Hoho, keine Angst!

von Wolfgang Behrens

Berlin, 29. September 2010. "Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie?" So heißt ein kurzes Prosastück von Thomas Bernhard, einem jener Autoren also, mit deren Stücken Claus Peymann in den Ruf geraten ist, ein großer Regisseur zu sein. Man wüsste gerne, ob sich Peymann diese Bernhard'sche Frage bei der Lektüre von Mark Ravenhills Kurzdramen-Serie "Shoot/ Get Treasure/ Repeat" vorgelegt hat.

Eine andere Frage hat sich der Intendant des Berliner Ensembles ganz sicher gestellt, nämlich die, ob ihm Ravenhills Titel zusage. Nachdem er sie veneint hatte, bat er den englischen Dramatiker um einen neuen, verständlicheren – "Freedom and Democracy I hate you" war das Ergebnis. Im Programmheft erläutert Ravenhill seine Wahl: "Heutzutage sind diese beiden Schlagwörter, die in meinen Stücken ziemlich oft in den Mund genommen werden, doch nichts als leere Worthülsen, bedeutungslos, meinungslos (...). Ich glaube, Freiheit und Demokratie - das sind so wichtige Begriffe, dass man sie äußerst bewusst, äußerst selten und äußerst präzise einsetzen müsste. Was bedeutet wirkliche Freiheit? Was ist wirkliche Demokratie?"

Schnelle kleine Dinger

Vielleicht war es das politische Pathos dieser Worte, das Peymann in der Komödien-Tragödien-Frage auf die Spur der letzteren setzte. Jedenfalls hat er sich von Johannes Schütz eine veritable Tragödienbühne bauen lassen, sanft nach hinten ansteigende, helle Stufen mit antiker Anmutung, seitlich von der Schwärze des nackten Bühnenraums bedrängt. Hier ließe sich wunderbar "Ödipus" spielen, oder auch eine "Iphigenie". Allein, Ravenhills Szenenfolge will einem als tragische so gar nicht einleuchten.

"Freedom and Democracy" – das sind 17 Stückchen aus dem Dunstkreis einer kriegsführenden und in Terrorangst lebenden Gesellschaft (von denen Peymann für seine Inszenierung elf ausgewählt hat): schnelle kleine Dinger, die ein hochneurotisches Personal vorführen, mit Klischees vollgesogene Figuren, die "die Guten" sein und ihr Gutsein (Freiheit und Demokratie!) missionarisch in die Welt tragen wollen, die aber zu jeder Verdrängung, jeder Hysterie, jeder Panik, jedem Verdacht, jeder Vorverurteilung und überhaupt notfalls zu jedem gewalttätigen Übergriff jederzeit bereit sind. Abziehbilder sind das, in grellen Farcen, deren Dramaturgie und mitunter recht böser Witz in der grotesken, nicht selten auch handgreiflich brutalen Eskalation besteht. Doch noch in der Schilderung der drastischsten Grausamkeiten können Ravenhills Szenen ihre komödiantische Machart nicht verleugnen.

Ernsthafte "Szenen einer Ehe"-Trauerspiele

Nicht so bei Peymann. Er nähert sich fast allen Szenen mit dem breiten Pinselstrich des psychologischen Realismus, als gelte es einen Ibsen oder Hauptmann ins Werk zu setzen. Was für ein Missverständnis! Und so wird man denn Zeuge, wie etwa die große Corinna Kirchhoff der flachen Ravenhill'schen Karikatur einer Mittelstandsneurotikerin eine Schaubühnen-Tiefe zu verleihen sucht, die in der Figur einfach nicht zu finden ist. Die Kirchhoff zieht buchstäblich und aufs Virtuoseste alle Register vom Sopran bis zum - ja, bis zum Bass, doch in der Überinstrumentierung säuft die hysterische Komik ihres Charakters einfach ab.

Und so quält sich das weiter: Zynische Kabarettnummern werden zu bürgerlichen Trauerspielen zerdehnt; wo ein ins Fiese kippender Boulevardslapstick angesagt wäre, werden "Szenen einer Ehe" oder kleine Sarah-Kane-Dramen gespielt. Weil Peymann in seiner Ernsthaftigkeit auch noch von einer erschreckenden Fantasielosigkeit ist und stets die biederste Eins-zu-eins-Illustrierung wählt, ziehen sich die fast dreieinhalb Stunden endlos dahin.

