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Goldstaub und Asterix

von Anke Dürr

Lübeck, 9. September 2011. Yerma ist von ihrem Vater mit einem reichen Bauern verheiratet worden, den sie nicht liebt. Sie wünscht sich sehnlichst ein Kind, er will keins, was beide offenbar vor der Hochzeit nicht erörtert haben. Yerma fühlt sich einsam, nutzlos und "verdorrt", bleibt aber trotzdem bei ihrem Juan, wegen der Ehre. Federico García Lorcas Tragödie "Yerma" ist ein ziemlich altes Stück, uraufgeführt 1935, angesiedelt im ländlichen, erzkatholischen Andalusien der dreißiger Jahre.

Die Regisseurin Anna Bergmann macht in den Kammerspielen des Theaters Lübeck zunächst ziemlich viel aus diesem Stück. Sie setzt Yerma in einen Guckkasten, darin nur ein Ehebett, ein Kreuz darüber, eine Madonnenfigur daneben, ein Waschtisch davor (Bühne: Ben Baur).

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© Thorsten Wulff

 

 

 

Hier ist ihr Zuhause, in das sie ihr eifersüchtiger Mann Juan, der immer nur arbeitet, einsperrt. Das Kind, das Yerma so verzweifelt haben will, erscheint ihr gelegentlich in Form einer niedlichen Puppe, die von zwei Puppenspielern geführt wird.

Schön überzeichnet

Dann malt ein Projektor flackernde Schatten an die Wände, und gleich ist klar: diese Szene spielt in Yermas Kopf. Und wenn ihre Jugendliebe Victor auftaucht, wird Yermas Welt in Rosa getaucht, und er zaubert ihr, indem er Goldstaub in die Luft pustet, die Glühbirne wieder an, die in Gegenwart ihres Mannes gleich zu Beginn mit einem Peng verloschen ist. Der Zeichen sind noch mehr: Victor kann seiner Ukulele spanische Sehnsuchtsklänge entlocken, während Juans Versuch kläglich scheitert.

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© Thorsten Wulff

Ingrid Noemi Stein spielt die Yerma mit bewusst aufgesetzter Fröhlichkeit, von der dahinter versteckten Verzweiflung der Figur spürt man allerdings wenig. Die Leidenschaft zwischen ihr und Victor (Matthias Hermann) ist dagegen zu sehen, und ihre Einsamkeit – auch ein Motiv für den dringenden Kinderwunsch – wird plastisch, wenn man sich die schön überzeichneten Figuren um sie herum ansieht: alberne, zickige, eitle Weiber statt echter Freundinnen; die Schwägerin, die ihr der misstrauische Ehemann als Aufpasserin aufgedrängt hat, ist eine verhärmte, böse Spanierin wie aus dem Asterix-Band, und Juan (Sebastian Kuschmann) ist ein gefühlloser Klotz.

Anna Bergmann scheint ganz auf der Seite ihrer Titelfigur zu sein, die ihr Unglück kurz vor der Pause auch noch einmal laut herausschreien darf. Doch irgendwann ist der Regisseurin offenbar aufgefallen, dass das Problem Kinderlosigkeit heute anders gelagert ist als bei García Lorca und es ja sogar Frauen gibt, die nicht vor Sehnsucht nach einem Kind vergehen.

Plötzlich in eine Therapiestunde geraten

So unterbricht sie das tragische Gedicht nach der Pause und lässt neun Lübecker Frauen jeden Alters, mit und ohne Kinder, aus ihren Biografien berichten. Sie sitzen da aufgereiht und erzählen altbekannte Geschichten wie die, dass zum richtigen Zeitpunkt der richtige Mann gefehlt hat; oder die, dass der verheiratete Geliebte panisch wurde, als die Frau schwanger war. Eine Vierzehnjährige sagt, dass sie lieber Karriere machen möchte als Kinder, und eine Frau mittleren Alters erzählt von den Schmerzen der Geburt und dem Glück danach.

Zwischendurch greift eine zur Gitarre, und zu allem Überfluss erzählt auch noch Will Workman als Transvestit tränenreich von seiner nie zu erfüllenden Sehnsucht, ein Kind in sich wachsen zu fühlen. Man weiß nicht, ob man hier plötzlich in eine Therapiegruppenstunde geraten ist oder in einen evangelischen Kirchentag, und der Budenzauber, mit dem das vertuscht werden soll (Tanzeinlagen, Kunstschnee) macht alles nur noch schlimmer.

