Sehenden Auges in den Crash?

Rostock, 3. November 2010. Wie verschiedene Online-Medien melden, fehlen dem Volkstheater Rostock zwischen 750.000 und 1,2 Millionen Euro. Deshalb soll der kaufmännische Geschäftsführer des erst im April in eine GmbH umgewandelten Vier-Sparten-Haus, Kay-Uwe Nissen, entlassen werden. Laut NDR 1 Radio MV ermitteln "Wirtschaftsprüfer" derzeit die genaue Höhe des Fehlbetrages.

Laut Medienberichten vom Mittwoch habe der Aufsichtsrat des Theaters bei zwei Stimmenthaltungen am Dienstag Nissens Abberufung empfohlen. Der Hauptausschuss der Bürgerschaft müsse nun am kommenden Dienstag entscheiden.

Schon seit längerem Kritik

In der Rostocker Ostsee Zeitung (4.11.2010) schreibt Thomas Niebuhr, "hinter vorgehaltener Hand" habe es bereits seit längerer Zeit Kritik an Nissens Arbeit gegeben. Bis heute gebe es keine ordentliche Eröffnungsbilanz für die GmbH. Selbst bei der Buchführung seien zuletzt "Mängel" aufgetreten. Die Fakten, die ein Wirtschaftsprüfer vorgelegt habe, hätten im Aufsichtsrat das Fass offensichtlich zum Überlaufen gebracht.

Nissen, vormaliger Fraktionsvorsitzenden der CDU, war Ende 2008 von einem Bündnis von CDU, SPD und Bündnis 90 auf den Geschäftsführer-Posten "gehievt" worden, schreibt die Ostsee-Zeitung. Kritik am Auswahlverfahren sei seinerzeit von Linken, dem Rostocker Bund und der FDP gekommen.

Auf der Webseite von NDR 1 Radio MV heißt es, das Theater habe "zwei externe Unternehmen an die Seite gestellt" bekommen. Eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft solle bei der Erstellung des fehlenden Wirtschaftsplans für die Theater-GmbH helfen.

Fusionspläne

Eine zweite Beratungsfirma sei mit der Begleitung der auf Druck des Landes betriebenen Fusion mit dem 120 Straßenkilometer entfernten Landestheater Parchim beauftragt worden − für ein Honorar in Höhe von 20.000 Euro. Kritiker monieren die Höhe der Kosten und zweifeln an der Qualität der Arbeit des Dienstleisters.

Hinter einer weiteren vorgehaltenen Hand heißt es, dass Nissen "ein Bauernopfer" sei. Denn der Stadtverwaltung seien Schwierigkeiten mit der kaufmännischen Geschäftsführung schon aus der Gründungsphase der Theater GmbH im vergangenen Jahr bekannt gewesen.

Sibylle Bachmann, Vorsitzende der Bürgerschafts-Fraktion des Rostocker Bund, schreibt auf MVregio (4.11.2010): De facto sei die GmbH unterfinanziert ins Leben gerufen worden. Dafür wie für die noch nicht vorgelegte Eröffnungsbilanz sei Oberbürgermeister Roland Methling politisch verantwortlich.

Laut Ostsee Zeitung (4.11.2010) sieht sich der gesundheitlich angeschlagene Methling (parteilos) "nicht zu einer Aussage in der Lage".

Lohngelder fehlen

Das jetzt fehlende Geld wird, laut NDR 1, für Personal- und Investitionskosten benötigt, die schon vor der Privatisierung des Theaters im April dieses Jahres entstanden seien. Damals seien Tarifsteigerungen für die Mitarbeiter vereinbart worden, die jetzt zu Buche schlügen. Bis 2013 werde sich daran nichts ändern, weil bis dahin die Übergangsverträge zur Absicherung der Mitarbeiter laufen. Dies sei bei der Gründung der Theater-GmbH offenbar nicht berücksichtigt worden.

Seit April 2010 wird der Spielbetrieb des Volkstheaters Rostock in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung realisiert. Alleinige Gesellschafterin ist die Hansestadt Rostock. Ein Aufsichtsrat begleitet, wie bei anderen städtischen Gesellschaften auch, die Arbeit der Institution, diskutiert Probleme und erarbeitet Vorschläge für Beschlüsse, die der Bürgerschaft als Gesellschafterin obliegen.