Verzweifelte Komik des plötzlichen Umkippens

In ein paar wenigen Szenen wagt sich Peymann immerhin aufs Feld des Komödiantischen vor - doch die betuliche, kumpelhafte Humorigkeit, die da zum Vorschein kommt und mit der etwa dem Publikum vor der Pause die Brandmarkung angedroht wird, falls es nicht kooperiere, ist fast noch schwerer zu ertragen: "Hoho, keine Angst, wir machen doch nur Theater", schallt es einem aus einer solchen Szene entgegen. Besonders schade ist das, weil Peymann einige hervorragende Farcenspieler in seinen Reihen hat, die nun nur momentweise etwas aufblitzen lassen können: Ursula Höpfner-Tabori oder Katharina Susewind, Christian Grashof, Veit Schubert oder Thomas Wittmann.

Einmal immerhin gelingt es der Aufführung, einen richtigen Ton zu treffen, und das ist das Verdienst von Swetlana Schönfeld. Sie chargiert sich herrlich in die Rolle einer ordinär zeternden Unterschichtsmutter hinein, der zwei Soldaten die Nachricht vom Tod ihres im Krieg gefallenen Sohnes überbringen. Ihr und nur ihr gelingt es an diesem Abend, eine Figur zuerst so ins schrille Stereotyp zu treiben, dass danach in einem plötzlichen Umkippen etwas Anrührendes, eine verzweifelte Komik aufscheinen kann.

Vielleicht besteht der Irrtum dieser Inszenierung schon darin, Ravenhills Szenenfolge, die ja nicht unbedingt das ganz große Format hat, auf die große Bühne eines staatstragenden Theaters zu bringen. Auf einer Werkstattbühne wäre sie besser aufgehoben, gespielt von jungen, hungrigen Leuten, die gerade von der Schauspielschule kommen. Ravenhill und Thomas Ostermeier sind so mit "Shoppen und Ficken" hierzulande berühmt geworden. "Freedom and Democracy" ist trashiges, schnelles, überdrehtes Entertainment aus eben diesem Geist. Die Tragödie dagegen lässt man besser stecken.

 

Freedom and Democracy I hate you
(Shoot/ Get Treasure/ Repeat)
von Mark Ravenhill
Aus dem Englischen von John Birke
Regie: Claus Peymann, Bühne: Johannes Schütz, Kostüme: Wiebke Naujoks, Johannes Schütz, Dramaturgie: Jutta Ferbers, Licht: Ulrich Eh.
Mit: Larissa Fuchs, Anna Graenzer, Ursula Höpfner-Tabori, Friederike Kammer, Corinna Kirchhoff, Swetlana Schönfeld, Katharina Susewind, Christian Grashof, Boris Jacoby, Veit Schubert, Martin Seifert, Felix Tittel, Georgios Tsivanoglu, Harald Windisch, Thomas Wittmann, Manfred Karge (Stimme).

www.berliner-ensemble.de

Im Januar 2010 inszenierte Jan Klata Ravenhills Szenenfolge unter dem Original-Titel in Düsseldorf. Mehr zu Claus Peymann finden Sie im nachtkritik-Lexikon.

 

Kritikenrundschau

Auf der Webseite von Deutschlandradio (29.9.2010) schreibt Michael Laages: Mit Peymann und Ravenhill hätten sich zwei gefunden. Der eine halte sich für "den letzten politischen Theatermacher im Land", der andere habe ein noch nie da gewesenes "antiamerikanisches Hasspamphlet" geliefert. Die Inszenierung des Stückes sei "werktreu", aber "gründlich daneben gegangen und das Stück sei "allemal so schlimm" wie Peymanns Inszenierung. Mehrmals sprächen die SchauspielerInnen das Publikum an: "als wären wir die arabisch-islamistischen Fundamentalos". Das wirke "peinigend, auch peinlich", markiere aber die "durchgängige politische Grundhaltung" der Texte, die "im Spiegelbild uns selber" als Feind vorführen. Hier werde "zurückgehasst", weil das westliche Weltbild, "fast schlimmer als das der Gotteskrieger und Selbstmordattentäter auf der anderen Seite, nur Schwarz und Weiß, Pro und Kontra, Gut und Böse kennt vor lauter aufgesetzter Selbstgerechtigkeit". Aber das sei halt nicht abendfüllend und überdies inszeniere Peymann "zwanghaft realistisch, plan und platt bis zum Abwinken". Ein "Tiefpunkt der Peymann-Zeit."