Yerma sitzt, ihr mädchenhaftes Kleid hat sie gegen Hose und Tanktop getauscht, mit erstaunlicher Gelassenheit und Aufmerksamkeit zwischen den Frauen und hört still zu. Beeinflussen lässt sie sich aber nicht: Sie hat von Anfang an ganz aus sich selbst heraus agiert, während ihr Mann ständig mit dem "Was sollen die Nachbarn denken"-Satz argumentiert.

Als alle Laiinnen weg sind, kommt Yermas finaler Auftritt: Als Juan ihr sagt, sie solle sich endlich mit ihrer Kinderlosigkeit abfinden, geht sie auf ihn los. Anders als im Original erwürgt sie ihn nicht, sondern sticht ihn in den Unterleib. Ein modernes Drama ist das noch nicht.

 

Yerma
Tragisches Gedicht von Federico García Lorca
Deutsch von Susanne Lange
Regie: Anna Bergmann, Bühne: Ben Baur, Kostüme: Claudia González Espíndola, Sounddesign: Heiko Schnurpel, Dramaturgie: Bettina Weiler.
Mit: Ingrid Noemi Stein, Sara Wortmann, Susanne Höhne, Katrin Aebischer, Astrid Färber, Lisa Charlotte Friederich, Will Workman, Matthias Hermann, Sebastian Kuschmann.

www.theaterluebeck.de

 

Zum Auftakt der nachtkritik-Schwerpunktberichterstattung NordNordOst hat Georg Kasch die schwierige Lage der Theater in den Bundesländern Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern skizziert.

 

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Kritikenrundschau

In einer langen, deskriptiven Kritik würdigt Viola Evers für das Onlineportal unser-luebeck.de diese Inszenierung. Der Stoff sei "aufwühlend umgesetzt mit mutig spielendenden DarstellerInnen". Eingehendes Lob fällt etwa auf die Titelpartie: "Jungschauspielerin Ingrid Noemi Stein legt all ihre darstellerische Leidenschaft in ihre Rolle, und man spürt durchweg die 'Ausgedorrtheit' von Yermas Schoß, ihre Wut, Hilflosigkeit und Verzweiflung, die in einer Gänsehautepidemie unter den Zuschauern gipfelt, als sie gänzlich in Seelenqualen außerhalb der Begrenzung ihrer behüteten Schlafzimmerkulisse zusammenbricht." Der thematische Zugriff überzeugt die Rezensentin ebenso wie der ästhetische: "In der gesamten Aufführung geht es um viele Gründe für gewollte oder ungewollte Kinderlosigkeit. (…) Anna Bergmann arbeitet mit interessanten Elementen, um kleine Schockmomente, Retrospektiven und surreale Traumszenen zu zaubern. Sie schafft eine Optik und Akustik, die die eigenen Gefühle direkt anspricht."

"Es ist eine schrille Truppe, die Bergmann hier auf High Heels aufmarschieren lässt", so Liliane Jolitz in den Lübecker Nachrichten (12.9.2011). Überhaupt sei viel los auf der Bühne, "für Kurzweil ist immer gesorgt. Kunstschnee rieselt herab, spanische Musik erklingt, es wird getanzt und gesungen." Und außerdem seien da noch die neun Lübecker Frauen zwischen 14 und 72, die das Thema ins Hier und Jetzt holen. Sie tragen keine geschliffenen Texte vor, und es "entsteht der Eindruck: Das meiste kennt man, hat man schon gehört – und zwar pointierter vorgetragen." Dennoch ein positives Fazit der Kritikerin: Es gehe in dem Stück darum, "welche Verheerungen ungestillte Sehnsüchte in der menschlichen Psyche anrichten. Und das war hier mitzuerleben: ebenso beklemmend wie nahegehend. Es kommt nicht alle Tage vor, dass Theater derart berührt."