(NDR 1 Radio MV/ MVregio/d-news/Ostsee-Zeitung/jnm)

 

Mehr zu Rostock und seinen Krisen:
Bürgerschaft beschließt Etatkürzung für das Volkstheater Rostock, 19.10.2007
Rostocker Intendant Steffen Piontek gibt auf, 2.8.2008
Einigung mit Rostocker Ex-Intendant Steffen Piontek, 29.9.2008

 

 

Kommentare  
Rostock: Zynischer Kommentar
mein Gott - Nichtskönner in Politik und im Theater machen die Musentempel kaputt. Zonen-Norddeutschland braucht wahrscheinlich eh kein Theater. Macht einen Fischladen draus!
Rostock: das Neue kommt von den Rändern her
@ z. Nein, ich denke von den Rändern her kommt der neue Impuls. In Hamburg gibt es doch unter den jetzt abgesteckten Verhältnissen überhaupt keine Chance auf eine Reform oder Erneuerung. Da steht das Theater ganz klar von der jetzigen Politikerseite aus im Dienst der Stadt, um ihr Glanz und Strahlung zu verschaffen und nur dafür gibt es offensichtlich Geld. Unter solchen Bedingungen wird höchstens die Peripherie zum Zentrum neuer Ansätze.
Rostock: es geht nur inhaltlich
@123 - wer wünscht sich das nicht?! "Von den Rändern kommt der Impuls." Aber - mit Verlaub - das ist beim Theater nicht mehr so. Das Rostocker Theater kann sich freuen, dass es ein "kommunales Unternehmen" ist. Eine Insolvenz verbietet sich daher. Aber was bleibt übrig vom Theater dort? Und sollten da nicht erst einmal die Impulse in das Rostocker Publikum gehen? Sollten die Zonen-Nordlichter nicht zuallererst versuchen, ihr Theater zu größerer Bedeutung wohlgemerkt in Rostock!! - zu führen. Das geht nur inhaltlich. Zur Zeit vermittelt das Haus nichts anderes als eine große Depression. Und in eine solche Bude geht man nicht!
Rostock: haftbar machen
rausschmeißen und haftbar machen finde ich schon richtig, wie auch in gera altenburg geschehen... vielleicht sollte man auch in halle bezüglich der schließung des thalia theaters darüber nachdenken, den geschäftsführer zu entlassen. dort geht es ja auch um ein absehbar gewesenes finanzloch der theater gmbh und dem herren fällt nix anderes ein, als eine sparte zu schließen. es wird wirklich zeit, dass sich kulturbetriebe nicht nur von der einnahmenseite wirtschaftlich messen lassen müssen, sondern eben auch von der leitungsebene her gesehen. eine gmbh nach 2 jahren in die insolvenz zu fahren ist versagen, auch in halle, also fristlos kündigen und haftbar machen... ob bauernopfer oder nicht, jeder kann frei entscheiden, ob er so einen schweren, verantwortungsvollen job machen will.
Rostock: entsetzliche Lage
@z. Sie haben schon recht, die Lage ist entsetzlich. - Welche Inhalte?! Sind es, die es bringen ?! Möchte man ausrufen.
Rostock: aus der Ferne Aufbruch
"Zonen-Norddeutschland" hat gute Theater; auch der letzte sowohl
auf nachtkritik de. gewürdigte als auch landesweit Beachtung gefunden habende Abend "Alles offen" von lunatiks/Tobias Rausch, der äußerst rührig gerade in Hannover den dritten Teil seines "Pflanzentheaters" vorgestellt hat und auch in Kiel mit "einsatz-spuren" einen diskutablen Studiotheaterabend abgeliefert (selbst wenn letzterer irgendwie von Voraussetzungen ausgeht, die ich nicht teile ... und "Recherche" betreibt, dann jedoch szenisch "Bilder" zum Krieg allgemein erspielt (das durchaus kurzweilig und gelungen), so daß Frau Bender, eine bekannte Lokalkritikerin meineserachtens zurecht schrieb, der Abend treibe es immer wieder nur zu jenem Punkt, wo die Sache schwierig werde ...)) -siehe DT-Autorentheatertage- in Rostock ist noch nicht lange her; es gab zum Beispiel einen interessanten Ansatz mit einem "Finnlandschwer-
punkt": und insofern sah ich gerade für Rostock garnicht so schwarz, jedenfalls sah das aus der Ferne eher nach Aufbruch aus; freilich, das Rostocker Theater befindet sich schon seit ich es zum ersten Mal wahrnahm in den 90ern im "Abstiegskampf" -- historisch
war Rostock ja einmal die Wagner-Stadt im Norden Deutschlands, hm.
Zudem ist Rostock eine der wenigen norddeutschen Städte mit eigener
Hochschule für Schauspiel und Musik - insofern gibt es da infra-
strukturell gesehen eher ein Plus gegenüber zB. Kiel oder Lübeck.
Schwerin, eine andere Stadt in "Zonen-Norddeutschland", bringt immer wieder sehr gute Sachen ("Terrorismus"/"Tötet den Schiedsrichter" der Gebrüder Presnjakow hatte gerade E-Werk-Premiere die Tage, heute folgt im E-Werk ein Abend zum Themenkreis
"Essstörungen": "Fressen, lieben, kotzen"), wenn ich Glück habe, kriege ich gleich sogar ne Karte für eine. lg aus Schwerin
Rostock: leidenschaftlich wie Arkadij
@Arkadij Zarthäuser - gebt jeder - ob nun Zonen- oder nicht - norddeutschen Stadt 6.000 "Arkadij Zarthäusers" und ich würde nicht mehr so traurig auf Rostock gucken! Wenn die Rostocker so leidenschaftlich wie Arkadij Zarthäuser auf ihr Stadttheater guckten, wir bräuchten das hier alles nicht zu kommentieren.
Rostock: Asche, alles Asche
...aus der ganzen Debatte, egal ob Rostock oder Hamburg ist leider das Feuer raus...Flammen sind eben nicht pragmatisch und kompromissbereit... allesverzehrend ist das schon lange nicht mehr... eine arrangierte Ehe wird nie mehr sein als eine arrangierte Ehe... und was Rostock betrifft... das riecht alles nach einer ganz ätzenden Scheidung vom eigentlichen Auftrag der Kultur... da bewirbt sich ganz sicher nicht mehr so schnell ein "strahlkräftiger" Intendant, dort wo einem alles haftbar gemacht werden kann... Asche, alles Asche... den Scherbenhaufen will doch keiner mehr aufräumen, außer er oder sie ist ein Intendant, dem oder der man das Geld nur so zuwirft... ich könnte echt kotzen...
Rostock: Fass ohne Boden
@ 7