In der Berliner Zeitung (1.10.2010) schreibt Ulrich Seidler ein bisschen erschrocken über den Applaus des Publikums angesichts des Satzes "Demokratie - ich hasse dich!" : "Ist das Publikum von der Radikalität begeistert, in die der britische Dramatiker Mark Ravenhill die Szene treibt? Oder von der ästhetischen und didaktischen Unerschrockenheit der Holzhammer-Inszenierung von BE-Direktor Claus Peymann? Oder ist es doch die Wut auf das Versagen der Demokratie?" Laut Ravenhill seien die Kriege im Irak und in Afghanistan "Maßnahmen der Markterschließung und der Bodenschatzsicherstellung." Wem diese Wahrheit zu einfach sei, der stehe unter dem Verdacht, ein "verblendeter Mittäter zu sein, jemand, der (...) die Wirklichkeit nicht zur Kenntnis nimmt". Auf der andere Seite werde der Zuschauer von der Bühne herab als Iraki oder Afghane angesprochen: "Warum schmeißt ihr Bomben, ihr Schweine?" Dafür bedanke sich das Publikum "mit donnerndem 'Ist doch so!'-Applaus und Bravos, die ein bisschen nach 'Jawoll' und Parteitag klangen." Im Grunde passten Ravenhills Zwanzig-Minuten-Dramolette "sehr gut ins Brecht-Theater". Hochkarätig übertitelt, begönnen sie unverdächtig, nähmen schnell "dialektische Fahrt auf" und donnerten "gegen die Wand des Widerspruchs". Was Peymann jedoch "überhaupt nicht" interessiere, sei die von Ravenhill "kalt und kunstvoll berechnete Wirkung", wenn die Zuschauer den Figuren "erst auf den identifikatorischen Leim gehen und dann zusammen mit ihnen denunziert werden". Bei Peymann sei "stets sofort klar, dass es sich um Schlappschwänze, Brutalos, Dumpfbacken und Egozicken" handele, "auf die man getrost hinabblicken kann". Seidler bekennt Verblüffung "und auch ein bisschen Neid" über die Unerschütterlichkeit, mit der Peymann "die Welt in Gut und Böse einteilt, nachdem der Dramatiker eigentlich zeigen wollte, wie wenig hilfreich und falsch diese Einteilung ist".

In der Berliner Zeitung Der Tagesspiegel (1.10.2010) schreibt Andreas Schäfer: In elf Szenen gehe es bei Ravenhill um "Aggressionen, die angeblich von den 'Bösen' da draußen kommen, in Wirklichkeit aber mehr aus den eigenen Eingeweiden hervortoben". Elfmal komme "todsicher die Verlogenheit und Verkommenheit des Westens hinten raus", logischerweise gehöre die Überzeichnung zum Programm. "Das Subtile" sei nicht Ravenhills Sache. Und Claus Peymann missverstehe die "grelle Grobheit" als "realistische Plattheit". Während Ravenhill die Szenen in den Comic treibe, dass sie förmlich nach "Tempo, nach Slapstick und Überzeichnung" schrien, nehme Peymann "fatalerweise" die Figuren einerseits "viel zu ernst", pinsele ihr Drama "realistisch und in Zeitlupe" und verkaufe sie andererseits "unablässig" an die "betuliche Pointe" und die "läppische Übertreibung des Kalauers".

In der Süddeutschen Zeitung (1.10.2010) schreibt Peter Laudenbach: So groß die Probleme seien, derer sich Ravenhill und Peymann annehmen, so "simpel" seien sie "in jeder Hinsicht" gestrickt: immer schrumpften die Figuren "zu Karikaturen, zu Beweisen dafür, wie schlecht die Welt, das System, der Kapitalismus sei". Peymanns "Regiekünste" seien Ravenhills "Holzschnitt-Dramatik völlig angemessen": nicht mehr als eine klare Aussage, ein "Gedanken-Allgemeinplatz" pro Szene. Verglichen mit diesem Abend sei jeder Sketch von Dieter Hallervorden "subtilste Schauspielkunst und eine komplexe Gesellschaftsanalyse von hohem intellektuellen Anspruch". Wer hier klatscht, dürfe sich "moralisch auf der (...) guten Seite fühlen. Die Amerikaner, die Soldaten, die Geheimdienstmitarbeiter, ja, auch die auf der Bühne vorgeführten kultivierten Damen und Spießer, denen weite Teile des Publikums außerhalb des Theaters bis zur Ununterscheidbarkeit gleichen dürften, das sind die Bösen." So werde der Theaterbesuch zur "Wohlfühl-Seelenmassage". Außerdem erinnert sich Laudenbach an die "letzte Begegnung" mit Claus Peymann. In einem Film-Interview, für das C.P. mit "robustem Erwerbsstreben" erst einmal 500 Euro verlangt habe.