Kommentare  
Yerma, Lübeck: berührender Abend
Ich war nicht sehr interessiert Yerma zu sehen,da mich die spanische "Blut und Boden"Thematik nicht interessiert,aber,das was hier zu sehen war,brachte die Thematik ins Überall,das konnte jeden betreffen.Das wurde mit wunderbar einfachen künstlerischen Mitteln gezeigt.Mir gefiel die scenische Lösung,die fast spielerische Phantasie der Regie,mit dem "gedachten"Kind,der Alptraumphantasie vor der Pause und auch die Bürgersfrauen -wenn auch 2-3 zuviel-und die jg.Darstellerin.Ein mich berührender,nachdenklich machender Abend.
Yerma, Kiel: auch die Kieler Nachrichten
Auch die Kieler Nachrichten haben in der Printausgabe am Dienstag eine Art Schwerpunkt "Nord-Theater feiern Premieren" gesetzt, um einen Blick auf die Nachbarhäuser zu werfen: besprochen werden die Premieren von "Amphitryon" und "Der kalte Kuß vom warmen Bier" in Rendsburg sowie "Yerma" in Lübeck. Sabine Spatzek schreibt über "Yerma": "... Während dieser Teil des Abends viel Anlaß zum Fremdschämen bietet, überzeugen Anfangs- und Endpart mit dem tragischen Gedicht" Lorcas durch kontrastreiche Zuspitzungen (Regie und Bühne) und sehenswerte Leistungen der Schauspieler. Herausragend: Ingrid Noemi Stein als Yerma."
Gegen Ende ihres Artikels geht sie noch einmal gesondert auf das Laienspiel (das offenbar ähnlich polarisiert wie es zuweilen bei Lösch-Arbeiten vorkommt, obschon erstaunlicherweise der Begriff "unterkomplex" vermieden wird -als wäre er für Lösch reserviert in solcherlei Zusammenhängen ?) ein: "Doch bevor das Ensemble zu Yerma-Das Finale antritt, drängen Gabriele, Helga, Heide und weitere Lübecker Frauen den Zuschauern Bekenntnisse auf, die selten authentisch und allesamt hinlänglich bekannt wirken. Ihr Erkenntniswert reicht kaum über das Persönliche hinaus. Anders als es etwa der im Programmheft abgedruckte Artikel "Das Anti-Eva-Prinzip" von Gisa Funck, in dem die Autorin polemisch, aber treffend analysiert, wie in unserer schrumpfenden und alternden Gesellschaft Mutterschaft zum Statussymbol und Kinderlosigkeit zum Makel wird."
Bedenke ich dabei den obersten Artikel im Pressespiegelm, hier zum Teil zur überschätzten Reichweite der Emanzipation, so scheint dieser Abend in der Tat so manches aufzuwühlen.
Spanische "Blut- und Boden"-Thematik !?
Das scheint mir eher ein fragwürdiger Zugang zu "Yerma" zu sein; jedenfalls sollte jetzt nicht kurzgeschlossen werden, Lorca liefere hier "Blut und Boden" gewissermaßen: der ist als Antifaschist 38-jährig von der Guardia Civil ermordet worden, was mit dem sogenannten "Blut- und Boden"-Stoffen des Theaterpoeten Lorca zu schaffen haben könnte. Aber, ich muß meinen Zug noch bekommen: in Lübeck wartet auf mich eine Frau mit Kinderwunsch..
Yerma, Lübeck: berührend bis hin zu schrill
was für wunderbarer abend. eine YERMA 2011. DANKE anna bergmann !

ein theaterabend mit altem text verknüpft mit geschichten im und aus dem jetzt.
anna bergmanns YERMA bewegt sich zwischen aufwühlend, berührend bis hin zu schrill, fröhlich und heiter mit einem sahnehäubchen melancholie. großartig.
ein modernes drama. weiblich inszeniert. ein abend, der endlich wieder theater fühlbar machte.

anmerkung: nein frau dürr, das ist keine theraphiestunde und auch kein kirchentag oder budenzauber.
welch HOHN von ihnen gegenüber den frauen aus lübeck.
bezaubernd, poetisch und auch leicht schwermütig-kitschig ist dieser frauenreigen: 8 lübeckerinnen erzählen ihre geschichten.
welch großer mut, sich so zu offenbaren.
dafür meinen grossen respekt.
Yerma, Lübeck: Publikum, wie hältst Du's mit den Kindern?
@ Regie
Nein, nicht "Yerma, Kiel", das ist nicht verlegt worden; um die Inszenierung von Anna Bergmann von "Yerma" zu sehen, muß man sich auch weiterhin zu den Kammerspielen des Lübecker Stadttheaters bewegen.


