Faust - Thomas Krupas Ökonomiestudie
Heinrich, uns graut vor Dir!
von Harald Raab
Karlsruhe, 20. März 2010. Den "Faust" vom Kopf auf die Füße zu stellen, aus dem deutschesten der deutschen Helden des Fortschrittsglaubens den kläglich scheiternden wirtschaftlichen Global Player zu machen: Das ist allemal eines Versuchs wert. Dazu muss man nicht einmal Goethe, den Dichterfürsten, respektlos gegen den Strich bürsten. Der Stoff gibt es her: Das jedenfalls beweist das Schauspiel des Badischen Staatstheaters Karlsruhe. Auf 200 Minuten eingedampft, werden Faust I und Faust II danach abgeklopft, was Goethe uns über die selbst verschuldete Tragödie des Menschen in der Moderne zu erzählen hat.
Premiere war am Samstag vor einem erst etwas ratlosen, zuletzt aber begeisterten Publikum. Goethes Kritik des Machbarkeitswahns trifft den Nerv der Zeit – besonders im verunsicherten Bildungsbürgertum, das in der Beamtenstadt Karlsruhe immer noch den kulturellen Ton angibt.
Ein Grab für den Fortschrittsfreak
Das Experiment findet auf einer in die Erwachsenenwelt transponierten Bühne fürs Puppenspiel mit den klassischen Schiebekulissen statt (Bühne: Thilo Reuther). Angefangen wird mit dem Ende: Der erblindete Faust stapft am Krückstock auf die Szene. Es wird über ihn, den Manager, Gerichtstag gehalten. Seine Verteidigung ist geradezu klassisch: Er habe ja immer nur das Gute gewollt, doch leider, leider sei halt auch etwas Böses geschehen – sorry. Zum Tribunal haben sich versammelt: die Personifizierung von Mangel, Schuld, Sorge und Not. Es geht um die Karriere eines frustrierten Uni-Profs, der vorgibt zu wissen, was die Welt im innersten zusammenhält, und sich deshalb zum unfehlbaren Unternehmertum berufen fühlt.
Was zählen da schon die kleinen Kollateralschäden wie der Feuertod von Philemon und Baucis. Ihre Hütte musste abgefackelt werden, weil sie nun einmal dem großen Bauvorhaben der Investmentfirma Faust im Wege stand. Der angeklagte Doktor erinnert sich, wie alles wurde, was zum Schluss als ein veritabler Scherbenhaufen zu besichtigen ist. Verblendet wie er bis zum bitteren Ende ist, hält Faust das Klirren der Spaten für verheißungsvolle Zeichen der nahenden Vollendung der Eindämmung seines vom Meer abgerungenen Landes. Die Wahrheit ist: Man schaufelt dem Fortschrittsfreak das Grab.
Als geistiger Pate auch dabei: der Doktorvater von Josef Ackermann
Wenn es nach Bertolt Brecht ginge, dann ist Faust ein Stück von einem alternden Kerl, der ein Kleinbürgermädel verführt. Die Sache geht schlecht aus. Regisseur Thomas Krupa macht es sich nicht ganz so leicht. Er hat drei Probleme zu lösen: Wie kürzt man intelligent die Stofffülle auf eine zumutbare Zeit herunter? Wie kommt man mit wenig Personal zurande? Und wie entrümpelt und strafft man die ziemlich krause Story vom tatendurstigen Heinrich und seinem Alter Ego Mephisto? Krupa und sein Dramaturg Donald Berkenhoff haben sich zum Meistern dieser Aufgaben zwei geistige Paten ins Produktionskonzept geholt: den Schweizer Wirtschaftswissenschaftler Hans Christoph Binswanger, der übrigens der Doktorvater des Chefs der Deutschen Bank, Josef Ackermann, ist.
Binswanger vertritt die These, dass der ganze Faust ökonomisch zu interpretieren sei: Faust ist unser Zeitgenosse. Er ist im Irrglauben an die unendliche Schöpfungsfähigkeit des Menschen gefangen. Er muss als moderner Alchemist scheitern, weil er glaubt, sich mit Hilfe des Intellekts, mit eigenen Zielen und Gesetzen von der Natur unabhängig machen zu können. Der zweite Gehilfe ist der Psychologe Michael Jaeger. Der sieht in der Faustfigur den Prototypen des aktuellen Mobilitätsideals mit rastlosem Gewinnstreben. Konzentration in Karlsruhe also auf ein primär ökonomisches Faustbild.
Persiflierende Entkrampfung
Höchst wirtschaftlich auch die Besetzung. Außer Georg Krause (Mephisto) und Claudia Frost (Gretchen und Helena) spielen Olaf Becker, Thomas Gerber, Jochen Neupert, Timo Tank und Jörg Seyer alle übrigen Charaktere. Die Faustfigur wird im fliegenden Wechsel gleich von vier Schauspielern interpretiert. Der Deutschen liebste Faust-Szenen finden entweder gar nicht statt – wie der Prolog, die Walpurgisnacht und Gretchens Verzweiflungsgebet im Dom – oder werden persiflierend entkrampft.