In Claus Peymanns "beherzt konzentrierter, solid-klarer Inszenierung werden weder Mensch noch Material, weder Kräfte noch Kosten geschont", schreibt Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (2.10.2010) und lobt einige der mitwirkenden Schaupielerinnen wie Corinna Kirchhoff, Friederike Kammer und Swetlana Schönfeld. Aber die "aufrichtige" Liebesmüh ist aus ihrer Sicht vergeblich und "angesichts des unbrauchbaren Stückwerks verraten und vertan". Immerhin hat sie den Begriff "Gebrauchsdramatik" neu sehen gelernt. "Sie heißt nicht so, weil sie gebraucht, sondern weil sie so nicht gebraucht wird."

 

Kommentare  
Freedom am BE: leere Phrasen
Die Welt kann wahnsinnig einfach sein, zumindest wenn man sie durch die Augen von Mark Ravenhill und Claus Peymann sieht. Die westliche Zivilisation reduziert sich auf Gartencenter und Kaffee, Freiheit und Demokratie sind leere Phrasen und nichts anderes als Keulen, mit denen man Kriege ebenso rechtfertigt wie das Abgleiten in den Totalitarismus, man schottet sich ab von allem was fremd und dadurch bedrohlich ist. Die Menschen sind geprägt von Angst, der ganz leicht umschlägt in Aggression, Hass und Gewalt. Wir zelebrieren uns als gute Menschen, doch die Fassade verbirgt nur unsere Angst und Intoleranz, unseren Hass auf alles, was anders ist als wir und unser Gefühl der Überlegenheit.

17 kurze Stücke für die 17 Tage des Edinburgh Fringe Festival hat Mark Ravenhill geschrieben, 11 von ihnen hat er mit Claus Peymann für das Berliner Ensemble zusammengestellt. 11 Szenen, die sich um den "Krieg gegen den Terror" drehen und wie er unsere Gesellschaft beeinflusst. Dominieren im ersten Teil noch die privaten Situationen, bricht sich nach der Pause die große Welt Bahn.

Das Ergebnis ist das gleiche: Ravenhill hat ein paar Holzschnitte von größtmöglicher Grobheit angefertigt, die Peymann mit dem ganz dicken Pinsel koloriert. Das zeigt sich schon in der Eingangsszene: Eine Gruppe Frauen fragen nach dem Grund für den Hass der Selbstmordattentäter. Sie seien doch alle gute Menschen, die nur Gutes täten. Eine Stimme aus dem Off verkündet ihren bevorstehenden Tod durch einen Selbstmordattentäter. Als dieser auftritt - mit den Worten: "Ich bin der Selbstmordattentäter"! - steht seiner Ruhe Hass und Angst in den Augen der Frauen gegenüber.

Und so geht das weiter: Der hysterische Familienvater will in eine "Gated Community" ziehen, Kinder malen Soldaten ohne Köpfe, ein von der Freundin verlassener US-Soldat wird aus Liebesentzug zum Folterer, ein krebskranker Schwuler würde, wenn er könnte, selber Selbstmordattentate verüben, drittrangige Künstler wollen den Irak durch Performance- und Mal-Workshops heilen und und und. Was auch immer hier für die westliche Zivilisation steht, wird der Lächerlichkeit preisgegeben - ohne Ausnahme.

Die Geschichten sind von einer so erschreckend plumpen Einfachheit, Eindimensionalität und Oberflächlichkeit, die Dialoge so platt, plakativ und voller Klischees, dass man sich verwundert die Augen reibt, dass dies aus der Feder eines so erfahrenen Autors stammen kann.