Nun, ich tat dies gestern auch und habe diesen Besuch keineswegs zu bereuen, auch wenn ich die regelrechte Begeisterung meiner (wohl) "Vorrednerin" (§ 3) nicht vollends teilen kann.
Als "YERMA 2011" würde ich diesen Abend eben gerade nicht auffassen; dafür müßte der erste Teil des Abends dann doch schwanger gehen mit dem zweiten Teil des Abends: und eine "Antwort" bzw. Folge wäre dann vielleicht das Kind namens
"YERMA 2011". Was aber in "Yerma-Das Finale" geschieht, ist, daß Yerma Juan "entwurzelt" (bzw. in den Unterleib sticht; ich sah kein Messer oder Ähnliches, so daß für mich das eher aussah tatsächlich wie ein Wurzel-Herausreißen) und damit folglich die Quelle ihrer Hoffnung irreversibel zerstört, sagend: "Ich habe mein Kind getötet." Ich stimme Frau Dürr insofern zu: Das ist noch kein modernes Drama. Allerdings, ich sah eigentlich bis dahin auch keinen Abend, der in etwa Prätentionen darauf gemacht hätte, in diesem Sinne ein YERMA 2011 zu sein. Ich denke, daß an diesem Abend vielmehr durchaus spürbar wurde, daß eine derartige "einfache Übersetzung" kaum zu haben sein dürfte, viel zu komplex sind zB. Bevölkerungspolitisches, historisch untergründig Wirkendes, Arbeitgeber- und/oder ArbeitnehmerInneninteressen, Kampfzonenerweiterungen und der Wunsch, hin und wieder schlichtweg die Tür hinter sich zu machen zu können etcpp. ineinander verwoben, als daß das, was wir dann wirklich zu sehen und hören bekamen auch nur annährend als "dramatisch diese Fäden aufnehmend" verstanden werden könnte meineserachtens. Was ich vielmehr sah, war aller Ehren wert: die spielerische Umsetzung der Yerma-Frage. Fragte Gretchen einst "Und wie hältst Du es mit dem Glauben/der Religion ?", so fragt Yerma hier: "Publikum, wie hältst Du es mit den Kindern ?"
Freilich dient uns der Abend, als modernes Drama verstanden, kaum an, Yermas Schnitte nachzuvollziehen, zumal sie ja mit einigem (schon zuvor schleichenden) Realitätsverlust einhergehen: Nicht ihr Kind hat Yerma letztlich getötet, sondern sie hat den ihr offenbar schicksalhaft zugeteilten Mann entmannt. Nun, solch "zugeteilten" Männer gibt es wohl kaum noch...; naja, es gibt auch die, aber dann ist man schon eher bei "Gegen die Wand" als "Yerma 2004": wo es sie gibt, gibt es allerdings auch massive (Interessens-) Hintergründe für diese "Zuchtwahlen" geradezu (insofern vielleicht obiger "Blut- und Bodeneinwand"), die wir durchaus als "menschenverachtend" auffassen mögen von Fall zu Fall (allerdings eine Geschichte haben und nicht aus heiterem Ferienhimmel kommen). Nun, dieses Gegenspiel, diejenige, Yerma zwingende, Macht ist soweit ausgeblendet bzw. als schwach und trocken (Juan) dargestellt, daß letztlich lediglich das "Verdorrensthema" (der Name Yerma geht wohl direkt auf das "Verdorren" zurück) aus dem Lorcastoff ins Heute gewendet erscheint als Frage "Wie hältst Du es mit den Kindern ?", währenddessen zB. das Programmheft schon sehr dick aufträgt von wegen "Es gibt keine größere Macht auf Erden als das Verlangen". Nun ja, mir scheint es da schon noch ein paar Kandidaten mehr zu geben: die ANGST etwa, bleibe ich aber im engeren Wirkungs- bzw. Begriffssinne von "Verlangen", so scheint sogar hier mächtiger zu sein als das bloße Verlangen, so wortklauberisch es klingt: daß verlangt wird.
Ich teile zwar einerseits Beobachtungen des mehrfach erwähnten Funck-Artikels, muß aber aus meiner Sicht hinzufügen, daß es via
"Kind als Statussymbol"-Mechanismus wohl nicht weniger zum genau gegenteiligen Effekt kommt: daß Kinder quasi im Aktienstile gerade in die Welt gesetzt werden von Menschen, die es sich eigentlich kaum leisten können: sei es pekuniär, sei es vom Reifegrad ihrer eigenen Entwicklung her. Bekannt sind auch jene Mütter, die nicht dienen wollen, eher noch dem (!) Mann als einem Arbeitgeber, da der Mann sich zur Not noch verdrehen läßt (a propos "Dienen": am berührendsten war für mich gerade eine gewisse Spiegelung Yermas in der Schwester Juans, die "eigentlich" Verdorrende, wenn man so will).
Yerma, Lübeck: gesellschaftliche Mitte
Fortsetzung:

