altStumpfe Messer, weiche Zähne

von Matthias Weigel

Berlin, 18. Mai 2011. Die Frage, ob Feminismus heute ein Unwort sei, stellt sich natürlich nicht ernsthaft. Trotzdem ist sie der Titel der ersten diesjährigen Theatertreffen-Diskussionsrunde im Haus der Berliner Festspiele, zu der allerdings auch niemand geladen war, der ansatzweise anderer Meinung hätte sein können.

tt11_feminismus_chiussiKarin Beier, Stefanie Lohaus, Thea Dorn, Kathrin Röggla und Marlene Streeruwitz (von links). © Pierro Chiussi

Kein Unwort ist es natürlich für die österreichische Autorin Marlene Streeruwitz, die sich selbst sofort in jene Feministinnen-Kategorie "mit Messer in Tasche und zusammengebissenen Zähnen" einordnet. Weder für die 33-jährige Gründerin des Missy Magazine Stefanie Lohaus, die mit ihrem Magazin dem Feminismus ein neues, jüngeres Image verpassen möchte und sich vor allem in feministischer Theorie bewandert zeigte. Noch für die 40-jährige Autorin Kathrin Röggla (deren Stück Die Beteiligten gerade beim Theatertreffen zu Gast ist), die als eher pragmatische Feministin bei all den theoretischen Ansprüchen auch an die Umsetzung im Alltag denkt. Und auch nicht für Karin Beier, die sich selbst zwar nicht als Feministin bezeichnet, doch als Intendantin des Schauspiel Köln von allen Diskutanten die Gleichberechtigung wohl am direktesten in die Tat umsetzt. Achja, moderiert hat's Thea Dorn, Fernsehmoderatorin und, klar, feministische Autorin.

Das darf man nicht überschätzen

Somit gibt's natürlich mal wieder keine Diskussion, sondern eher Fragerunden, man kennt es ja. Selbst die sich so angriffslustig einleitende Marlene Streeruwitz, die vor vier Jahren ihr (juristisches) Messer aus der Tasche zog, als sie in Nicolas Stemanns Elfriede-Jelinek-Inszenierung Ulrike Maria Stuart als sprechende Vagina vorkam, zeigt sich im Verlauf eher zahm.

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Nicht, dass sie von ihrer Sache weniger überzeugt wäre. So erscheine in Österreich die alte Geschlechterkategorie, an der man sich doch schon so abgekämpft hat, nun in neuem Gewand als "Lebensarbeitszeit-Durchrechnungszeitraum" wieder. Ein harter Reality Check zeige außerdem, dass man die Erfolge der Frauenbewegungen nicht überschätzen dürfe. So profitierten Männer auch heute von einer Politik, die ihnen immer mehr Verantwortung abnimmt, wie beispielsweise durch die finanzielle Unterstützung von Müttern. Aber zusammengebissene Zähne zeigt Streeruwitz dabei nicht, sie ist weicher geworden, wie es übrigens auch in den Rezensionen  zu ihrem neuesten Roman "Das wird mir alles nicht passieren. Wie bleibe ich FeministIn" heißt.

Das ist anscheinend ein biologischer Unterschied

Ganz ohne Manifest kommt hingegen Karin Beier aus, deren Kölner Schauspiel überwiegend weiblich besetzt ist. Dort habe sie nicht viel durchsetzen müssen. "Schließlich bin ich ja die Leiterin", lachte sie, und da kommt wohl ihre Sozialisierung an der Mädchenschule durch, von der sie kurz zuvor erzählte; getreu dem Motto: Nimm dir, was du dir nehmen möchtest.

Was sich Beier auch nimmt, ist ihr in Theaterkreisen bereits berühmter (bewunderter? beneideter?) familienfreundlicher Feierabend um 16.30 Uhr. Wie das zu schaffen sei? "Meine Tochter ist mir einfach wichtiger als das Theater. Ich denke vorher immer lange darüber nach, welche Jobs ich annehme. Und ich bin sehr straff durchorganisiert, was Männer anscheinend nicht können. Ich kenne keinen männlichen Intendanten, der sich Zeit für seine Kinder organisieren kann. Vielleicht brauchen die das nicht. Das ist anscheinend ein biologischer Unterschied, den ich so auch akzeptieren kann."

Und wer denkt, dass Beier spätestens hier den Feministinnen-Buzzer zum Glühen bringt, der liegt falsch. Zarte Einwände von Lohaus gegen den biologischen Geschlechterdetermininismus, die üblichen Hinweise auf Gegenbeispiele im persönlichen Umfeld und eine höfliche Betonung der positiven Dynamik eines Konzeptes der Geschlechterkonstruktion folgen.