Ja, es gibt Momente, in denen das kurzzeitig erträglich ist, und sie gehören allesamt den Schauspielern. Swetlana Schönfelds Mutter, deren Sohn gefallen ist, kann kurz berühren, wenn sie sich durch eine erschreckend schlecht geschriebene Szene kämpft. Auch in Martin Seiferts und Christian Grashofs Schwulenpaar scheint so etwas wie menschliche Wärme auf. Doch sonst: Tristess, Langeweile und ein für den Zuschauer beleidigend simples Weltbild ohne jegliche Nuancen oder gar ironische Brechung.

Ironie ergibt sich bestenfalls für den Zuschauer: Mehrfach wird das Publikum adressiert, meist steht es dabei für die "Anderen", die Opfer, die ohne Lobby, Gesicht und Stimme. Und doch gehören die, die hier im Zuschauerraum sitzen, mit großer Mehrheit genau zu der Gesellschaftsschicht, die hier so lächerlich gemacht wird. Es scheint niemanden wirklich zu stören und es scheint auch niemand zu merken. Die vermeintlichen Opfer bleiben ohne Stimme, man ergeht sich der Selbstkasteiung, ohne dass der Zuschauer merkt, dass es um ihn geht.

Ravenhill und Peymann: Wer sich gefragt hat, ob das zusammenpassen kann, wird die Frage nach diesem Abend mit einem klaren Ja beantworten. Ja, das passt. Leider.

http://stage-and-screen.blogspot.com/
Freedom am BE: ständig erhobener Zeigefinger
Dieses gnadenlose Überzeichnen der Figuren ist das Problem der letzten Inszenierungen von Claus Peymann, wie schon bei der unsäglichen Trilogie der schönen Ferienzeit oder besser Eitelkeit. Er kann nicht hinter einem Autor zurückstehen, er muss immer noch eins draufsetzten und so ist nicht Tragödie zu sehen, sondern ein ständig erhobener Zeigefinger, Peymann übertüncht diese kleine, böse Groteske mit all zu viel Klamauk. Ravenhills Kriegssatire wird dadurch unbewusst der Schneid abgekauft. Nur in wenigen Bildern kann Peymann das Pathos von Freiheit und Demokratie wirklich entlarven. Dem Zuschauer soll der Ball geschickt zugespielt werden, allein er ist zu scharf geschossen. Ansonsten gut beobachtet von Wolfgang Behrens. Corinna Kirchhoff bemüht sich wieder einmal vergeblich alte Schaubühnentraditionen zu pflegen, das ist schon fast unerträglich. Stark dagegen der Auftritt von Martin Seifert und Christian Grasshof als schwules Paar, wie sie sich erst all zu verständnisvoll im eigenen Leid ergehen, dann aber wieder alte Ressentiments aufkommen und Grasshof sich in eine wandelnden Bombe hinein fantasiert, das hat schon Klasse. Was Ravenhill da geschrieben hat, ist teilweise recht zynisch und kommt auch mal ganz platt daher, Peymann versucht aber noch den brechtschen Agitator raushängen zu lassen. Das Deutschland schon mitten im Sumpf drinsteckt, bleibt ganz auf der Strecke, das Publikum kann den wahren Feind allein schon an der Fahne erkennen. Fuck off, Amerika, Germany sleep well!
Freedom am BE: platt und plakativ
@Stefan: Völlig richtig, hier wird der Peymann-Effekt aber noch dadurch verschärft, dass Ravenhills Texte wenig bis keine Substanz haben und selber schon so platt und plakativ sind, dass Peymanns Überzeichnung das ganze komplett ins Schmerzhafte kippt.
Freedom am BE: so einfach ist das nicht
@ Prospero
So einfach kann man sich das bei Mark Ravenhill nicht machen. Ich denke das Plakative ist hier auch stilistisches Mittel. Ravenhill ist Brite, deren bisweilen drastischer Humor ist bekannt. Die Texte sind mit lauter Anspielungen gespickt, besonders sexueller Natur. Peymann holt dann auch den Benny Hill aus der Schublade. Man erliegt hier einem Irrtum, wenn man diese schnell hingelaschten Skizzen zu einem Gemälde zusammenfügen will, das versucht auch Peymann erst gar nicht. Auf die richtige Mischung kommt es an. In Düsseldorf scheint das bei Jan Klatas Inszenierung besser geklappt zu haben, wenn man sich die Kritiken so durchliest. Klata ist ja auch sehr radikal in seinen Mitteln, obwohl er die Szene mit der Folterung der Nachbarin nicht drin hatte. Gerade aber diese, die Szene mit dem Soldaten ohne Kopf oder die mit dem schwulen Paar sind schwarzer Humor pur. Das muss man dann auch so spielen, Peymann nimmt aber alles viel zu wörtlich und haut wo Hammer schon im Text steht noch mal mit dem hölzernen drüber, der Rest ist leider tatsächlich Plakat. Von britischem Understatement hat Claus Peymann wohl noch nichts gehört, damit könnte man alles wunderbar konterkarieren. Interessant wäre gewesen, das BE hätte mal alle 16 Texte veröffentlicht, damit sich das Bild rundet.
Freedom am BE: überschätzt
@Stefan:
Ihre Verteidigung von Mark Ravenhill (der imho seit Shopping und Fucking auch nichts wirklich nennenswertes zustandegebracht hat) in allen Ehren, aber ich glaube, sie überschätzen die hier verwursteten Dramaskizzen erheblich. Auch eine - zugegeben stichprobenartige - Lektüre hat bislang keinen neuen Erkenntnisgewinn gebracht. Ich finde nichts, an dem man sich festhalten könnte: keine Figuren, keine Stories, keinen Humor, der den Namen verdienst, keinen Erkenntnisgewinn in diesem Schwarz-Weiß. Ich suche und suche aber da ist nichts.

