Der Tod ist einfach nicht zu fassen

von Steffen Becker

Regensburg, 4. Dezember 2010. Am Ende ist auch der Tod nur ein Bürokrat. Robert, der Arzt und Freund, hakt einen Fragenkatalog ab – "bist du dir sicher?", "hast du noch Fragen?". Ein Ja, ein Nein, und Bernhard, Krebs im Endstadium, stirbt an einer Injektion. Seine Familie schaut zu. Dann schreibt Robert sein Protokoll. Niemand spricht, da ist nur das Kratzen des Kugelschreibers auf Formular. Zuletzt haben alle begriffen: Sie können nicht über den Tod sprechen, also gibt es auch nichts zu sagen.

Das Stück "Der gute Tod" des Holländers Wannie de Wijn, am Theater Regensburg inszeniert von Christian Himmelbauer, zeigt diese Sprachlosigkeit in Gesprächen, die immer wieder Anlauf nehmen auf den Tod und dann bei der Frage landen, wo man noch was essen soll oder ob jetzt der richtige Augenblick ist, um den alten Whisky aufzumachen.

Der Kühlschrank ist fast schon leer

Zu Beginn ist der Mann, der morgen früh aus dem Leben scheiden wird, nicht präsent. Seine Wohnung sieht nach Auszug aus – ein Sofa, ein Klavier, der Kühlschrank ist schon fast leer. Nur eine prominent platzierte und dominant tickende Uhr gibt der von Martin Scherm gestalteten Bühne eine persönliche Note. Eine konsequente Entscheidung, da man über den demnächst Verstorbenen im Stück wenig erfährt. Es geht auch weniger um Bernhard, der mit sich im Reinen ist, als um seine Familie, die es mit seiner Entscheidung nicht ist.

Am Abend zuvor versammeln sich seine Geliebte, sein Bruder, der mit der Geliebten auch mal etwas hatte, die gerade erwachsene Tochter und der zweite Bruder, ein Autist. Das riecht beim Lesen nach einem überdicken Problemhaufen. Regisseur Himmelbauer steuert das Stück jedoch zielsicher um die beim Thema Sterbehilfe zahlreichen Klischee-Fettnapfe – wenn man mal von einer Szene absieht, in der sich alle um das Klavier versammeln, singen und noch mal Spaß haben wie in guten alten Zeiten.

Himmel, Hölle, oder ist's einfach aus?

Ruben, der autistische Bruder, ist für das Stück nötig, weil nur er in kurzen Einwürfen die Fragen stellt, um die die anderen sich herumlavieren – was passiert, wenn man stirbt und was, wenn man tot ist. Markus Boniberger wirkt dabei als introvertierter Ruben absolut glaubwürdig. Die Antworten auf seine Fragen sind es nicht. Was sollen die Lebenden auch schon über das Sterben wissen. Der zweite Bruder Michael (Christoph Bangerter), ein lauter, erfolgreicher Geschäftsmann, vermutet, ob nicht eigentlich die Geliebte Hannah (Silke Heise) ihr Leben als persönliche Krankenschwester nicht mehr erträgt und Bernhard einen Schlussstrich zieht, um niemandem zur Last zu fallen.

Diese Konflikte sind jedoch nicht der Kern, auf den die Inszenierung hinaus will. Sie lenken die Figuren kurzzeitig ab, aber nicht die Zuschauer. Himmelbauer lenkt deren Aufmerksamkeit zielsicher auf das Leitthema von "Der gute Tod": Wir können den Tod nicht fassen. Nicht emotional, nicht sprachlich. Nicht wenn wir gesund und jung sind. Hannah und Michael weichen dem Tod von Bernhard aus, indem sie streiten, der Autist Ruben spielt Klavier, Tochter Sam (Julia Baukus) kocht Tee, der Arzt Robert (Anton Schieffer) zieht seinen Mantel nicht aus, weil er nur noch gehen will.