Nein Z, ganz im Ernst: das ist doch der Jammer: die Probleme sind so,
und es gibt in diesen Städten jeweils mindestens 6000 "Zarthäusers":
schauen Sie dazu nur einmal auf die Petition für Halle (mittlerweile
läuft im übrigen noch eine weitere gegenüber dem Land Sachsen, ausgehend ua. vom Centraltheater und dem Gewandhaus ...): 123,
Sie haben da natürlich Recht, derlei zynische Beschwörungen eines
Mechanismus wie in HH bei gleichzeitiger Haftungsrealität haben wohl schon das, was da beschworen wurde: Strahlkraft !
("Flammen" schreiben Sie: assoziierte ich auch ähnlich und postete im
Peymann-Thread als Mr. Flimmflamm harmlos als Antwort an §1 und wurde nicht gesendet - vielleicht kann nachtkritik de. das unter Zarthäuser noch nachreichen, wenn ich Besserung gelobe und "Rollenentfaltung" fernerhin einschränke - manchmal sind das wirklich Steilvorlagen in so einem Thread für verspielte Menschen, sorry, ich meine das wirklich ganz ehrlich, ein "Necknämchen" sollte ja schon reichen ...)
Zynischerweise mit der Folge, daß im Falle Rostocks dann der strahlkräftige Intendant noch viel dringlicher wäre etcpp.: ein Faß also ohne Boden..
Krise in Rostock: Spitzenpersonal mit Kompetenz
Ich ging ja leider schon davon aus, das die GmbH zwecks Abwicklung gegründet wurde. Da die Kapitaldeckung wirklich nur den Minimalanforderungen genügte, sollte das Theater bis zum Betriebsübergang am Tropf bleiben um alles dann gepflegt zu entsorgen. Das ist zwar nicht die feine Art aber nach der Besetzung der Spitzenpositionen war schon sehr deutlich das die dann auch bequem mitzuentsorgen sind. Das Methling das nicht wissen soll is dann eher ein schlechter Scherz, da es sich um seine Dutzfreunde handelt. Ansonsten ist zu sagen das es für Rostock als grösste Stadt in MV peinlich ist wenn kein Theater da währe. Aber Spitzenpersonal mit Kompetenz ist da wirklich schwer herzubekommen, wer will für den Müll schon seine Reputation verlieren.
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