Ich finde auch ihre schwarzen Humor nicht. Die Folterszene ist billigstes und simpimplifiziertestes Pinter-Imitat, der Soldat ohne Kopf Gebrüder Grimm auf Speed, das schwule Pärchen würde ich bei Neil Simon an der Kudamm-Bühne durchgehen lassen.

Ich befürchte, dass Peymann die Stückchen genau so inszeniert, wie sie gemeint sind und wie sie es verdienen. Hat Peymann nicht sogar mal gesagt, er möge Ravenhills Stücke nicht?
Freedom im BE: britischer Humor
britischer humor wird überschätzt. lieber stefan, geh mal in londoner theater! außer kevin spacey hält das niemand aus. das ist folklore für die amis.
Freedom am BE: anglo irisch amerikanisches Theater
@LE

Dann gehen Sie in London in die falschen Theater/Stücke. Das anglo-irisch-amerikanische Theater ist völlig anders als das deutsche, aber auch hier gibt es großartige Inszenierungen - und grottenschlechte.
Freedom & Democracy, Berlin: fundamentale Verschiebung des Wertekanons
Es war ein großartiger Abend, weil mit großartigen schauspielerisch vollbrachten Leistungen, wie sie rar geworden sind bei, zugegeben weit besseren Stücken, als diesem Holzschnitt. Die Schauspieler tragen mühelos die dreieinhalb Stunden, obschon der Tenor des Abends nach dem Intro nurmehr variiert wird. Keine Spur von Langeweile.

Ja, zugegeben, ein mittelmäßige Theaterminiaturen sind das. Dennoch sind die dahinterliegenden Gedanken über fundamentale Verschiebung (kriegsähnliche Zustände) unseres westlichen (universalen?) Wertekanons, an die wir uns im Laufe der medialen Aufbereitung gewöhnt haben deshalb nicht weniger richtig. Ganz im Gegenteil.

Es bleiben Miniaturen, kurze Theaterskizzen (ohne Tiefe), ja. Aber es bleibt auch ein großer Theaterabend mit bravourösen Leistungen der Schauspieler. Und wäre es nur das: der Abend hätte sich schon deshalb gelohnt. Ein großer Abend für das Theater!
Freedom & Democracy, Berlin: satirischer Beitrag
@ 8
Ich nehme das als satirischen Beitrag und darin ist er ganz Poesie und großartig.
Freedom und Democracy, BE: Direktheit als stilistisches Mittel
Auf mich wirkte die plakative Umsetzung schon sehr bewußt gewählt.Direktheit als stilistisches Mittel,hin und wieder etwas plump doch in der Wirkung brilliant.Dies ist sicher kein Werk,das großen Interpretationsfreiraum lässt,doch es schafft inhaltlich bewußtsein darüber wie in der westlichen Welt mit Ängsten und Schuldgefühlen gespielt wird und diese oft nur als Mittel zum Zweck dienen um politische Interessen zu verfolgen/durchzusetzen.Unter diesem Aspekt schaue ich gern über die ein oder andere platte Szene hinweg und lege meinen Fokus auf die grandiose Schauspielerische Leistung und die Gesammtwirkung die das Stück vor einigen tagen bei mir hinterlassen hat.
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