alt

Weniger ist leer

von Bernd Mand

Mannheim, 2. Juni 2011. Der US-amerikanische Architekt Robert Venturi formulierte in den späten 60er Jahren mit den Worten "Less is a bore" die postmoderne Antithese zu Mies van der Rohes modernistischem "Less is more", das sich zum Leitmotiv der klassischen Moderne mit ihren Kästen aus Glas, Beton und Metall entwickelt hatte. Weniger ist langweilig – ein polemischer Ausruf, der sich tief in die Köpfe der nachfolgenden Generationen von Architekten einbrannte. Und ein tröstliches Bonmot, das einem nach dem Eröffnungsabend der diesjährigen Schillertage am Mannheimer Nationaltheater eine wärmende Stütze ist.

nachtkritik.de hat alles zum Theater. Damit das so bleibt, spenden Sie hier!

Georg Schmiedleitners Inszenierung des "Don Karlos" gab den Startschuss für die kommenden neun Tage im Zeichen des deutschen Dichters und knallte dabei betont verhalten. In knapp drei Stunden erzählt Schmiedleitner die Geschichte des spanischen Thronerben, den sein Glaube an das Leben letztendlich selbiges kosten sollte. Ein Leben, das einen von außen betrachtet schnell von jeglichem Glauben abbringen kann: Ein strenger Patriarch zum Vater, der dem Sohn seine Liebe weggeheiratet und zur Mutter gemacht hat. Ein beklemmend striktes Hofzeremoniell, das mit aller Kraft an den Traditionen festhält und wenig Raum für Freundschaften lässt. Und eine politische Außenwelt, die dem frühabsolutistischen Königshaus nicht gerade freundlich gesinnt zu sein scheint.

Firmenzentrale in Schwarz und Grau

Die Ausgangssituation ist also ziemlich vertrackt und Schillers Geschichte bekanntlich äußerst wendungsreich. Georg Schmiedleitners Inszenierung setzt behutsame Schnitte in den Text und verschafft dem Zuschauer einen klaren und verständlichen Klassiker, der einem die ewig junge Sprache des Dichterfürsten direkt und weitestgehend unverbrämt ans Herz legt. In nüchternem Schwarz und Grau bewegen sich seine Figuren im kahlen Guckkastenraum, der zur Hinterbühne hin von einer großen Leinwand begrenzt wird. Ein paar Bürostühle, ein Schreibtisch und natürlich jede Menge Briefe – viel mehr kommt hier nicht auf die Bühne. Solide und brav entwickelt sich in dieser sterilen Firmenzentrale die Tragödie am Königshof.

Martin Aselmann, Michael Fuchs © Hans Jörg Michel
Martin Aselmann als Karlos und Michael Fuchs als Alba. © Hans Jörg Michel

Thomas Meinhardt spielt den strengen Patriarchen in einer Mischung aus alterssturem Machtmenschen und sinistrem Kleinkind, Sabine Fürst gibt seiner Frau Elisabeth eine harte Schale und einen bewegend weichen Kern. Der Marquis von Posa (Sascha Tuxhorn) ist ein geisterhafter Eindringling, dem als einzigem die schwarze Kostümuniform erspart geblieben ist, der Herzog von Alba (Michael Fuchs) ist ein blasser Karrierist und Torsten Danner zeigt den Beichtvater Domingo als leisen und arglistigen Büromenschen. Und auch Ines Schiller als Prinzessin von Eboli und Jacques Malan als Graf von Lerma sorgen für wenig Überraschung in diesem mausgrauen Charakter-Stilleben, das sich mut- und haltungslos hinter den großen Worten zu verstecken scheint.

Textliche Klarheit und inszenatorischer Beton

Einzig Martin Aselmann öffnet mit seinem Don Karlos die Tür zum Menschen hinter der Kunstfigur. Mit autistischer Naivität und aufsässigem Welpencharme tollt hier ein lebendiger und glaubwürdiger Anti-Held über die Bühne, dessen Tod einen schwer verletzt zurück lässt. Schmiedleitners Reduktion in der Inszenierung schafft es bei aller textlicher Klarheit und Handlungsverständlichkeit nicht, dem dramatischen Gedicht zu einem intensiveren Geschmackserlebnis zu verhelfen. Das zurückhaltende Spiel seiner Figuren, wenig glaubwürdige Ausbrüche, wie die Beichte der Prinzessin Eboli bei ihrer Königin und ein strukturierender Soundtrack, der in seinem (lautstarken) Willen zur Illustration vielen dramatischen Momenten in die Parade fährt, halten den Zuschauer auf permanenter Distanz.