Karin Beier ihrerseits hätte hingegen Bedenken bei einer Frauenquote am Theater, auf die sich sonst alle einigen können. Abgesehen davon, dass eine Frauenquote in Köln gar nicht mehr nötig wäre, betont Beier, dass sie nur nach künstlerischen Maßstäben vorgehe, und es ja sowieso schon schwer genug sei, jemanden für die künstlerische Zusammenarbeit zu finden.

Das sind die Vergessenen

Auch wenn niemand darauf zu sprechen kommt, so ist das wohl ihre Lehre aus der Anfangszeit ihrer Kölner Intendanz. Denn damals hatte sich Beier zusammen mit Chefdramaturgin Rita Thiele eine "Migrationshintergrunds-Quote" im Schauspiel-Ensemble auferlegt. Das Resultat war, dass durch diesen Quoten-Zwang auch Schauspieler ihren Weg ins Ensemble fanden, die ihn sonst wohl nicht gefunden hätten. Nun konnte und wollte man diesen Quoten-Schauspielern nicht die Hauptrollen auf der großen Bühne geben, was darin mündete, dass die Schauspieler mit Migrationshintergrund meist nur kleine Nebenrollen spielten: wie Diener oder Knechte. (siehe den auf nachtkritik.de veröffentlichten Text von Özgür Uludag zu dieser Frage)

Einen ganz anderen praktischen Ansatz zu mehr Gleichberechtigung im Theater stellte übrigens Birgitta Englin, Leiterin des schwedischen Riksteatern, in ihrem Eingangsreferat vor. Neben Frauen-"Networking" hat sie sich besonders der Wiederentdeckung weiblicher Dramatik des 19. und 20. Jahrhunderts verschrieben. Auf ihrer Homepage dramawebben.se ist inzwischen eine stattliche Liste vergessener schwedischer Autorinnen zu finden. Woran Thea Dorn, die Moderatorin des Abends, anschließt; sie recherchiere gerade selbst zu deutschen Dramatikerinnen des 19. Jahrhunderts.

Daraufhin gibt es einen der wenigen Publikumsbeiträge: Es meldet sich die Autorin Helga Kraft, die nach eigenen Angaben in ihrem Buch "Ein Haus aus Sprache: Dramatikerinnen und das andere Theater" bereits im Jahr 1996 eine Liste mit 1500 "vergessenen" Autorinnen veröffentlichte. Ob das nun ein gutes oder schlechtes Zeichen für den heutigen Feminismus ist?

 

Feminismus – heute ein Unwort?
Diskussion im Rahmen des Theatertreffens 2011
Impulsreferat: "Reappearing in The Lime Light" von Birgitta Englin
Mit: Karin Beier, Stefanie Lohaus, Kathrin Röggla, Marlene Streeruwitz.
Moderation: Thea Dorn.

www.berlinerfestspiele.de

 

Mehr zum Theatertreffen 2011 auf unserer Festivalübersicht.

Kommentare  
tt-Diskussion Feminismus: bessere Bedingungen für alle!
Sehr cool, wie Beier das formuliert: "ich bin sehr straff durchorganisiert, was Männer anscheinend nicht können. Ich kenne keinen männlichen Intendanten, der sich Zeit für seine Kinder organisieren kann. Vielleicht brauchen die das nicht." Ich würde das allerdings nicht mit der Biologie begründen als mit den immer noch vorherrschenden Rollenbildern.
Ich finde, das Theater muss nicht frauen-, sondern vor allem familienfreundlicher werden. Also bessere Bedingungen/Arbeitszeiten für alle Eltern, ob Mütter oder Väter, schaffen.
tt-Diskussion Feminismus: Rollenbilder müssen aus den Köpfen raus
@ Hilde: Genau. Meine Rede. Die traditionellen bzw. stereotypen weiblichen UND männlichen Rollenbilder müssten aus den Köpfen raus. Warum zum Beispiel wird in Bezug auf das Elterngeld von (zwei) Vätermonaten gesprochen und nicht von geteilter Elternschaft?
tt-Diskussion Feminismus: Nachfrage zur weiblichen Ästhetik
und was war mit der Bemerkung/Forderung/Wunsch? von Frau Steeruwitz nach einem ganz und gar weiblichen Theater, weibl. Ästhetik in demselben...u.s.f. Gestern abend in 3sat Kulturzeit erwähnt. Wie soll das aussehen? Hat sie dazu noch mehr gesagt? Herr Weigel, können Sie da noch nachtragen. Würd mich interessieren.
tt-Diskussion Feminismus: Es gibt sie, die positiven Beispiele!
"Ich kenne keinen männlichen Intendanten, der sich Zeit für seine Kinder organisieren kann. Vielleicht brauchen die das nicht. Das ist anscheinend ein biologischer Unterschied, den ich so auch akzeptieren kann."

