmburger, Mieke und Manfred Matzke, Lisa Lucassen, Ilia Theo Papatheodorou, Berit Stumpf, Johanna Freiburg, Bühne: She She Pop und Sandra Fox, Kostüme: Lea Søvsø, Musik: Christopher Uhe.

www.hebbel-am-ufer.de
www.kampnagel.de
www.forum-freies-theater.de


Mehr zu She She Pop im nachtkritik-Archiv: Besprochen wurde Die Welt, in der wir leben, das im März 2009 im Berliner HAU Premiere hatte. Ebendort kam im März 2008 Familienalbum heraus und im Juni 2007 die Relevanzshow.

 

{denvideo http://www.youtube.com/watch?v=mUnyfBUfsAQ}

 

Kritikenrundschau

Als "wache, offene Kunst" beschreibt Tobi Müller in der Frankfurter Rundschau (27.2.2010) diese Lear-Variation, für den sich schon nach der ersten Lear-Szene "das schöne Delirium auf die Bühne" schleicht, mit dem She She Pop so virtuos arbeiten könnten. "Die Frauen und der eine Mann von She She Pop haben ihre Väter zur Probe gebeten, mit ihnen Shakespeares "König Lear" gelesen und dann einen Abend entwickelt. Er heißt "Testament - Verspätete Vorbereitungen zum Generationswechsel nach Lear". Man spricht über die Liebe und das Unverständnis und die Abhängigkeit, man stellt die wichtigen Fragen sehr direkt", um sie dann wach in offene Kunst zu überführen. "Nur so kann man diese Fragen ernsthaft stellen: im Spiel".

"Einen so versöhnlichen 'Lear' sieht man selten", schreibt Katrin Bettina Müller in der Berliner tageszeitung (27.2.2010). Es sei ein behutsamer und für She She Pop auch leiser Abend, "sicher auch den Vätern zuliebe, denen das Performen der berühmten Töchter (und eines Sohns) oft als peinliche Entblößung aufstieß." Dass dennoch Themen über Themen geschichtet werden, liegt für die Kritikerin am analytischen Zugriff auf den Stoff: "Es geht um Macht und die Kompensation ihres Verlustes; um die 68er-Generation und das tendenziell schlechte Gewissen ihrer Kinder, deren Ansprüchen nie gerecht werden zu können; um den Umgang mit Text und die Repräsentation in Bildern." Am Ende habe man nebenbei viel über die bildungsbürgerliche Herkunft dieser Gruppe erfahren.

Ellinor Landmann hat für die Sendung Reflexe (DRS 2, 22.6.2011) mit Ilia Theo Papatheodorou und Johanna Freiburg gesprochen. "Die Väter-Generation tritt langsam, langsam ab", sagt Papatheodorou, das Gespräch zwischen den Generationen tritt spät, sehr spät ein, sagt Freiburg. Und dieses "Ringen um Anerkennung zwischen Töchtern und Vätern" werde auf der Bühne sichtbar gemacht, erklärt Landmann.

