alt

Die glorreichen Drei

3. Januar 2012. Männer beherrschen die Theaterstadt Wien. Aber vor deren Toren walten drei Intendantinnen, die in Graz oder St. Pölten ihre Theater nach oben führen. Und Helmut Schödel porträtiert heute in der Süddeutschen Zeitung diese drei furchtlosen und erfolgreichen Theatermacherinnen: Anna Badora, Bettina Hering, Isabella Suppanz, "Realistinnen, während die Theatermachos in Wien die Helden spielen".

"Eine gebildete Frau mit einem kritischen Bewusstsein und das Theater gilt ihr noch als etwas Besonderes, ein Wert in ihrem Leben", das sei Isabella Suppanz, noch bis Ende dieser Spielzeit Direktorin des Landestheaters St. Pölten, der 50 000 Einwohner zählenden Hauptstadt des österreichischen Bundeslandes Niederösterreich, das sie durch eine Mischung aus Eigenproduktionen und Gastspielen in einen beachteten Spielort verwandelte. Aufsehen erregte unter anderem ihre Inszenierung von Franz Nabls 'Die Ortliebschen Frauen', und zusätzlich schuf sie Platz für Gastspiele der Münchner Kammerspiele, des Hamburger St. Pauli Theaters, von René Pollesch bis Sepp Bierbichler - weshalb man St. Pölten nun in deutschen Schauspielhäusern kenne. "Sie hat ihre Aufgabe unaufgeregt erledigt, sich zwischendurch zum Lesen in ihre Wiener Wohnung zurückgezogen. Beim Putzen hört sie klassische Musik, und an die Wiener Theatermachos hat sie nicht gedacht. Einen 'Nestroy', den Wiener Theaterpreis, war der indolenten Jury ihre beispielhafte Arbeit aber nicht wert."

Bettina Hering wird ab Herbst 2011 den Intendantenposten von Isabella Suppanz übernehmen. Nach dem Germanistik-Studium bei Peter von Matt in Zürich und einer Magisterarbeit über Paarbeziehungen bei Botho Strauß, wurde sie Regieassistentin am Frankfurter Schauspielhaus und arbeitete mit Berserkern wie Einar Schleef und Schwierigen wie Hans Jürgen Syberberg, also unter anspruchsvollen Bedingungen. "Eine burschikose Frau, nicht zimperlich, der man zutrauen kann, dass sie über eine gute regionale Versorgung hinaus auf Wien zielt, wo die glorreichen Drei ihr Süppchen kochen. Sie will ein Theater, das auch in der Metropole wahrgenommen wird." Aber wie der Fall Graz zeige, heißt das noch lange nicht, dass man in Wien entsprechend gewürdigt wird. "Denn Wien ist narzisstisch und will immer der Mittelpunkt sein."

Dass das Schauspielhaus Graz nach Jahrzehnten nun endlich funktioniere, sogar Interesse über Österreich hinaus errege, liege an Anna Badora. "Jedes Gespräch mit ihr wirkt wie ein dreifacher Espresso. Sie stammt aus Polen, geboren in Tschenstochau, und hat in Krakau studiert. Während ihrer Schulausbildung im Sozialismus hat sie Schießen gelernt und war als Fallschirmspringerin im Trainingseinsatz. Als ihre Hochschulinszenierung von Jean Anouilhs 'Antigone' verboten wurde, beschloss sie, zusammen mit ihrem studentischen Ensemble, das Land zu verlassen." Im Gegensatz zu ihrer Düsseldorfer Intendanz, wo es immer auch um Repräsentation ging und sie trotzdem den Schwierigen, von Einar Schleef bis Jürgen Gosch, Arbeitsmöglichkeiten bot, komme jetzt ihr Temperament zum Tragen. Ihr sei es gelungen, ihr finanziell nicht sonderlich ausgestattetes Ensemble zu begeistern. Sie erforsche die Literatur des Ostens und habe den genialen Regisseur Viktor Bodo aufgebaut. "Erst zuckten die Grazer zurück, jetzt sind sie dabei. Dramaturgen und Schauspieler werden ihr gerne wegengagiert, aber sie findet neue Lösungen."

"Diesen drei Frauen, die sich um Überregionalität bemühen, stehen in Wien drei Männer gegenüber." Aber ambitioniert und furchtlos versuchen sie, mit weniger Mitteln ihre Theater nach oben zu führen. "Bettina Herings Projekt ist gerade in Planung, und die anderen funktionieren schon. Denn sie sind alle drei keine weiblichen Don Quichottes, sondern Realistinnen."

Kommentare  
Presseschau Power-Intendantinnen: überfällige Porträts
Ein überfälliger Artikel, der die doppelt so hoch zu bewertenden Erfolge der porträtierten Intendantinnen zu recht würdigt, u.a. da mit wesentlich geringeren Budgets erzielt. Wenn auch gewöhnungsbedürftig, dass Schödel hier St. Pölten und das Burgtheater im selben Atemzug erwähnt. In Wien wird das sicher als Ungeheuerlichkeit empfunden werden. Nur gut, dass dort die Süddeutsche eher selten gelesen wird, weil darin zu wenig von Wien berichtet wird. Treffend fand ich die Charakterisierung der drei Wiener Intendanten mit jeweils einem einzigen Satz.
Kommentar schreiben