Das große Drama und seine vielen persönlichen Opfer verpuffen im staatstragenden Bühnengrau, das der Geschichte bei aller Leere auf den Brettern hartnäckig den nötigen Raum verweigert. Nun braucht eine starke Vorlage wie "Don Karlos" vielleicht nicht viel, um auf der Bühne erzählt zu werden. Wenn allerdings das Schauspiel solchermaßen radikal auf seine Funktionalität reduziert wird, dann kann auch die beste Geschichte nicht gegen den inszenatorischen Beton ankommen.

 

Don Karlos
von Friedrich Schiller
Regie: Georg Schmiedleitner, Bühne und Kostüme: Florian Parbs, Dramaturgie: Ingoh Brux.
Mit: Thomas Meinhardt, Sabine Fürst, Martin Aselmann, Ines Schiller, Sascha Tuxhorn, Michael Fuchs, Jacques Malan, Thorsten Danner, Selina Schön.

www.nationaltheater-mannheim.de

 

Vielbeachtete Don Carlos-Inszenierungen der jüngsten Vergangenheit stammen von Jette Steckel (Thalia Theater Hamburg) und Roger Vontobel (Staatsschauspiel Dresden).


Kritikenrundschau

Schmiedleitners Eröffnung der diesjährigen Schillertage "ließ das Festival noch nicht abheben", schreibt Andreas Jüttner von den Badischen Neuesten Nachrichten (4./5.6.2011). Der Abend biete eine "Familienaufstellung im ach so gefühlsarmen Reiche-Leute-Milieu", und zwar auf "Kühlschrank-Temperatur" abgesenkt. Anders als im zart aktualisierenden Dresdner "Don Karlos" von Roger Vontobel misslinge hier der Transport ins Heute: "Nichts gegen Reduktion – aber dass die wenigen vorhandenen Requisiten durchweg beliebig wirken, trägt zur Zähigkeit der fast drei Stunden ebenso bei wie das inszenatorische Missverständnis, man könne das von Misstrauen und rigider Unterdrückung bestimmte Geschehen im Königshaus dem heutigen Zuschauer nahebringen, indem sich die Protagonisten benehmen wie Duzendgesichter von nebenan."

Schmiedleitner, der "Profi fürs literarisch Anspruchsvolle", biete eine "solide, in den ersten drei Akten noch spröde, dann immer dichtere Inszenierung", berichtet Volker Oesterreich für die Rhein-Neckar-Zeitung (4./5.6.2011). Zum Tragen kämen ebenso der private Familienkonflikt um "enttäuschte Liebe, Eifersucht und Verrat" wie der "weltpolitisch aufgeladene Kampf des Freundespaares Karlos und Posa". Schon die Eindüsterung der Szenerie gebe zu erkennen: Hier ist "kein Ort zum Glücklichsein. Kein Ort für die Liebe. Kein Ort, an dem das zarte Pflänzchen der Menschenrechte gedeihen könnte." Bei aller Wertschätzung für Schmiedleitners Inszenierung steht sie auch für Oesterreich im Schatten von Vontobels Dresdner "Don Karlos", der "einen ästhetischen Hochgenuss" biete.

Intensität vermisst Ralf-Carl Langhals im Mannheimer Morgen (4.6.2011) an der "zusätzlich schlechter gesprochenen und weniger ausgespielten Arbeit Georg Schmiedleitners, die auch durch Philipp Stangls musikalische Durchsetzungen nicht wesentlich dramatischer wird." Zwar gebe "erstaunliche Entdeckungen wie Sabine Fürsts charaktergroße Elisabeth" oder Sascha Tuxhorns "nüchtern-intellektuellen Posa". Doch gegen Roger Vontobels (bei den Schillertagen ebenfalls gezeigten) Dresdener Karlos, der für Langhals die Referenzgröße für die Mannheimer Inszenierung ist, wirke Georg Schmiedleitners "ähnlich gesetzte Regie mutlos. Ordentliche graue Anzüge gibt es eben sowohl von der Stange als auch vom Maßschneider . . ."

Kommentare  
Don Karlos, Mannheim: klar, aber zaghaft
Bernd Mands Kommentar trifft. Und dennoch erzählt Gerorg Schmiedleitner den Don Karlos so klar, dass auch ein Theaterneuling nach der Aufführung die Handlung ohne Textkenntnis einfach nacherzählen könnte. Und die Spannung und Stellung der Charaktere deutlich sichtbar werden. Aber was funktioniert hier nicht so gut wie sonst? Vielleicht das lange Warten auf Georg Schmiedleitners große Bilder, das am Ende vergeblich war. Es bleibt sein Verdienst, dass wir bei ihm sonst einen starken visuellen Eindruck mit nach Hause nehmen, der unvergesslich bleibt. Warum er hier so zaghaft war, bleibt unerklärlich.
Kommentar schreiben