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Vom Flirten und Lieben im Brunnen

von Reinhard Kriechbaum

Graz, 5. Januar 2012. Phädra, Frau des Theseus, eine Kokotte? Ihre lüsternen Augen sind auf Hippolytos gefallen, den Sohn des Königs. Sie flirtet überhaupt gerne, die junge, ultra-leichtgeschürzte Dame. Zum Beispiel mit einem Zuschauer aus der zweiten Reihe, dem sie schöne Augen macht und mit auffordernder Geste eine Konfektschüssel hinhält. Doch wenn der danach greift, zieht sie das Ding weg. So eine ist das.

Überhaupt muss man in Johannes Schmits Inszenierung von Racines "Phädra" (jedenfalls in der ersten Dreiviertelstunde) im Grazer Schauspielhaus als Zuschauer immer gewahr sein, dass einen strenge oder verschwörerische, kokette oder leicht verschämte Blicke treffen: von Phädra (Claire Vivianne Sobottke), von Hippolytos (Christoph Rothenbuchner) und einer dritten Person (Rahul Chakraborty), die abwechselnd für Hippolytos' Geliebte Arikia oder die Amme Önone steht. Im Ballett würde man das einen "Pas de trois" nennen. Aber wenn schon nicht Ballett, ist es jedenfalls choreographiertes Bewegungstheater, was wir über weite Strecken zu sehen bekommen.

Im Rokoko-Frankreich, aber doch im Heute

Der Regisseur nimmt erst einmal nur ein paar Sätze her, die Szene von Phädras Liebes-Bezeugung und Hippolytos' Ablehnung. Diese Sätze, diese Gesten, diese Schritte aufeinander zu und voneinander weg werden, wie man so schön sagt, "durchdekliniert": B wie Bewegungen oder Berührungen, K wie Körper, Z wie Zärtlichkeit – aber wenn man endlich bei diesem Z angelangt ist, wird die Sache ganz ungemütlich, denn da taucht Theseus (der eingangs, einer Diseuse gleich, eine knappe Inhaltsangabe geliefert hat) auf.

Damit nähert sich das Bühnengeschehen plötzlich Racines Text, in einer altväterlich-klassisch anmutenden Übersetzung von Simon Werle. Ganz zuletzt, wenn der alte Theramen die letzten Momente im Leben des Hippolytos schildert und Theseus zum Schlussmonolog anhebt, ist man endgültig dort angelangt, wo konservativere Gemüter Theater-Klassik idiomatisch verorten.

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v.l.n.r.: Rahul Chakraborty, Claire Vivianne Sobottke, Christoph Rothenbuchner. © Lupi Spuma

Johannes Schmit spielt also mit dem Text, indem er ihn nicht auflöst, sondern nach und nach puzzelt. Indem er aus vager Paraphrase und freiem Spiel der Assoziationen schließlich doch ein Beinahe-Stück zusammenfügt. Er setzt auf einen bunten Mix aus neuen Ideen und alten Versatzstücken. So wie Bühnen- und Kostümbildnerin Clementine Pohl die Figuren gerne mit barock/poppigen Kostüm-Accessoires behängt, lässt der Regisseur mit Gesten und Bewegungsmustern spielen. Wir sind im Rokoko-Frankreich, aber doch im Heute. Die Zuschauer sitzen einander in zwei Blöcken gegenüber, auf dem schmalen Platz dazwischen ein langes, schmales marmornes Wasserbecken.

Wasserspiele, Wasserspritzer

In ihm und um es herum spielt die ganze Liebes-Chose, für die man die knackigsten Ärsche im Ensemble und den schönsten Busen sowieso gecastet hat. Leider nicht die an Ausstrahlung intensivsten Darsteller – und so wirken gerade die vielen pantomimischen Pas-de-trois-Szenen wie phantasievolle, brav eingeübte, aber letztlich recht trockene Theaterschul-Übungen. Das Wassergepritschel macht das nicht saftiger.