Kommentare  
She She Pops Väter: weit mehr als Privatismen
Dies ist eine, freundlich gesagt, ahnungslose Kritik zu einer grandiosen Performance. Der Punkt, der dem Abend die Form gibt, ist doch gerade die Balance, die gelingt: zwischen Entblößung und Distanzierung. Distanzierte Entblößung, enblößte Distanz: reine Wahrheit, hinreißende Form. Alle Konflikte sind auf der Bühne. Werden vorgeführt, hingestellt, nicht versöhnt. Gerade der "Ich verzeihe"-Chor ist von tiefster Ambivalenz. Man kann das leicht - oder nicht so leicht - sagen. Ob das Verzeihen mit dem Sagen auf offener Bühne gelingt, das bleibt dabei mehr als nur offen. So Proseminarquatsch von wegen "Aussteigen", das ist doch nicht mehr als die Voraussetzung für diese Form von Theater. Darauf will das so was von wirklich überhaupt nicht hinaus. Sondern darum geht es, wie man das "eigene Leben" in eine theatrale Form bekommt, mit Shakespeares Hilfe (und im Widerstand gegen Prätext dieser Art). Wie man das hinbekommt, und zwar so, dass es eine Gültigkeit hat, die über Privatismen hinausgeht. Es ist richtig, dass "She She Pop" oft genug, und durchaus verzweifelt, in harmlosem Privattheater gelandet sind. An "Testament" ist gar nichts, wirklich überhaupt nichts in dieser Art harmlos. Eine Ambivalenzform nach der anderen findet das väterverstärkte Kollektiv. Vater, der in den Sarg gesteckt wird und ihm spricht, hallo? Die Texte, in denen die Väter vernichtend über das Theater der Kinder urteilen? Einfach hingestellt. Nicht direkt widersprochen. Und in eine Szene überführt, in der der gemeinsame Raum, den man fndet, in einer atemberaubenden Entkleidungsszene ausgehandelt wird. Einer der tollsten Theaterabende der letzten Jahre.
She She Pops Väter: Ambivalenz der Elternliebe
Die Kritik verweigert sich doch schon im ersten Satz einer wirklichen Kritik, es wird pauschal über zeitgenössisches Theater geurteilt. She She Pop und ihrer Produktion wird überhaupt keine Chance zugestanden, die können für Rudolf Mast von vorherein nur scheitern. - Die Kritik beschreibt etwas, was ich nicht gesehen habe, nämlich den Pop. Pop war es - meiner Meinung nach - nicht. Wenn man schon irgendwie einen Vergleich zur Musik suchen will, dann war es eine Familientape aus den 70er Jahren. Traurig, lustig und eben voller Erinnerungen. She She Pop ist mit diesem Abend etwas bemerkenswertes geglückt, sie haben gemeinsam mit ihren Väter über sich, das Theater und vor allem aber über Generationen nachgedacht. Der Abend ist eine Hommage an die Elternliebe, das "Verzeihen" war nicht rührselig, sondern war böse. Jeder kennt solche Situationen, man liebt seine Väter (Eltern) und doch liebt man sie auch nicht. Genau diese Ambivalenz ist doch dieser Abend. Ich habe mich so oft auf mich zurück geworfen gefühlt, habe über mein Verhältnis zu meinen Eltern nachgedacht, aber geweint. Manchmal über mich, manchmal über die Performerinnen, ich habe gelacht. Ich habe gefühlt, vielleicht war es aber auch nur delegierter Genuss!? Obwohl es offensichtlich nicht interaktiv war, war es interaktiv ... - Die Kritik schleicht sich da geschickt raus, weist nicht mal darauf hin, dass es johlenden Applaus gab ...
She She Pops Väter: Popbegriff der 50er
Danke, Herr Knörer. Das nenn' ich mir Interpassivität, wenn das Forum sagt, wozu ich keine Zeit habe, weil eigentlich in Eile an einer Kurzkritik über diesen extrem tollen Abend sitzend. Über den Popbegriff aus den frühen Fünzigerjahren, mit dem diese Nachtkritik schließt, reden wir dann ein ander Mal. Wobei, ließe sich das nicht auch delegieren?
She She Pops Väter: großer, großer Wurf
Der delegierte Genuss, ja, das könnte es schon sein. She She Pop hört mit dem interaktiven Theater auf (Terror nach Pollesch) und fängt jetzt mit interpassiven Theater an, aber müssten sie dann nicht auch unsere, also die Zuschauerväter, mit zu sich nach Hause nehmen und dann drüber reden, wir lieben sie ja, aber wollen das lieber delegieren ... Vielleicht - vielleicht auch nicht. - Der Abend war ein großer, großer Wurf, er hat mich vergnügt und das zeitgenössisches Theater immer über private Befindlichkeiten redet, mmmh, ist das so arg? Und hat das Theater nicht schon immer gemacht. Das ist doch wie Peter Halmburger erklärt auch nur eine Rolle, also die des Peter Halmburger auf der Bühne.
She She Pops Väter: Konvention und Pop-Konzeption
dass gejohlt wurde und dass du, zuschauer, vergnügt warst, gibt doch mast nur recht: der abend war pop. das finde ich jetzt nicht weiter entsetzlich, dass der abend pop war, aber dass da kein stall ausgemistet wurde, das stimmt doch wohl auch. und seit wann verweigert sich ein kritiker, wenn er im ersten satz eine, e i n e !, tendenz des zeitgenössischen theaters richtig benennnt. mast verbirgt sich nicht, sondern sagt, dass diese tendenz ziemlich harmlose ergebnisse hervorbringt. ich finde das auch ziemlich harmlos, nicht nur bei den she shes, es ist fast immer harmlos. und wenn pop- und filmtheoretiker das anders sehen, von mir aus. aber knörer findet ja auch das weiße band mies - sein gutes recht. aber das ist ein film, der halt nicht harmlos ist und deswegen den oskar bekommen wird. kein pop, sondern großes konventionelles kino. wann kapieren die theoristen endlich mal, dass konvention nicht immer böse, pop-konzeptionen nicht immer gleich superklassetolltolltoll sind?
She She Pops Väter: Bildungsbürgertum & Theater
es scheint, Herr Mast hat Probleme mit dem Bildungsbürgertum? Kann das Bildungsbürgertum
kein Theater machen? Wer kann es dann?
She She Pops Väter: konsequent ignoriert
Vielleicht war es Pop, vielleicht war es einfach auch nur gutes Theater. Ich finde es fatal, wenn ein Kritiker schon im ersten Satz eine allgemeine Meinung formuliert. Herr Mast sollte doch bemerkt haben, wie das Publikum reagiert hat, wenn er genau hingesehen hätte, dann hätte er Tränen in einigen Augen gesehen, das Schweigen beim Herausgehen aus dem Saal bemerkt. Das hat er vollkommen ignoriert und einfach dagegen geschrieben. Das ist das fatale, liebe Konni
She She Pops Väter: über die Inszenierung sprechen
Sollte hier nicht weiter über die Inszenierung als über den Kritiker gesprochen werden? - Jetzt nach zwei Tagen ist der Abend immer noch stark in meinen Gedanken, ich denke weiter akut über mich und meinen Vater nach, der abend ist störisch, vielleicht nicht leicht bekömmlich. Vielleicht für einige Zuschauer zu sehr, da wird dann lieber gelacht. Der Moment in dem Vater Halmburger "I will always love you" singt und seine Tocher Fanni erklärt, wie körperlicher Zerfall im Plegestadium statt findet, schmerz, hat mich weinen gelassen. Andere haben gelacht und so den Schmerz überspielt. Der Abend bietet überall solche Flächen. - Diese Beobachtungen fehlen eben in der Kritik und in den bisherigen Kommentaren, auch wenn es darum, also um die Kritik an der Kritik, mir nicht gehen soll.
She She Pops Väter: geht schrecklich zu Herzen
Mir ist völlig unklar, was für eine komisch verdrehte Idee von Pop hier im einen oder anderen Kopf umgeht. Wenn damit die Möglichkeit gemeint ist, nicht-authentizistisch ehrlich zu sein und dem längst Vernutzte wieder Leben zu geben, dann ist "Testament" wunderbarer Pop. Und ich kann mit Georg Amselm nur anschließen: Zwar ist das immer wieder sehr komisch, aber vor allem geht es doch schrecklich zu Herzen; nicht weil es sentimental wäre (es ist wirklich das Gegenteil davon), sondern weil es so wahr ist. Auch und gerade in seinen Hilflosigkeiten, im noch nicht ganz abgezogenen Rauch, der von der Wut kommt von beiden Seiten. Ich weiß wahrhaftig nicht, ob ich im Theater je geweint habe. Hier sehr.
She She Pops Väter: habe geweint
komme gerade aus der dritten vorstellung, bin überwältigt, habe geweint und mir ist was klar geworden: redet mit euren väter, jeder muss das, genauso wie she she pop: reden, reden, reden.
She She Pops Väter: Ebene des Schülertheaters
Lustiges Schülertheater, ja manches war nett.- King Lear könnte ein guter Start zur Auseinandersetzung sein. Leider ist es den Damen/dem Herrn auf der Bühne kaum gelungen in die tiefen Dimensionen der Frage nach Existenz, Abschied, Verfall, nach in der Kindheit ungestillten Sehnsüchten, Wünschen und Widersprüchlichkeiten einzutauchen. Zwar sind manche Szenen einfallsreich, so könnten Auseinandersetzung sowie Bearbeitungsversuche mit diesen Themen bei den Familien nun beginnen (i.e. der herausragende mathematische Vortrag über die Geld- und Liebesemission, die Bücherregale als Metapher der 100 Ritter), aber dazu kommt es nicht, man bleibt eben auf der Ebene des Schülertheaters stehen.