Als ich Ende der neunziger Jahre mein erstes Engagement an einem von einem Mann geführten Haus annahm, fand ich ein komplett auf die Bedürfnisse der Eltern im Haus abgestimmmten Proben- und Arbeitszeit- und sogar Vorstellungsplan. Keine Probe begann vor 11.00 bzw. 20.00. Die meisten Vorstellungen begannen erst um 20.30 Uhr. Dieser Intendant hatte das mit Rücksicht auf die familiären Situationen seiner Mitarbeiter und sicherlich auch der eigenen durchgesetzt. Diese Strukturen funktionieren so bis heute. Locker könnte man mit den Kindern die in den letzten 15 Jahren dort (selbstverständlich nicht im Theater) geboren wurden, zwei eigene Kindergärten und eine halbe Schule eröffnen.

Was also wissen wir jetzt durch diese zwei verschiedenen Fakten. Vielleicht soviel, daß Frau Intendantin Beier ihren männlichen Amtskollegen in Ignoranz (...) in nichts nachsteht: Was sie nicht kennt, kann unmöglich existieren. Tolles Credo! Weiter so!
tt-Diskussion Feminismus: eigener Raum im Theater
Liebe/r Lil-ja,
ich habe ein paar Notizen zu diesem Punkt, wobei Streeruwitz das auch in der Runde nicht weiter ausführte:
Sie forderte eine feministische Ästhetik mit Bestand aber Weichheit, woran es in der Vergangenheit vielleicht manchmal gemangelt hätte.
Sie wünsche sich einen eigenen Raum mit Theater von Frauen für Frauen, mit anderen, neuen Ästhetiken. Der historischer Feminismus blieb ja meist unter sich. Es gehe ihr aber nicht um Dominanz, sondern um Reichtum.

Viele Grüße,
Matthias Weigel
tt-Diskussion Feminismus: Vorwurf
...differenzfeministinnen werfen radikalfeministinnen vor, sich an männlichen idealen zu orientieren und dadurch patriarchale strukturen zu reproduzieren
tt-Diskussion Feminismus: längst den dritten Weg beschritten
Vielen Dank Herr Weigel! Schade, dass sie nicht weiter ausgeführt hat. "...mit Bestand aber Weichheit" im Sinne von "das weiche (weibliche) Wasser bricht den (männlichen)Stein" ? Und wie sollen die anderen neuen Ästhetiken aussehen? Wär doch interessant, darüber (mal wieder) nachzudenken. Aber ich glaub, die neuen erfolgreichen Theaterfrauen schert das wenig. Die haben längst den 'dritten Weg' beschritten, der aus Coolness, Cleverness und einem absolut reißfestem Netzwerk besteht. Stereotype Rollenbilder haben da nix mehr verloren. Schnee von vorgestern.
TT-Diskussion Feminismus: das Klischee der Blaustrümpfe
Feministinnen und Frauenrechtlerinnen - im 19. Jahrhundert abwertend Blaustrümpfe genannt - wurden seit Beginn der Frauenbewegung oftmals mangelnde Attraktivität, Unweiblichkeit und ungebührlich dominantes Verhalten vorgeworfen.
...

Antifeministen sagen es heute noch:
Feministinnen sind fast immer männlich, unattraktiv und unweiblich, und sie wollen um jeden Preis über Männer dominieren.
Ihr schwachen Männer, befreit euch von den herrschsüchtigen
Weibern, und wendet euch wieder den weiblichen, hübschen, dummen
Frauen zu! denn bezüglich Erotik, haben die am meisten zu bieten - wie die Erfahrung zeigt
und immer schon gezeigt hat.
TT-Diskussion Feminismus: Musicalstrukturen
karin beier hat das schauspiel köln in ein theater mit musical strukturen verändert. nur so kann man/frau um 17 uhr feierabend machen. da werden ganze fertige abende importiert, eingedeutscht, synchronisiert, umbesetzt. der wert des probenprozesses, der respekt vor schauspielerInnen und ihrem anteil an einem theaterabend nivelliert (…). es sollte also nicht vergessen werden, welche neoliberalen tricks angewendet werden müssen, um erfolg und familie unter einen hut zu bringen. von einem ensembletheater, das -mit risiko- ergebnisoffen und zeitintensiv arbeitet, ist dieses produkttheater doch inzwischen himmelweit entfernt.
tt-Diskussion Feminismus: Link
http://www.spielplandeutschland.de/2011/05/wer-leitet-die-deutschen-theater/
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