Und alles so schön authentisch hier

von Anne Peter

Berlin, 2. Oktober 2007. Das ist alles ganz echt. Ehrlich jetzt. Kein Scheiß. Mit eigenen Augen. Nämlich: "Alles, was in dem Stück erzählt wird, basiert auf tatsächlichen Ereignissen. In Wirklichkeit wurden nicht alle Erfahrungen von derselben Person gemacht, aber für sich genommen ist alles wahr." Das schreibt der dänische Autor Thor Bjørn Krebs an den jungen Regisseur Benedikt Haubrich, während dieser gerade mit drei Schauspielern an der deutschen Erstaufführung von Krebs’ Stück "Tommy" probt.

Mission impossible

Da haben wir es wieder: das vermeintlich Dokumentarische. An der Schaubühne. Im Studio. Tommy ist einer der dänischen Soldaten, die es als UN-Blauhelme zwischen die Fronten von Serben und Kroaten ins "Jugoland" verschlägt. Blauäugig wähnen sie sich "da unten" zunächst auf großer Mission. Und müssen blaubehelmt ziemlich bald erfahren, dass das alles gar nicht so einfach "in den Griff" zu kriegen ist. Dass man nämlich neutral zu sein hat und noch nicht mal schießen darf, wenn auf einen gezielt wird.

Die moralischen Konflikte – die in solchen Krisensituationen ohne Frage immens sind – werden angerissen (operieren wir den Serben oder nicht?), hinterhergebohrt wird ihnen kaum. Dafür allerlei Splatterstorys von zerfetzten Gliedmaßen und unvollständigen Körpern. Nach Hause kommen traumatisierte, lebensmüde Wiederholungstäter, die ausrasten und schließlich nicht mehr mit sich anzufangen wissen, als sich erneut zu melden. Ja. Stimmt. Das ist wirklich und ganz ehrlich verdammt hart. Aber erfahren wir hier irgendwas Neues? Leider nein.

Naiver Blick auf "die Idioten"

Der Blick, den Krebs nach vielen Recherchen unter heimgekehrten Landsleuten auf das komplexe, ethnisch und religiös zersplitternde Geschehen auf dem Balkan wirft, ist ein naiver, überaus ausschnitthafter Blick von unten. Kroaten und Serben kommen im Grunde nur als "Idioten" vor, die glauben, sie "können sich einfach gegenseitig abknallen". Dabei geht jegliche Spezifik dieser Kriegstragödie flöten. Und die Multiperspektivität erschöpft sich im Wesentlichen darin, Soldaten, Mütter und Väter von Soldaten, Vorgesetzte und Seelsorgerinnen von Soldaten zu Wort kommen zu lassen.

Überdies zu denkbar simplen Worten. Worte, in denen das Grauen des Krieges übertönt wird von sich realistisch gebendem Proll-Sprech. Kann sein, dass Soldaten so reden – und auch nicht anders können. Aber das Theater? Wie kann man schreiben über den Krieg? Wie schreiben über das Trauma? Dafür findet Krebs keine Sprache. Man bewegt sich an der Oberfläche des einfach Sagbaren. Nichts ist in den Worten aufgehoben von der Seelenversehrtheit, von der kaputt gegangenen Kommunikationsfähigkeit. Darüber wird bei Krebs hinweggeplappert. Sein einziges Argument ist die Authentizität. Was bleibt, ist das schlichte Abbilden.

15 Rollen, aber keine Verwandlungskünstler

Auch Haubrich scheint in seiner ersten größeren Regiearbeit am Hause kaum anderes übrig zu bleiben. Immerhin tragen die Schauspieler in der Ein-Stunden-Inszenierung keine Camouflage-Optik, sondern Kapuzenjacke und Karohemd. Das sind halt ganz normale Jungs. Immerhin sitzen die Zuschauer rundherum um das Spiel-Rechteck, in das von oben Neonlicht knallt, womit eine offensive Direktanspielsituation geschaffen ist. Immerhin schlüpfen drei Schauspieler in alle 15 Figuren.