Mit der Kritik der Väter, der Scham, der Entwürdigung, die auf der Bühne stattfindet, setzen sich die Damen und der Herr nicht auseinander.
Die FRage nach Ehrfurcht, Respekt, Achtung scheint für die junge Gerneration kein zu bearbeitendes Feld zu sein, grad die Darstellung der Raffgier fällt ihnen ein darzustellen.
Welcher Vater, der einst mit den 68er Studenten seine politischen Ziele formulierte, traut sich jetzt von seinem Kind Respekt und Ehrfurcht einzufordern? Welche Vater ist frei zu sagen "Nein", wenn ihn die Tochter, die sich sonst so selten meldet um gemeinsames Spiel bittet, wer traut sich Verabredungen platzen zu lassen zum Erhalt seiner Würde? Frei sind Eltern da bestimmt nicht. Ihre Sehnsüchte sind bei diesem Theaterstück allenfalls auf der Ebene "wir hätten uns von Dir wissenschaftliches Arbeiten über die Magisterarbeit hinaus gewünscht" angesprochen,- o.k.-schade- aber noch viel schlimmer wäre doch für jeden Vater (dieser Generation) die misslungene Beziehung zum Kind. Nein, es stimmt, "der Stall den es auszumisten gilt, ist nicht einmal betreten worden". In keiner Weise kann ich finden, dass der: "Ich verzeihe"-Chor von tiefster Ambivalenz gekennzeichnet ist." Oberflächliche Auseinandersetzung!, schade dass die eine Familie nur Mensch Ärgere Dich nicht mit 2 Figuren spielte, aber muss gutes Theater das wirklich erwähnen? Die Sehnsucht und Enttäuschung dahinter wäre ja vielleicht interessant. Ähnlich interssant wäre es, ins Gespräch zu kommen, warum dem Vater im Sarg dann wohl eine "Freudsche Fehlleistung" passiert und er die Pin Nummer plötzlich verändert angibt. Die Ambivalenz, die dahinter stehen könnte, könnte im gutem Theater abgebildet werden. Hier bleibt es bei oberflächlichem Schülertheater, vielleicht ist es aber nötig Lebens- und und Abschiedeserfahrungen selber zu machen, bevor man die Väter beschämt.
NB: Sollte man auf dem Weg der persönlichen Auseinandersetzung mit seiner Geschichte, seinen Wünschen und Sehnsüchten Hilfe brauchen, so stehen in Berlin viele gute Psychotherapeuten zur Verfügung. Dann bräuchte nicht mehr die Öffentlichkeit die missglückten Versuche aushalten.
She She Pops Väter: fehlende Rituale
theater at its best. eine freie adaption des shakespeare-klassikers, die elegant die brücke ins hier und jetzt und für mich relevante schlägt, wie ich es so noch nicht gesehen habe. das private ist ausnahmsweise tatsächlich mal für eine öffentlichkeit relevant. die inszenierung der befindlichkeiten des mitte-dreißigjährigen berliner bildungsbürgertums, die ausnahmesweise nicht eine reine nabelschau ist, sondern brisanz und relevanz hat.
bühnenmittel (kostüm mit historischen andeutungen; sesselthrone, projizierte ahnengalerie und gemeinsamer esstisch; musik für emotion und erinnerung und videoprojektion als ausschnitt=vergrößerung von details des bühnengeschehens) zum geringen teil annektiert (wooster group, nature theater of oklahoma) und als eigenes, geschicktes erzählmittel eingesetzt.
und ja, ich hatte nie darüber nachgedacht: es gibt kein ritual, das für den familiären generationenwechsel als hilfe dienen kann.
zugehört, gelacht, geweint und nachgedacht. eben theater at its best.
She She Pops Väter: Repliken
@ zuschauer 4: herzlichen glückwunsch, genau das sie sich nun all diese gedanken selber machen, das ist der gewählten form dieses abends zu verdanken. die analyse des abends: bleibt ihnen überlassen.
die sehnsüchte und enttäuschungen: sie sind in dem von ihnen genannten moment unbestreitbar zu spüren. respekt: wird auf der bühne verhandelt. ein vater fordert ihn ein. was haben sie jetzt erwartet, einen dialog dazu in versform?
das wäre dann vielleicht das "schülertheater", ein unwort der theaterkritik übrigens, das endgültig in die mottenkiste gehört.
@annahd: was war da denn annektiert vom nature theater of oklahoma? die gibts doch vermutlich nicht halb so lange wie she she pop?
@konny: der beginn der kritik ist eben nicht erfreulich, weil er das besprochene theaterformat an sich von vornerein in frage stellt, das legt die vermutung dann sehr nahe das der autor das theater bereits mit einem ressentiment betreten hat. für einen solchen abend, der alleine schon durch die tatsache das er überhaupt in dieser besetzung stattgefunden hat fernab von üblichen theaterkritikmustern steht, ist das ein sehr arroganter ansatz.
She She Pops Väter: Tatsache ist doch ...
Warum muss das hier gleich beleidigend werden? Warum muss gleich von Psychologen geredet werden? - Tatsache ist doch, der Abend macht mit dem Zuschauer etwas und das ist toll!
She She Pops Väter: zu süß
ich kann diese inszenierten kindergeburtstage nicht mehr ertragen. die performerinnen finden sich selbst irre witzig, provokativ und toll (wie eben das 3-jährige kind sich großartig findet, wenn alle erwachsenen gucken) und es ist laut und bunt und schrill und am enden ist allen schlecht, weils zu süss war...alles in allem.
She She Pops Väter: Was war denn da?
Was war denn an denn an diesem Kindergeburtstag, liebe lady kaka?
She She Pops Väter: Haltbarkeit von Tabus
Das Private öffentlich machen, das war eine Forderung der 68er Generation. Dass she she pop als Töchter der 68er damit seit ihrer aller ersten Produktion ernst machen und dass das die Väter lieber nicht sehen wollen, um sich nicht "fremd schämen" (den Ausdruck hat Vater Bark vermutlich von seinen Kindern übernommen) zu müssen für Nacktheit und Hässlichkeit, erzählt doch nebenbei einiges über die durchschlagende Haltbarkeit von Tabus. Eines der größten Tabus in unserer Gesellschaft besteht aber wohl darin, sich mit den eigenen Eltern über deren Tod auseinander zu setzen. Genau dies tut der Abend. Und damit beweisen alle Beteiligten Mut.
She She Pops Väter: ehrlich, brisant, gelungen
Genau dieser Mut wohnt der Performance von She She Pop inne, dieser Mut liegt allen ihren Arbeiten zu Grunde. - Das Private können wir auf einmal nicht mehr ertragen, aber trotzdem packen wir alles in soziale Netzwerke á la Facebook, aber auf dem Theater wollen wir es nicht sehen. - Der Abend ist ehrlich, brisant und gelungen.
She She Pops Väter: irre peinlich
Oh, was war denn das?
Ich fand es irre peinlich wie die alten Männer da standen. Ich finde das gar nicht mutig wie Herr Amsel. Wenn das alles echte Familiengeschichten sind, dann tuen mir die Mütter, Tanten Onkel, Brüder und vielleicht Kinder der Schauspieler sehr, sehr leid. Vielleicht ist es ein lustiges Kindergeburtstagsspiel, wenn man sich selber auf der Bühne spielt kann man sich ja über sich selber lustig machen, aber für die Familien ist das doch sehr peinlich. Dieses Format von Theater ist schlecht zu ertragen- da versteh ich auch dass jemand weiter oben von Psychologen spricht. Das ist glaube ich nicht beleidigend gemeint. Es gibt ja auch Psychodrama und Gruppentherapie( übrigens in den 70er Jahren sehr beliebt).
She She Pops Lear-Variation: klassischer Inhalt verständlich gemacht
Vielschichtig. Nicht nur die uns alle betreffende Konflikte der verschiedenen Generationen sondern ganz besonders interessant die immer wieder zitierten Stellen aus dem Klassiker Lear von Shakespeare, dessen Sprache heute kaum noch verständlich ist und kaum über langen Zeitraum zu ertragen ist. So wird ein klassischer Inhalt wieder verständlich gemacht und zeigt wieder etwas auf, was man in der heutigen modernen Gesellschaft kaum vermutet: Die Probleme und Konflikte sind uralt und hat es in so oder ähnlichen Formen immer schon gegeben - nur die äußeren Umstände sind anders. Sollte uns allen das nicht irgendwo auch zu denken geben?
She She Pops Väter: generationen-übergreifende Bedürftigkeit
Bereits zu Beginn stelle ich mir die wohl typische Frage: Welcher Vater mag wohl zu welcher Tochter gehören und umgekehrt? Sind da schon rein äußerlich Ähnlichkeiten zu erkennen, welche sich im Verlauf des Abends möglicherweise auch charakterlich zeigen werden? Jedenfalls, ob nun charakterlich fixiert oder gespielt, zum Tragen kommt hier sowohl die individuelle Einzigartigkeit der Töchter/des Sohnes und der Väter als auch die wechselseitig eingefahrenen Rollenmuster. Anders formuliert: Was für ein Theater, diese Generationenkonflikte! Besonders deutlich wird das interessanterweise beim gemeinsamen Singen der Lieblingslieder der Väter. Ansteckend komisch der selbstironische Humor von Mieke und Manfred Matzke, Mitleid produzierend das irgendwie verbohrte und doch nach Anerkennung suchende In-sich-Hineinsingen von Sebastian und Joachim Bark, ansteckend traurig das melancholische Mit- und doch Getrenntvoneinander von Fanni und Peter Halmburger.

