Mut gehört dazu

9. September 2011. Ruft man sich ins Gedächtnis, was Anfang April direkt vor dem Freedom Theatre Jenin im Westjordanland geschah, beginnt man zu verstehen, um wie viel mehr als Theater es bei dieser Gastspielreise geht, schreibt Jürgen Berger in der Süddeutschen Zeitung über den Tournee-Auftakt des Freedom Theatre Jenin in Braunschweig.

Vor fünf Monaten ging die Nachricht um die Welt, Juliano Mer-Khamis sei von einem maskierten Killer getötet worden. "Es war eine regelrechte Hinrichtung, die nicht nur ein Leben auslöschte, sondern auch eine Theaterarbeit zerstören sollte, die international Aufsehen erregt." Der israelisch-palästinensische Schauspieler und Regisseur war Begründer, Seele und Kopf des Freedom Theatre und hat in einer Region der Hoffnungslosigkeit dafür gesorgt, dass Jugendliche zwischen Gewalt und Spiel wählen können.

Er stand nicht nur deshalb auf vielen Abschusslisten, "weil er als palästinensischer Israeli zwischen allen Stühlen saß. Er hinterfragte in seinem Theater auch, was man in streng muslimischen Gesellschaften besser nicht hinterfragt". Wie schwer es zum Beispiel junge Frauen haben, die Schauspielerin werden möchten, ahnt man, wenn Nabil Al-Raee von der täglichen Arbeit in Dschenin berichtet. Der Regisseur war ein enger Mitarbeiter von Juliano Mer-Khamis und knüpft an dessen letzte Inszenierung "Fragments of Palestine" an. Diese neue Arbeit umschreibt mit dem Untertitel "Was noch?" die Lage der Menschen im Westjordanland.

Was ein solches Leben im emotionalen Haushalt von Jugendlichen anrichtet, spielen die sieben Jugendlichen mit den Mitteln, die man sich in der Schauspielklasse eines Kulturkreises aneignet, der zwar große Lyriker, aber kaum Theaterautoren und Schauspieltraditionen hervorgebracht hat: "Sprechen die sieben Freiheitsspieler, so tun sie das in einer Phantasiesprache. Ihr eigentliches schauspielerisches Werkzeug ist der Körper, ihre szenische Bilderfolge eine einzige große Metapher für das Todesspiel, das für Kinder zum Alltag gehört."" Jede Geste ist ein Kraftakt und kann in Break Dance-Pirouetten münden. "Gleichzeitig spielen die Kraftpakete aber auch die Angst, die sich nach einer Kindheit im Kernland der Intifada wohl wie ein Geschwür im Körper festsetzt."

Im Moment, und das sei der wichtigste Subtext der Gastspielreise, "wird die Geschichte der ersten palästinensischen Schauspielschule weiter geschrieben". Und in Braunschweig war auch zu sehen, wie viel Mut dazu gehört, dennoch weiter auf die Kraft künstlerischer Phantasie zu setzen.

(sik)

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