Schon lange Zeit vor der medienwirksamen, finanziell einträglichen,
massen-populistischen Ausschlachtung zB. durch die Sarrazins dieser
Welt grassieren mehr oder weniger unter vorgehaltener Hand jene Sätze darüber, daß sich "bestimmte Kreise bzw. Bevölkerungsgruppen"
eher ungehemmt-überproportional zu reproduzieren drohen, Akademiker
andererseits häufig ein recht fruchtloses Dasein fristen würden.
Populismen von dieser Artung oder der genau entgegengerichteten, ja, die Verfechter all dieser Ideologien und Ismen, scheinen keinen größeren Feind zu kennen als diesen: die gesellschaftliche Mitte. Diese gesellschaftliche Mitte, im übrigen nicht gleichzusetzen mit "bürgerliche Mitte", so mein Eindruck, wird im Schwarzweißdenken innerhalb unserer Gesellschaft immer mehr zerrieben, eingeschüchtert. Und mir scheint das, um auf die Inszenierung zurückzukommen, durchaus auch etwas mit der meinigen Wahrnehmens-
tatsache zu schaffen zu haben, daß mir das Laienspiel gerade in diesem Zusammenhang viel schlüssiger gesetzt schien als ich es hier in den KritikerInnenbesprechungen zu finden vermochte: das war gesellschaftliche Mitte, oder ? Jedenfalls war durchaus ersichtlich, daß die Laiinnen hier keineswegs darauf und daran waren, Ihre achsoneuen Erkenntnisse einem Publikum aufzudrängen !
Das war ja keine Therapiesitzung ! Im Mittelpunkt stand weiterhin, wie den ganzen Abend über, Yerma: Sie ist es, die durch die Filmkünste des zweiten Mädchens (Will Workmann) auf die Leinwand projeziert (quasi vergrößert) ins Publikum schaut. Sie lauscht den Schilderungen dieser Laiinnen, wir sehen das große, teilweise staunende, teilweise kurze lächelnde, teilweise nachdenkliche Züge annehmende, weitestgehend aber ausdrucksoffene Gesicht der "neuen"
(?) Yerma (immerhin jetzt mit Kurzhaarfrisur, währenddessen ganz zu Beginn die lange Haarmähne Yermas Gesicht vollends bedeckte, bei Handke gibt es dazu irgendwo ein Kind, das jetzt sucht: ist das Gesicht vorne oder hinten ...). Den Grund zum "Fremdschämen" sehe ich nicht, denn, wohlgemerkt: das ist nicht erhobener Zeigefinger, nicht Therapie, was wir dort sehen, sondern in der Tat eine volkliche Veranstaltung, die deutliche Anzeichen davon trägt, eine "Deutschland sucht die Supermutti/Supergeradenichtmutti"- Karikatur darzustellen, en passant aber das Ausleben eigener Neigungen bzw. Hobbys (siehe Gesang, Tanz) gestattet. Weil in der Superstar-Gesellschaft jeder Furz nach Geltung strebt (bis zum sprichwörtlichen Mr. Methan), kann der einfache Furz schon fast als Karikatur der Gesellschaft nutzbar gemacht werden: wie schlagend ist es dann erst, wenn 9 Laiinnen mit Herzblut schöneren Neigungen öffentlich folgen ! Nein, ich sehe jetzt weniger den großen Mut, hier auf die Bühne zu treten mit diesen "Alltagssätzen", "Gemeinplätzen", im Zentrum steht für meine Begriffe gewiß, daß das allemal charmanter kommt als "Deutschland sucht den Superstar" und eines ganz bewußt nicht ist: nämlich die bewußte Ablenkung, bewußte Okkupation, letztlich Perversion des Verlangens: als könnte das mit einer kurzen Tat, dem großen Finale, in das beide Erzählstränge (vor der Pause, nach der Pause) einmünden, abgetan werden mit einen Stich in den Unterleib. Ähnlich wie das Programmheft ein wenig zu dick aufträgt
von wegen "Keine Macht auf Erden ist stärker als das Verlangen" trägt auch die Inszenierung hier und da (aber eine Fernsehanalogie wird durchaus geliefert) in einer gewissen Art überdeutlich auf, will sagen: wirkt ein wenig bemüht-bedeutungsschwanger mit einer spürbaren Kitschspur (dies betrifft aber keineswegs nur die Laiinnen), aber: die Yerma-Frage wurde wirksam gestellt und wird mich gewiß weiterhin begleiten. Insofern kann ich den Abend auch empfehlen. Wer mehr von der Lübecker Männerriege sehen will, kann sich ab morgen "Joseph und seine Brüder", eine Thomas-Mann-Dramatisierung durch John von Düffel, ansehen: offenbar gibt es im Norden jetzt den Trend zu XX- bzw. XY-Abenden..
Yerma, Lübeck: nicht sehr andalusisch
Ich hätte gerne das Stück in seiner klassischen Ursprungsversion gesehen. Den 1. Teil fand ich super und gut umgesetzt. Nach der Pause allerdings befand ich mich wirklich in einer Therapiesitzung. DAS wollte ich nicht sehen!!! Sehr andalusisch war das nicht!!! ;-)
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