Bei aller berechtigten monetären Aufrechnung von Erbrechten und Fürsorgepflichten - am Ende bleibt eines hängen: Bedürftig sind beide, und das nicht nur im Hinblick auf Geld und/oder spezielle Fähigkeiten, sondern vor allem auf die bedingungslose Liebe. Aber auch dieses Tauschgeschäft ist ein problematisches. Ist die beinahe chorische Liturgie von Gnade und Verzeihung am Ende wirklich aufrichtig? Oder sind es nicht doch eher und nach wie vor die lapidaren Worte von Cordelia, gesprochen von Lisa Lucassen? "Ich lieb Eur Hoheit, wie's meiner Pflicht geziemt, nicht mehr, nicht minder." Mhmh.
She She Pops Väter: Korrektur
Korrektur von 21.: Es waren an diesem Abend (5.4.2011 im HAU 2) natürlich nicht Fanni und Peter Halmburger, sondern Ilia und Theo Papatheodorou, welche so traurig-melancholisch-griechisch (Tragödienklischee?) zum Playback gesungen haben. Assoziation: "Eternity and a day" von Theodoros Angelopoulos, ein Lieblingsfilm meiner Eltern. Ja ja.
She She Pops Väter: lange nicht mehr so aufgewühlt
Anmerkung zum Eispapst: Mir ging es interessanterweise so, dass genau die "Island in the Sun"-Szene mit den Matzkes das Anrührendste an dem Abend überhaupt war, mir den größten Kloß in den Hals gezaubert hat, und zwar gerade aufgrund der Selbstironie.

