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Nachglühen

9. Juli 2011. Dieter Dorn beendet seine Ära in München, nach 35 Jahren. Erst war er Theaterleiter an den Kammerspielen, ab 2001 dann Intendant am Staatsschauspiel. Für nachtkritik.de hat Gabriella Lorenz auf die Dorn-Jahrzehnte geschaut.

Bohren und bewahren

Heute erinnert sich Manuel Brug (Die Welt, 9.7.2011) an Dorn: "Dieser Tage bin ich etwas sentimental", vermeldet er. "Am Sonntag geht mein Lehrer in Pension. Er ist 76 Jahre alt. (...) Ich kenne ihn seit 1977, da war er schon ein Jahr in München. Und dort ist er auch geblieben. Ich nicht." Dieter Dorn sei aber nie "wirklich" sein Lehrer gewesen, "obwohl" er im Alter "stets etwas Studiendirektorhaftes hatte. Anfangs sendungsbewusst und mitteilungsübervoll, später auch hochmütig unwirsch, am Schluss mit einem Zug Bitternis und Resignation."

Doch Dorn habe ihn, Brug, "ästhetisch geformt", er habe ihn "zu einem um Qualität wissenden Theatergänger erzogen. Das heißt nicht, dass ich alles mochte, was er in seinen Münchner Kammerspielen anzubieten hatte. Doch er hat mit seinem neugierigen, dabei bewahrenden, bohrenden, aber nie umstürzlerischen Regieverständnis Grundlagen gelegt, Fundamente gezogen, auf denen die Bühne viele Wohnungen haben konnte".

Brug erinnert sich an eine Inszenierung von "Minna von Barnhelm", als er, Brug, zwölf Jahre alt war: "Da spielte – mit reizendem Sächsisch, die Haare zu frech wippenden Affenschaukeln geflochten, in wogenden Jürgen-Rose-Röcken – Cornelia Froboess das Titelrollen-Fräulein. (...) Ab jetzt sollte mich ihr charaktervolles Theater-Nölen begleiten." Das Dorn-Theater "beruhigte", war "ein Fest", schreit er weiter. "Da wurde Sprache ausgelotet, wurden Nuancen auf die Goldwaage gelegt (...) Bei Dorn war es nie langweilig, selten wirklich überraschend." Dorns Intendanz am Staatsschauspiel dann aber sei "nur Nachglühen" gewesen. "Längst waren die Helden von einst immer noch spielende Rentner geworden".

Unverbrüchlicher Theaterglaube

Auch Christine Dössel schaut auf die Dorn-Ära (Süddeutsche Zeitung, 9.7.2011): "35 Jahre als Theaterleiter in derselben Stadt, das ist schier einzigartig in der deutschen Bühnenlandschaft".

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Der Kaiser (Dieter Dorn)        ©Thomas Dashuber

Irgendetwas müsse damals, als er nach München kam, passiert sein, "eine Art ästhetische Eröffnung oder geheimnisvolle Initiation, eine glückliche Fügung oder ein Liebesblitzschlag - etwas, das sich tief festgesetzt hat im Empfindungssystem des Münchner Publikums, welches von da an Dieter Dorn liebend treu geblieben ist und ihm über Jahrzehnte folgte wie einer Festschreibung in der eigenen DNS".

Und "dieser Sachse mit seiner ästhetischen Helligkeit und Eleganz, seinen hochkarätigen Schauspielern, seiner Sprachtiefe und Sprachgenauigkeit, seinem Hang zu Größe, Texttreue und sinnlichem Theater-Theater, (...) war für die einst kurfürstliche Residenzstadt München wie bestimmt, und so wurde er zu ihrem abgöttisch verehrten Theaterkönig." Am Staatsschauspiel habe er in den letzten zehn Jahren "seine spezifische Mach- und Lesart eines werkgetreuen Literatur- und Schauspielertheaters nahezu bruchlos fortgeführt". Die "ganze Spiellust, kindliche Innigkeit und Gläubigkeit des Dorn-Theaters' stecke hierin: "Wirf dir eine bestickte Decke über und sprich den Zaubertext, und schon bist du ein Kaiser oder was immer du zu sein gedenkst. So funktioniert seit jeher das Dorn-Theater: mit den einfachsten Mitteln und aus dem unverbrüchlichen Glauben an den Text heraus."