Faust in der Studierstube ist ein alter Zausel, halb Albert Einstein, halb Rabbi Löw. Mephisto tritt als rotgesichtiger Bilderbuchteufel mit Hörnchen auf. Gretchen kommt als Unterschichtgöre daher, die sich dem hochgestellten Herrn zwecks sozialen Aufstiegs an den Hals wirft. Die schöne Helena landet mit Lockenwicklern im Haar am häuslichen Bügelbrett. Um der altdeutschen Faust-Romantik noch eins drauf zu setzen, ist der britische Countertenor Christopher Robson zur Stelle und singt Fausttexte und bürgerlich-romantisches Liedgut – "Es war ein König in Thule . . ." Der ironische Abstand verhilft den wirklich existentiellen Szenen, wie Gretchens Abrechnung mit der Welt im Kerker, zu anrührend überzeugenden Momenten.
Mephisto weiß es besser
Kommt bei all der ökonomischen Fokussierung Goethes bildreiche Sprache und der Reichtum seiner Gedankenwelt nicht zu kurz? Nein, durchaus nicht. Regisseur Krupa verlangt seiner Truppe höchste Disziplin im Spracheinsatz ab. Auch wenn da noch so viel Action und Schaubühnenzauber geboten ist – bei der Erfindung des Papiergelds, beim Krieg als Fortsetzung des wirtschaftlichen Strebens mit raueren Mitteln, bei der Kolonisation und der Landgewinnung.
Das alles wird ohne Scheu vor grotesker Übersteigerung szenisch übersetzt. Videosequenzen, intelligent in den Handlungsablauf integriert, sind nicht nur Reflexion des Bühnengeschehens. Sie eröffnen darüber hinaus eine weitere Spielebene mit eigener Ausdrucksdichte. Faust der Illusionär mit dem Versprechen vom dauerhaften Wirtschaftswachstum und unbegrenzter Wohlstandsmehrung: Die Karlsruher Inszenierung entzaubert das Mantra von Politik und Ökonomie. Mephisto weiß es besser: "Auf Vernichtung läuft's hinaus."
FAUST – Forscher, Ökonom, Kolonist, seine ganze Geschichte
von Johann Wolfgang von Goethe
Fassung: Donald Berkenhoff
Regie: Thomas Krupa, Bühne: Thilo Reuther, Kostüme: Ines Burisch, Video: Jana Findeklee, Dramaturgie: Donald Berkenhoff.
Mit Claudia Frost, Olaf Becker, Thomas Gerber, Georg Krause, Jochen Neupert, Timo Tank, Jörg Seyer, Christopher Robson (Countertenor), Valery Brown (Klavier).
www.staatstheater.karlsruhe.de
Der Regisseur Thomas Krupa inszenierte am Staatstheater Karlsruhe zuletzt im November 2009 Raoul Schrotts Fassung der Bakchen des Euripides. Seine Inszenierung von Werner Fritschs "Chroma" wurde 2001 zum Berliner Theatertreffen eingeladen.
Kritikenrundschau
Regisseur Thomas Krupa zäume den "Faust" im "ambitioniertesten Projekt dieser Karlsruher Schauspielsaison von hinten auf", schreibt Andreas Jüttner in den Badischen Neuesten Nachrichten (22.3.2010). Indem er mit dem fünften Akt von "Faust II" beginne, habe er den "wichtigsten Akzent" schon zu Anfang gesetzt: er nehme sich "die Geschichte des Ökonomen Faust" vor. Der zweite Pfosten, den Krupa einrammt: "Mephisto ist kein Versucher von außen, sondern ein Teil von Fausts Natur." Die sieben mehrfachbesetzten Darsteller würden sich "die Rollen quasi zuwerfen", bis auf Georg Krause, der als Mephisto "ein grauzotteliges Urviech mit Anzug und Krawatte" abgibt. Alle spielten sich "souverän durch den Szenenreigen, dessen surreale Künstlichkeit" durch Mark Polschers Klanglandschaften und den brillanten Countertenor-Gesang Christopher Robsons noch unterstrichen werde. Krupa ziehe, entsprechend der Schiebe- und Leinwände, "in den ohnehin komplexen Stoff immer noch eine Ebene mehr ein: Gretchen ist nur eine Projektionsfläche für Fausts Begehren? Gut, dann ist sie gleich eine Schauspielerin, die den Gretchen-Part probt, und Faust ist der Regisseur". Krupa und das "fulminante Ensemble" bringen Jüttners Meinung nach "dermaßen viel unter einen Hut, dass man nur sagen kann: Hut ab!"