Aber das ist ja eine der großartigen Wirkungen von "Testament", jemand anders sprach von "Relevanz": Ja, aber nicht eine allgemeine, sondern als eine Art Projektionsfolie für jede/jeden individuell, du wirst auf dich und deine Geschichte zurückgeworfen, aber die ist wiederum im besseren Sinne "austauschbar", also mit denen anderer (Familien) in Bezug zu setzen.

Und allgemein zu dieser Diskussion: Ob, Pop, Theater oder Performance, wahrscheinlich schreiben hier alle mit sehr unterschiedlichen Kategorien im Kopf. Interessant finde ich aber immer, wenn Kritik in solchen Fällen so richtig aggressiv wird ("Kindergeburtstag", "süß" etc.). Da vermute ich dann auch immer gewisse Verdrängungen, um sich auf so eine Ebene nicht einlassen zu müssen.

Bin jedenfall auch, wie einige meiner VorschreiberInnen, lange nicht mehr so aufgewühlt aus so einem Theater- oder Performanceabend rausgegangen. (gesehen in Bremen, 16.4.2011)
Testament, Berlin: Aufbrechen eingefahrener Muster
@ misonhb: Echt? Kloß im Hals? Interessant, wie unterschiedlich sowas wahrgenommen werden kann. Ich hab mich befreit gefühlt, weil vielleicht nur über diese (selbst-)ironische Haltung mögliche Konflikte und eingefahrene Muster zwischen den Generationen aufgebrochen werden könnten. Aber vielleicht lag's auch am Song? Bei mir war's nämlich nicht "Island in the Sun" (von Harry Belafonte?). Bei mir war's ein anderer, klassisches Liedgut/Oper oder so, textlich ging's irgendwie um den Papst und die Orientalen, hab gar nicht wirklich zugehört, weil ich nur auf den Gesichts- bzw. Gefühlsausdruck der Akteure geachtet hab. Musik/Oper wirkt eben mehr auf das Gefühl.