Reduktion auf menschliche Regungen

Auch der kranke Bernhard löst die Fassungslosigkeit nicht auf. Michael Haake verzichtet in seiner Rolle auf demonstrative Schmerzensbekundungen. Er sieht aus wie wir, wenn eine Grippe uns außer Gefecht setzt. Schlabberlook und Müdigkeit. Haake strahlt keine verzweifelte Lebensmüdigkeit aus. Seine Figur ist einfach ermattet. Das überträgt sich auch auf seine Familie. Christopher Bangerter reduziert vom lärmenden Provokateur zum Bruder, der seine Sprachlosigkeit zugibt. Silke Heise dämpft ihre Hannah von der unsicheren Betreuerin zur Frau, die das von Bernhard gewählte Schicksal annimmt.

Diese Reduktion von Rationalisierung auf rein menschliche Regung macht die wahre Emotionalität des Stücks aus. Dass sie überspringt, ist die Leistung eines sensiblen Ensembles, das sich Knalleffekte versagt. Die Abschiedsszene ist kurz – "mach's gut", "ich liebe dich" – das war's. Sterbehilfe wie in Holland: ja oder nein? Diese Frage überlässt das Theater Regensburg einer Diskussion zwischen Geistlichen, einem Mediziner und einem Juristen im Programmheft. Auf der Bühne erscheint der Tod weder als Erlösung noch als grausames Ende. Am Schluss ist es einfach nur vorbei.

 

Der gute Tod
von Wannie de Wijn
Regie: Christian Himmelbauer
Bühne und Kostüme: Martin Scherm
Mit: Michael Haake, Christoph Bangerter, Markus Boniberger, Julia Baukus, Silke Heise, Anton Schieffer.

www.theaterregensburg.de

 

Mehr dazu, wie die Theater mit dem Thema umgehen: Der schwedische Schriftsteller Carl-Henning Wijkmark schrieb Ende der siebziger Jahren die Novelle Der moderne Tod vor dem Hintergrund, dass sich der Staat aus Entscheidungen über Tod und Sterben herauszuhalten habe. Seit einigen Jahren hat das Buch wieder mehr Aufmerksamkeit und wird auch dramatisiert. Wir besprachen die Inszenierung von Reto Finger im November 2008 in Stuttgart und die von Donald Berkenhoff im November 2007 in Karlsruhe.


Kritikenrundschau

"Das Stück ist anrührend und ergreifend, aber es stimmt auch unbehaglich. Es ist als etwas plattes Musterbeispiel konstruiert, taugt wenig dazu, ethische Fragen wirklich abzuwägen", schreibt Ulrich Kelber in der Mittelbayerischen Zeitung (6.12.2010). "Ersetzen wir das Wort 'guter Tod' durch Euthanasie, dann wird klar, auf welch schmalem Grat man sich bewegt. Wie viele Kranke sind denn überhaupt noch in der Lage, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen? Welche Instanz gibt es dann? Wie schnell könnten wieder Dämme brechen, wenn es darum geht, den 'Wert des Lebens' zu bestimmen!" So meldet der Kritiker generelle Einwände gegen den Sterbehilfediskurs des Stückes an. Ästhetisch berge es in seinen Fragen um den geplanten Tod "eine heikle Situation, die leicht in weinerliche Rührseligkeit oder in bedrückendes Pathos ausarten könnte." Jedoch entgeht die Inszenierung diesem Problem: Bei "einem österreichischen Regisseur wie Christian Himmelbauer muss man nicht bange um den richtigen Ton sein. Der Abschiedsabend wird so etwas wie ein vorgezogener Leichenschmaus, wo sich Trauer mit alkoholgeschwängerter Partystimmung vermengt, wo auch Familienfehden noch einmal ausgetragen werden." Fazit: "Den Besucher erwartet ein Wechselbad der Gefühle, denn die Tragik wird immer wieder durch Komik aufgebrochen. Theater, das unter die Haut geht!"

 

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