Dabei übernimmt der Noch-Ernst-Busch-Schüler Stefan Stern den Tommy, Sebastian Schwarz und Bettina Hoppe alle übrigen Rollen, zwischen denen sie schnell hin und her switchen. Verwandlungskünstler sind hier allerdings nicht zu bestaunen. Verschiedenheiten in Sprech- und Körperhaltung werden höchstens angedeutet: Befehlshaberin, Sanitäterin oder Psychotante – sie nehmen sich wenig. Hoppe legt die Hände überm schlichten Rock zusammen, lächelt gewinnend, schaut sachlich bis leicht irritiert. Wenn es ernst wird, stemmt Schwarz als Kompaniechef die Arme in den Jeansbund, sonst blödelt er mit Tommy herum. Als Mutter und Vater tätschelt man sich gegenseitig beruhigend und ist gemeinsam hilflos gegenüber dem Jungen.

Und der Schreck? Ist weg.

Sterns Tommy ist unter verschwitzten Stirnfransen glaubhaft und angenehm zurückgenommen. Er berichtet uns – erst begeistert, verwundert, belustigt, später zugeknöpfter und bockig, jedoch ohne große Ausbrüche – eben mal was vom Krieg, so als würden wir in der U-Bahn neben ihm sitzen oder als würde er seiner Clique etwas über den Kneipentisch verklickern. Im Rahmen des darzustellenden schlichten Gemüts agiert er durchaus nuancenreich.

Haubrich lässt alle drei als Berichterstatter aus der ersten Reihe aufstehen, in der Mitte ihr Erzählen absolvieren, sich wieder setzen oder zu einem Gruppenbericht zusammenstellen. Nur wenige Einfälle unterbrechen dies: sparsam wird salutiert, Gesang eingelegt oder eine Ertüchtigungsübung ausgeführt. Ansonsten: Erzählhaltung, kein Großgestikulieren, kein Überspielen. Das ist ziemlich konsequent und tut dem Text gut, weil es ihn nicht überfordert.  Nur der Schrecken, der bleibt bei allem irgendwie auf der Strecke. Kein Dokument des Krieges.

Tommy
von Thor Bjørn Krebs (deutsch von Gisela Kosubek)
Regie: Benedikt Haubrich, Bühne und Kostüme: Magda Willi.
Mit: Bettina Hoppe, Sebastian Schwarz, Stefan Stern.

www.schaubuehne.de

 

{denvideo http://www.youtube.com/watch?v=PNvdAZcFq5c}

 

Kritikenrundschau

Im Berliner Tagesspiegel (4.10.2007) schreibt Patrick Wildermann, Haubrichs Inszenierung könne sich auch "um einen Hörspielpreis bewerben". Im "neonbeleuchteten Seminarraum" von Magda Willi nehme das Publikum an einer "Therapiestunde zur Bewältigung des posttraumatischen Stresssyndroms" teil. Die Schauspieler seien um einen "lapidaren Ton bemüht, indes auf die Empörungswirkung ihrer Worte sehr bedacht". Wildermann kann sich des Eindruckes nicht erwehren, "wieder einmal die Krisenregion als Betroffenheitstankstelle für Jungautoren zu erleben, die sich da mit einer Bedeutsamkeit volllaufen lassen, die ihr Alltag nicht hergibt".

Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (4.10.2007) findet, dass man den Krieg im Stück überhaupt "nicht nachfühlen" könne. "All die Erlebnisse sind für sich genommen dokumentarisch, aber Krebs sortiert seine Recherchen nach dem schnell durchschaubaren Gesetz der Steigerung und füllt sie mit Figurenklischees auf." Der ganze Abend fühle sich an wie ein "politikwissenschaftliches Proseminar".

Auch auf Irene Bazinger (FAZ, 4.10.2007) wirkt die "wenig Neues vermeldende Szenenfolge reichlich bemüht". Bei "Dauerneonlicht" säße man rund um eine kleine Teppichspielfläche und sehe den Schauspielern zu, die sich "pflichteifrig am bieder aufbereiteten Textgebilde ab(rackern)."

Auf spiegel online (3.10.2007) tendiert Christine Wahl etwas freundlicher. Bei "Tommy" handle es sich um "aufklärungsgetriebene Gebrauchsdramatik", die im Aufzeigen tragischer Schuldverstrickungen der Soldaten durchaus eine "Qualität" habe. Haubrichs Inszenierung hält sich auch ihrer Ansicht nach "fast bis zur Unsichtbarkeitsgrenze" zurück und verlängere den pädagogischen Anspruch allzu simpel. Die Schauspieler aber zögen sich "bestens aus der Affäre".

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