Mieke Matzke hat sich übrigens auch wunderbar ironisch für den von ihr so bezeichneten "Eisphallus" des Friedrich-Luft-Preises der "Berliner Morgenpost" bedankt, welcher nach der von mir gesehenen Aufführung verliehen wurde.
Testament, Berlin: Papst und Sultan
@ 24
Es handelt sich hierbei um das deutsche Volkslied „Papst und Sultan“ aus dem 18. Jahrhundert. Der Text ist von dem Theologen und Lehrer Christian Ludwig Noack (1767-1821). Der Verfasser der Melodie ist unbekannt, sie dürfte aber auch typisch für Volkslieder aus dem 18. Jahrhundert sein. Noack hat den Text wohl ursprünglich in Latein verfasst. Es gibt daher verschiedenste Text- und Liedbearbeitungen, z.B. die der Band „Zupfgeigenhansel“. http://www.youtube.com/watch?v=wt_sE9S56PQ&feature=related
Die in der Berliner Aufführung vom 05.04. verwendete klassische Version kenne ich leider nicht.
Hier der Text:

Der Papst lebt herrlich in der Welt,
es fehlt ihm nie an Ablaßgeld;
er trinkt vom allerbesten Wein:
drum möcht ich auch der Papst wohl sein.

Doch nein, er ist ein armer Wicht,
ein holdes Mädchen küßt ihn nicht;
er schläft in seinem Bett allein:
drum möchte ich der Papst nicht sein.

Der Sultan lebt in Saus und Braus,
er wohnt in einem Freudenhaus
voll wunderschönen Mägdelein:
drum möcht ich wohl der Sultan sein.

Doch nein, er ist ein armer Mann,
denn folgt er seinem Alkoran,
so trinkt er keinen Tropfen Wein:
drum möcht ich auch nicht Sultan sein.

Geteilt veracht ich beider Glück
und kehr in meinen Stand zurück;
doch das geh ich mit Freuden ein:
halb Sultan und halb Papst zu sein.

Drum Mädchen, gib mir einen Kuß,
denn jetzt bin ich dein Sultanus!
Ihr trauten Brüder, schenket ein,
damit ich auch der Papst kann sein!