Weniger angetan zeigt sich Christiane Lenhardt im Badischen Tagblatt (22.03.2010): "Dieser komprimierte 'Faust' ist eine holprige Collage darüber, was sich im 'Faust' so alles für eine kritische Betrachtung über die heutige Finanzwelt finden lässt." Faust I gerate zur "Mischung aus mittelalterlichem Fantasy-Klamauk und Video-Clip." Mit der Konzentration auf Faust II führe man die "Faust-Mephisto-AG" durch Papiergeldspekulation auf die "Finanzblase". "So lustig und vereinfacht sich das alles anlässt, es ist brutal verkürzt und voller Anspielungen". "Künstliches Leben, Finanzdebakel, Kriegsgewinnlertum, Landgewinnung werden im Stil mythisch-ironischer Science-Fiction als Kommentar auf die globalisierte Welt erzeugt. So ist der 'Faust' in Karlsruhe oberflächlich betrachtet ein spannender Krimi um Wirtschaft, Krieg und Macht geworden, aber die Quintessenz der Goethe'schen lebensphilosophischen Betrachtungen erschließt sich nur dem Insider."
Martin Röber in der Giessener Allgemeinen Zeitung (22.03.2010) kann demgegenüber diesem "radikal" zusammengestrichenen "Faust" viel abgewinnen. Das Ensemble, das die Faust-Rollen untereinander wechselt, glänze durch "Flexibilität, Witz und Tempo". "Goethes Verse deklamieren sie elegant und mit Sinn für sprachliche Pointen." Dass der Abend "wie im Flug" vergehe, "dafür sorgen auch die fantasievolle Ausstattung (Thilo Reuther und Ines Burisch), die technisch perfekten Videoeinblendungen (Jana Findeklee) und die Musik des Stockhausen-Schülers Mark Polscher." Fazit: "Das Publikum wird mit diesem 'Best-of-Faust' dreieinhalb Stunden bestens unterhalten."
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Habe auch den Jelinekabend gesehen und kann mich meinen Vorrednern nur anschließen. Das war aber auch etwas völlig anderes.
Die offensive Spielweise von Claudia Frost als Gretchen hat mir hervorragend gefallen. Mit ihrem selbstbewussten und forschen Auftreten verführt sie Faust dazu, sie zu begehren und doch zu verweilen, weil es so schön ist. Eine Unterschichtsgöre aber ist sie nicht – dazu fehlen die derbe Ausdrucksweise, die vorgetäuschte Virilität. Dem Mephisto gebricht es etwas am Mephistophelischen, er wirkt sehr gemütlich und gelassen, als habe er alles schon durchlaufen.
Im 2. Teil wird eindeutig der ökonomische Aspekt hervorgehoben, aber Faust scheint es gar nicht so sehr um die Geldvermehrung an sich zu gehen. Er ist ein Getriebener seiner Unrast, letztlich ein – Opfer. Im Grunde ist er ein reiner Tatmensch, der gar nicht anders kann als handeln und vom einen Projekt zum nächsten irrt, ohne das Vollbrachte richtig genießen zu können. Er will auch gar nicht genießen, es sei denn, im Vollzug der Tat liegt ein Genuss der intensiveren Art. Mit seiner hektischen Betriebsamkeit, die fast schon ins Pathologische gewendet ist, ist er ein nicht untypischer Vertreter einer bestimmten, sich zwar nicht epidemisch verbreitenden, aber dennoch vorhandenen Gesellschaftsgruppe. Aus diesem Grund weist Faust auch Helena ab – er möchte sich von diesem auf ihn zuströmenden Gefühlsstapel nicht ablenken lassen, um sich voll und ganz seinen weltlichen Eroberungen zu widmen. Das Kuscheln, Verweilen und Penetrieren stören dabei nur. Und letztlich tut Faust nichts anderes, als ungeheure Mengen an Energie in den Sand zu setzen.
Insgesamt eine sehr interessante Aufführung. Nur die Bügelszene mit den Lockenwicklern und dem Gesang war daneben und etwas für Zuschauer, die sich im fortgeschrittenen Pensionärsalter befinden.
Alles in allem hat mir die Inszenierung besser gefallen als ich geglaubt hätte, obwohl mir der 2.Teil besser gefallen hat. Da wird auch der Mephistopheles teuflischer. Hat für mich auch mit den Szenen zu tun, die im 2.Teil merkwürdigerweise besser verständlich waren als im 1.Teil, obwohl der ja hinlänglich bekannter ist.
Den Anfang hab ich auch überhaupt nicht verstanden. Fand ich auch nicht gut, da man dann mit dem eigentlichen Beginn zwischen Faust und Mephistopheles schon ziemlich draußen ist. Dachte auch, der Pudel ist der Teufel. War aber nicht so. Auch viel zuviel Videos und Gesang im 1.Teil. Manchmal ein bißchen zu langatmig, obwohl das Ganze nicht langweilig ist.
Trotzdem fand ich den Mut der Inszenierung gut. Ist immerhin Faust. Sicher ein schweres Unterfangen.
Faust war schon an der Grenze, aber der König Lear war eine Frechheit. Das war so furchtbar und primitiv. Wie man so etwas auf die Bühne lassen kann. Gibt es keinen Leiter am Theater, der das entscheidet. Leider waren da nicht mal die sonst guten Schauspieler gut.
Ich finde, es gibt zu wenig lustige Sücke mit Anspruch in Karlsruhe. Auch wenig moderne Stücke.