Und "wenn jetzt bei vielen Wehmut aufkommt und sich wohl kein Münchner einer gewissen Nostalgie entziehen kann, dann weil hier wirklich eine Epoche zu Ende geht".

Es waren Riesen

Peter Kümmel hat Dieter Dorn in seinem Dramaturgenzimmer getroffen (Die Zeit, 8.7.2011). Dorn sagt: "Ich habe keinen einzigen Freund unter den Schauspielern." Er sage das nicht, um zu klagen: "Der Satz ist Teil seiner Bilanz. Er bezeichnet eine Dornsche Kulturtechnik – die Balance aus Nähe und Unabhängigkeit, die man haben sollte, um ein Theater zu leiten. Der Satz heißt auch: Ich bin aus der Sache gut und sauber herausgekommen." Freundschaft hätte die Magie des Spiels und der Verwandlung gestört, "und diese Magie, sagt Dorn, sei heilig, man dürfe sie nicht verhuren".

Man müsse aufpassen, sage immer wieder: "Aufpassen, dass wir das Spiel nicht verraten! Man muss auch aufpassen, dass wir das deutsche Theatersystem, dieses Überbleibsel der Kleinstaaterei, nicht zerstören. Wir müssen verhindern, dass die Politiker je auf die Idee kommen, es zu killen. Wir dürfen es nicht an den Mainstream verfüttern."

Man könne das Theater nicht festhalten, das sei das Gute daran; "aber er lächelt nicht, als er es sagt".

Und manche Inszenierungen Dorns wirkten, "als sei in seiner Welt die Zeit stehen geblieben". Doch bei Dorn siege stets das Wort über den Körper. "Dorn hat einen Überlieferungsauftrag. Sein Credo lautet: es waren Riesen, die uns diese Texte hinterließen, was sie schufen, ist kein Material, sondern ein Schatz, den wir bergen müssen". Er sei immer der "Diener der Dramatiker, der stolze Nichtdenunziant und Nichtverräter des Textes. Seine Regie lebt nie vom eitlen Regieeinfall, sondern stets von der Behauptung, der Schauspieler erschaffe vor unseren Augen jenen Moment, aus dem das Wort, der Gedanke, der Ausdruck entspringt".

Eine Frage der Ethik

Auch Susanne Burckhardt (Deutschlandradio Kultur, 8.7.2011) hat Dieter Dorn zum Gespräch getroffen: "Was waren die stärksten Veränderungen im Theater, die Sie in dieser Zeit erlebt haben, was war am eindrücklichsten für Sie?" Dass das, antwortet Dorn, "was ich gemacht habe, dass Menschen quasi eigentlich ein ganzes künstlerisches Leben zusammenarbeiten oder das jedenfalls versuchen, dass das nicht mehr geht. Die Schauspiel-Ensembles haben die ganz, ganz starke Tendenz - und manchmal ist es zum Verzweifeln - so wie die großen Opernensembles. Da gibt es ja so ein Welt-Ensemble und ein Europa-Ensemble, und die hören Sie dort und hier und da, das heißt, die reisen und die Flugpläne bestimmen eigentlich dann die Spielpläne. Und das hat ganz ungeheuer zugenommen und das ist ganz schmerzhaft, weil ich glaube, dass Theater auch Zusammenhänge braucht." Theater sei immer regional, müsse es sein. "Es muss für die Polis sein, die es bezahlt, und dann kann es auch ausstrahlen international. (...) Das ist auch eine Frage der Ethik, das ist schmerzhaft zu sehen, dass das ganz, ganz radikal zurückgeht, und da weiß ich auch nicht, was man dagegen tun kann."

Silvia Stammen hatte in der Neuen Zürcher Zeitung bereits am 18. Mai 2011 auf die Intendanz Dorn geschaut.

(dip)

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