Mit dem Lied nimmt sich der Vater von Mieke durchaus selbstironisch auf die Schippe, steht aber auch stolz zu seiner von Mieke als nervig bezeichneten „Schwäche“ für „Wein, Weib und Gesang“. Herrlich, wie er da so auf seinem Thron sitzt. Ihr war das wohl eher peinlich und sie ließ es augenrollend über sich ergehen.
Testament, Berlin: bis zum Umfallen
@ Stefan: Ja. Genau. Das erinnere ich auch noch, von ihrem Gesichtsausdruck her war das Mieke Matzke zunächst eher peinlich. Vielleicht, weil über diese Art von deutschem Liedgut platt paternalistische bzw. sexistische Klischees über die versteckte bzw. durch die jeweilige Religion gerade noch erlaubte Sündhaftigkeit "des Papstes" und "des Sultans" transportiert werden. Der (katholische) Christ trinkt und der Muslim rammelt bis zum Umfallen. Und der "normale Mann" will nun auch noch beides. Ist klar. Sowas muss man erstmal aushalten. Da hilft nur noch eins: Lachen bis zum Umfallen.
Testament, Berlin: Lied-Geschichte
Lieber Papst mit Eisphallus, trotz Ihres so schön ironischen Titels begehen Sie hier einen Fehler, wenn Sie den Text des Liedes aus rein heutiger Sicht von Political Correctness lesen. Der Text schlägt wunderbar in alle Richtungen, was wohl der damaligen Zensur geschuldet ist und zielt auf die klerikale ebenso wie auf die weltliche Macht. Der Sultan ist hier nur als ein beliebiges Beispiel der weltlichen Macht dargestellt. Einen deutschen Fürsten zu wählen, wäre dem Verfasser sicher nicht gut bekommen. Leider ist mir nicht bekannt, ob Noack evangelischer oder katholischer Theologe war. Spottlieder auf den Ablaßhandel und die Völlerei des Klerus sind ja eher aus der Reformationszeit bekannt. Es ist daher wahrscheinlich doch eher so, dass Noack selbst erst diesen durchaus älteren Text aus dem Lateinischen übersetzt hat. Es gibt andere abgeschwächte Formen, in denen nicht vom Freuden- sondern vom großem Haus gesprochen wird und auch die Zeilen "Geteilt veracht ich beider Glück / und kehr in meinen Stand zurück" werden abgeschwächt mit "Getrennt wünscht' ich mir beider Glück / Nicht einen einz'gen Augenblick". Wahrscheinlich je nach dem wo und wozu man das Lied sang, ob als kritisches Spott- oder reines Trinklied. In die Chauvie-Ecke würde ich das Lied nun deswegen nicht gleich stellen wollen, gerade in der Zeit der Reformation wäre es eher ein Lied der Befreiung von klerikaler und weltlicher Herrschaft gewesen, was dann natürlich auch wieder in die Zeit der Aufklärung passt. Deswegen hat das Lied auch in den 70er Jahren wieder einen Aufschwung in der Liedermacherszene erfahren, siehe die Band Zupfgeigenhansel. Das würde auch zu der Zeit der Väter passen, die in den 60er und 70er Jahren die sexuelle Revolution mitgemacht haben. Und es konterkariert ihre jetzige Befremdung, wenn sich ihre Töchter als Performerinnen heute nackt auf die Bühne stellen. Gleichzeitig finden es die Töchter nervig, wenn ihre Väter schon mittags Alkohol trinken und halb nackt in der Wohnung rum laufen. Sie empfinden das als überkommenes Pathos, das nicht mehr zeitgemäß ist. Das alles drückt die Problematik von ungelösten Generationskonflikten aus, die das Stück versucht zu transportieren.
Testament, Berlin: abgründig-ironisch verzerrt
@ Stefan: Es geht mir nicht um die political correctness, im Gegenteil, es geht mir um abgründig-ironisch verzerrte Stereotype. Sie lesen den Sultan mit seinem Harem als ein Bild für "weltliche Macht"? Gut. Ich würde damit eher die heutigen Bunga Bunga-Parties von Berlusconi bzw. seinem Busenfreund Gaddafi assoziieren. Und den Ablasshandel, den gab es meines Erachtens nur in der katholischen Kirche. Dort konnte man sich von seinen Sünden (zum Beispiel sexuelle Exzesse) freikaufen. (Intergenerationeller) Respekt würde heissen, die unterschiedliche Perspektiven einfach mal so stehenlassen zu können.
Zudem betrachte ich dieses Bild des typischen 68er-Vaters, welcher schon mittags nackt durch die Wohnung rennt und dazu ein Glas Rotwein trinkt, ebenso als ein Klischee, wie die angeblich nur noch nihilistische Nacktheit der Töchter-Performerinnen auf der Bühne ein Klischee ist. Hierin spiegeln sich meines Erachtens nur wieder die Scheindebatten um die "gute alte Werktreue" gegenüber dem "bösen Regietheater". So simpel dualistisch ist das aber vielleicht gar nicht. Denn hier geht es ja einerseits um Werk- oder besser Texttreue - der Text wird vollständig auf eine Bühnenleinwand projiziert, inklusive der Live-Streichungen. Und andererseits ziehen sich am Ende eben gerade nicht die Töchter, sondern diese ihre Väter aus, welche die Nacktheit früher mal als sexuelle Revolution bezeichneten. The times, they are a-changing.
Testament, beim tt: zeigt, was Gegenwartstheater sein kann
She She Pop spielen virtuos mit dem Wechsel zwischen Nähe und Distanz. Das Parodistische, auch die wiederholte Rückkehr zu Lear bieten Momente des Innehaltens, der Perspektiverweiterung, des objektiven, sachlichen Blicks, bevor es wieder in das schwer durchschaubare Dickicht menschlicher Beziehungen zurückgeht, in Vorwürfe und Vorurteile, Forderungen und Unverständnis, Schmerz und Zuneigung. Am Ende ist nicht eitel Sonnenschein, aber der Krieg ist ausgeblieben. Es braucht ihn nicht, ihn hzu vermeiden heißt nicht, sich Konflikten nicht zu stellen. Es bleibt ein außergewöhnlicher Theateraben,der nie behauptet, tief ins Private zu gehen, dadurch nicht exhibitionistisch wirkt und trotzdem die harten Fragen nicht verleugnet oder vermeidet. Testament zeigt, was Gegenwartstheater sein kann und viel öfter sein sollte.

Kritik: http://stage-and-screen.blogspot.com/
Testament, Berlin: Papst und Sultan II
zu 25.

MEIN TESTAMENT

Drum schönes Mädchen, sag ich nüchtern jetzt
gib mir keinen Kuss,
denn ich war nie dein schöner Sultanuss, - -
ihr treulos falschen Brüder schenkt mir nichts mehr ein,
denn euer Narren-Papst will ich beim Trinken nimmer sein.

Ein so ein reicher Sultan lebt in Saus und Braus,
und wohnt in einem tollen Freudenhaus
voll wunderschöner Mägdelein,
wer möchte da nicht Sultan sein? -
auch trinkt er keinen Tropfen Wein -
gleich möchte ich auch ein solcher weiser Sultan sein.

Nicht jeder ist, so wie der Papst ein armer Wicht,
ein junges holdes Mädchen küsst den sicher nicht -
so mancher schläft in seinem harten Bett allein
drum möcht`ein solcher Mensch ich niemals sein.

Doch kommt das Alter später einmal dann,
lässt keine Junge, Schöne, den Alten
den Kranken-Siechen an sich heran -
das ist der Männer allgemeines Los,
was klagt ihr jetzt verfrüht ganz groß
um der schönen Maiden eingebüßten Schoss?

Vor treuer Mädchen Glut
(man hörte einst aus alter Zeit davon) -
da zieh ich meinen Hut...

Drum treulos altes Mädchen, gib mir keinen letzten Kuss,
denn ich bin jetzt alt und krank, kein junger Sultanuss - -

Ihr immer noch
unbrauchbaren falschen und unwahren Trinkbrüder -
schenkt mir jetzt nichts mehr ein -
denn euer fideler Trink-König
wollt`ich schon lange nicht mehr sein.
Testament, Berlin: welches Lied?
Eine wundervolle Aufführung. Am rührendsten auch für mich die Stellen, wenn Hr. Halmburger "I wil always love you" singt & die Monologe über das Verzeihen.

