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Draußen ist immer gefährlich

von Bernd Mand

Heidelberg, 1. Mai 2011. Wie man es dreht und wendet, draußen ist und bleibt es gefährlich. Auch der Autorenwettbewerb beim Heidelberger Stückemarkt ist ein gutes Beispiel für die These der schlummernden Gefahr im Außenbereich. Am ersten Autorentag stellten sich Berkun Oya, Ahmet Sami Özbudak und Fehime Seven mit ihren Stücken nicht nur den altbekannten Gefahren, die dem Messen mit anderen innewohnen. Denn neben der Tatsache, dass die Autoren am ersten Tag des Heidelberger Wettbewerbs alle aus dem diesjährigen Gastland Türkei stammen und keiner von ihnen die Mittdreißiger überschritten hat, verband die drei Beiträge auch ein deutliches Leitmotiv, das man knapp mit "Draußen ist immer gefährlich" zusammenfassen könnte.

Nach dem Einbruch ist alles anders

Egal ob man es mit Eindringlingen zu tun hat oder seine persönliche Komfortzone verlässt, die Gefahr begleitet einen. Dabei droht vor allem: die oft plötzlich hereinbrechende Veränderung.

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Szenische Lesung von "Der Türkei-Stein" von der 17-jährigen Fehime Seven © Theater Heidelberg

Die drei Stücke des ersten Autorentages erzählten alle ihre eigenen Geschichten von einer solchen Veränderung. In Berkun Oyas "Schöne Dinge sind auf unserer Seite" ist ein Einbruch in die Wohnung eines Istanbuler Paares der Auslöser für ein fast schon filmisches Porträt von Menschen, die versuchen, sich zwischen gestern und morgen einzurichten. Das Einbrecherpärchen entpuppt sich als Liebespaar auf der Flucht vor der Blutrache der Familie, die Istanbulerin verlässt ihren Mann kurz nach Entdecken des Einbruchs, und der Einbrecher wird auf der Straße vor dem Haus erschossen.

Tradition und Moderne treten in dem präzise gezeichneten Kammerspiel zum Kräftemessen an, als sich das Mädchen und der Verlassene in der Wohnung wieder treffen. Berkun Oya spielt mit den Grautönen zwischen urbanen und ländlichen Lebenswelten, schafft starke Sprachbilder und entwickelt eine dramatische Struktur, die auch in der nüchternen szenischen Einrichtung von Ronny Jakubaschk den Spannungsbogen mit bewundernswerter Leichtigkeit bis zum Ende aufrecht erhält. Der Text trotzt dabei selbstbewusst der Gefahr, zur simplen nationalen Befindlichkeitsschau zu verkommen, und behauptet sich als eindringliche, universal gültige Geschichte über unterschiedliche Lebensentwürfe und Ideen von Liebe.

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Live-Hörspiel statt Geschichtsstundenschwere

Ahmet Sami Özbudak taucht mit seinem Stück "Die Spur" tief in die Geschichte seines Heimatlandes ein. Eine Wohnung in einem alten Istanbuler Haus verbindet die Geschichten von fünf Menschen über die letzten sechzig Jahre hinweg. Zwei griechische Schwestern im Jahr 1955, die ihre alte Mutter beim Ausbruch des Zypern-Konflikts in ihrem Zimmer zurücklassen, ein Kommunist im Untergrund im Jahr 1980, der von seinem Vermieter verraten wird, und eine Transsexuelle und ihr Drogendealer-Freund, die heute in der Wohnung leben, sind die Protagonisten der fein gewebten Collage.

Die Zeitebenen verschwimmen in Özbudaks Geschichten von Ausgrenzung und Verfolgung, die Chronologie der Ereignisse wird scheinbar aufgehoben, während man immer tiefer in die Vergangenheit der Bewohner eindringt. Özbudak verzichtet auf Hysterie oder tragisches Hasten und entfaltet das Drama, das zum Teil auf realen Schicksalen basiert, mit ruhiger Hand. Und baut ein dabei dichtes und bewegendes Gesellschaftsbild, das sich in der szenischen Einrichtung von Gernot Grünewald, die beinahe schon einem Live-Hörspiel gleichkommt, zum eigenen Vorteil weit weg von der Geschichtsstundenschwere der gedruckten Vorlage bewegt.

Hilfe, so viel Familiengeschichte!

Im Gegensatz zu Oya und Özbudak tritt Fehime Seven mit ihrem Stück "Der Türkei-Stein" aus der Stadtgrenze Istanbuls heraus und verlässt sogar die Türkei, um die Geschichte einer türkischstämmigen Familie zu schildern, die kurz nach dem Mauerfall aus Bulgarien in ihre alte Heimat umsiedeln will. Am türkischen Zoll endet die Reise allerdings erst einmal im Niemandsland zwischen den Grenzen, weil ihnen die Einreise mit dem Auto verweigert wird. Hier entwickelt sich dann eine recht zähflüssige Mentalitätskomödie, die einem dermaßen viel Familiengeschichte um die Ohren haut, das man schon schützend seine Hände heben möchte.

Die siebzehnjährige Autorin, deren autobiografisch gefärbtes Stück im Rahmen eines Theaterprojekts für Gymnasiasten entstand, verliert sich rasch in den selbst gebauten Verwicklungen. Das ist besonders schade, weil sich in den Textfluten streckenweise ein herrlich robuster Humor versteckt, den Jana Polasek in ihrer forschen Einrichtung glücklicherweise vollends auskostet. Was der Textvorlage leider nicht hilft, den störenden Beigeschmack eines schrecklich gut gemeinten Jugendtheaterstücks abzulegen, das sich selbst zum Erklärbär seiner eigenen Handlung entwickelt. Insgesamt bleibt dieser erste Autorentag aber ein eigensinniger und spannender Auftakt zum diesjährigen Heidelberger Wettbewerb.

 

Schöne Dinge sind auf unserer Seite
von Berkun Oya
Szenische Einrichtung: Ronny Jakubaschk.
Mit: Frank Wiegard, Franziska Beyer, Paul Grill und Jennifer Sabel.

Die Spur
von Ahmet Sami Özbudak
Szenische Einrichtung: Gernot Grünewald.
Mit: Jan Andreesen, Simon Baur, Axel Sichrovsky, Klaus Cofalka-Adami, Ute Baggeröhr, Theresa Rose, Bastian Semm.

Der Türkei-Stein
von Fehime Seven
Szenische Einrichtung: Jana Polasek.
Mit: Ronald Funke, Simone Mende, Natalie Mukherjee, Jan Andreesen, Bastian Semm, Simon Baur.

www.heidelberger-stueckemarkt.de

 

Der Heidelberger Stückemarkt wurde am 30. April mit der israelisch-deutschen Ko-Produktion The Peace Syndrom eröffnet, die auf Recherchen in Israel und im Westjordanland beruht.

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