Weiß jemand, welches das Lied war, das Hr. Halmburger (Fanni's Vater) als sein Lieblingslied gespielt hat? Es war englisch & so schnell konnte ich mir den Text nicht merken. Toller Song! Tolle Inszenierung!
Testament, München: Peinliche Selbstverwirklichung
Ich habe dieses Stück in München gesehen und war über den unsäglichen Dilettantismus und der Lächerlichkeit dessen, was sich einige da auf die Bühne zu stellen getrauen, entsetzt.

Da agieren ein paar weithin unbegabte Frauen mit ihren eigenen Vätern, ohne daß jedoch irgend eine Beziehungsintimität spürbar würde. Wirkliche Schauspieler würden so etwas einfach spielen.

Das an sich interessante Thema Alter, Erben, Pflege, Hinfälligkeit wurde nur minimal erhellt, eine Aussage hat sich nicht erschlossen.
Fazit: Peinlichstes Selbstverwirklichungstheater auf Kosten jeder ernsthaften Geistigkeit oder Gefühlsqualität.
Testament, She She Pop: noch bis Sonntag in Berlin
An den Berliner Theatern waren Anfang der Woche zwei Abende zu erleben, die auf sehr unterschiedliche Arten versuchten, persönliche Konflikte aufzuarbeiten und Vergangenheit zu bewältigen.

(...)

Das Performance-Kollektiv She She Pop kehrt gemeinsam mit ihren Vätern zur letzten Berliner Wiederaufnahme von „Testament“ zurück, das 2010 hier Premiere feierte und ein Jahr später zum Theatertreffen eingeladen war.

Ausgehend von Shakespeares „Lear“ verhandeln die Töchter (Mieke Matzke und Ilia Papatheodorou) und der Sohn (Sebastian Bark) aus dem „She She Pop“-Kollektiv das schwierige Verhältnis zu ihren Vätern.

Immer wieder werden Ausschnitte aus den Proben im Sommer/Herbst 2009 dazwischengeschoben/nachgespielt: den Vätern ist das deutliche Unbehagen anzumerken, so persönliche, familiäre Angelegenheiten als Seelenstriptease auf offener Bühne zu verhandeln. Ihnen ist auch der gesamte Ansatz ihrer Kinder suspekt: Mit den Regisseuren Peter Stein, Giorgio Strehler oder Peter Brook können sie viel mehr anfangen als mit den Auftritten ihres Nachwuchses.

Obwohl sich „Testament“ mit sehr intimen Fragen auseinandersetzt, sie sogar frontal und mit offenem Visier angeht, lässt der Abend allen Beteiligten ihre Würde. Er hält die Balance, spart ernste Themen wie die Pflege der in einigen Jahren vielleicht bettlägerigen oder gar dementen Eltern nicht aus, zwingt zur Auseinandersetzung mit Fragen, die man im Alltag gerne wegschiebt, bietet aber immer wieder auch komische Momente. Ein Beispiel ist die minutiös mit Taschenrechner kalkulierte Aufstellung von „Enkelzeit“: die kinderlosen Performer rechnen nach, wie viel die 68-Eltern-Generation in ihre Enkel investiert: vom Baby-Sitting über gemeinsame Ausflüge in Zoo oder Kino bis zu kleinen Geschenken.

„Testament“ ist bis Sonntag noch drei Mal in Berlin zu erleben: ein nachdenklicher Abend, der in seinen vielen, ausufernden Facetten zwischen Zukunftsvisionen, Retrospektive, kleinen Slapstick-Nummern und Songs manchmal etwas zu beliebig zu werden droht, aber doch stets zu seinem Thema zurückfindet: dem Gespräch auf Augenhöhe zwischen zwei Generationen über das Älterwerden, über das Erben und über den Tod. Nicht zuletzt auch über die vielen kleinen Verletzungen, die sie sich in den vergangenen Jahrzehnten mal mehr, mal weniger bewusst zugefügt haben.

Kompletter Text: http://kulturblog.e-politik.de/archives/26838-blicke-zurueck-im-zorn-testament-von-she-she-pop-und-michael-eberths-theatertagebuecher-einheit.html
Testament, Berlin: unverständlicher Hype
@32: Volle Zustimmung, gestern im HAU gesehen. Das Publikum jubelte einer Truppe zu, der ich mich oft fremdschämen musste. Was hätte man aus diesem Thema machen können! Berühren konnte mich der Abend 3 Male, immer dann, wenn Musik zum Einsatz kam und Konzentration auf der Bühne herrschte. Ansonsten kann ich den Hype nicht verstehen, der oft nicht verständliche Text der Väter konnte erst aufgrund der englischen Übertitelung nachvollzogen werden.
Testament, Berlin: unverständlicher Unterrichtsstoff
ich kann mir durchaus vorstellen, dass der ein oder andere dieses Stück als durchaus gut empfindet, ich jedoch kann mich dieser Aussage nicht anschließen. Ich sitze momentan im Unterricht des "Darstellenden Spiels" und wir müssen uns dieses stück ansehen. Keiner versteht es und es erscheint nur sinnloser Unterrichtsfüller zu sein.
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