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Steffi Kautz als thronender Theseus.
© Lupi Spuma

Auch die Zuschauer in den vorderen Reihen bekommen etliche Spritzer der ausgelebten Lust ab. Was genau uns Johannes Schmits mit seiner Grazer "Phädra" wohl erzählen will? Vielleicht, wie erotisch-lasziv es bei Hofe zugeht, wenn der König weg ist. Wahrscheinlich sind Phädra und Hippolytos einander ja doch eine Spur näher gekommen als erlaubt. Jedenfalls: Je mehr Racine'scher Text dann hineinkommt, gewinnt der Abend an Kontur. Da stehen die sexy Jungspunde wie Lausbuben vor Theseus, einem braungelockten Monarchen im goldenen Hosenanzug. Steffi Krautz ist ein originell dunkel- und raustimmiger Theseus, sitzt auf einem Thron, der auch als Schiedsrichterstuhl auf einem Tennisplatz durchginge.  

Jenseits der Interpretation

Gegenüber von Theseus' Thron sind weit jenseits des Wasserbeckens zwei Glaswände aufgebaut, die reizvolle Spiegeleffekte möglich machen. Dort sieht man auch, wie sich die Darsteller umziehen und aus einer Truhe immer wieder trockene Klamotten angeln.
Zum Schauen gibt es letztlich viel, und aus den anderthalb Theaterstunden spricht nicht des Gedankens Blässe. Aber: Bei aller Lust am Artifiziellen ist dem 1981 in Trier geborenen, an der HfS Ernst Busch ausgebildeten Regisseur der Faden zu einer Interpretation des Stoffes abhanden gekommen.

Man nimmt letztlich also nur mit: burleske Szenen, viele hübschen Einfälle – und die große Erzählung des Theramen. Gerhard Baluch (derzeit auch als Philipp II. in einer einprägsamen Inszenierung des "Don Carlos" durch Ingo Berk in Graz auf der Bühne) zwingt da eine Konzentration herbei, die dieser "Phädra" als Ganzes abgeht.

Phädra
von Jean Racine, Übersetzung von Simon Werle
Regie: Johannes Schmit, Bühne und Kostüme: Clementine Pohl, Dramaturgie: Christian Mayer.
Mit: Gerhard Balluch, Rahul Chakraborty, Steffi Kautz, Claire Vivianne Sobottke, Christoph Rothenbuchner.

www.schauspielhaus-graz.com

 

Kritikenrundschau

Johannes Schmit setze in seiner "Phädra"-Inszenierung "auf große Gesten, auf strenge, kokette, laszive Blicke ins Publikum, auf stummes Bewegungsspiel in schriller Ausstattung, auf bildhafte Arrangements in Zeitlupe. Das verwirrt einmal. Gut so", meint Julia Schafferhofer in der Kleinen Zeitung (7.1.2012). Doch die Geschichte um Phädra werde so "zur Nebensache", die Schauspieler meisterten "die Akrobatik bemüht", als "Darstellerin aufgehen tut [!] darin nur [Claire Vivianne] Sobottke." Der Text werde "als ABC entwirrt und um viele gute Ideen arrangiert." Eine "schlüssige Interpretation des Werkes" bleibe Schmit schuldig.

Kommentare  
Phädra, Graz: Schiller wagen
Die Übersetzung von Werle als altväterlich-klassisch zu bezeichnen ist euphemisch. Mit diesem Text kann nichts gelingen. Warum wagt sich kein Regisseur an die Schillersche Übersetzung? Diese wird Racine am ehesten gerecht.
Phädra, Graz: nicht gerecht
Die Schiller'sche Übersetzung wird Racine überhaupt nicht gerecht, weil sie das Stück überall wo es geht familiarisiert und die politischen Dimension der Konstellation wegstreicht!
Phädra, Graz: Politische Dimension - wo denn?
Ich kann die politische Dimension in der Phädra von Racine nicht erkennnen. Worin liegt diese? Auch scheint die Übersetzung von Werle (außer im Burgtheater) auch anderswo bei Publikum und Kritik nicht so gut anzukommen.
Gelesen ist die Übersetzung von Schiller den gegenwärtigen dramatischen Fassungen in der Übersetzung von Werle in der emotionalen Wirkung weit überlegen.
Phädra, Graz: pikant formuliert
"die ganze Liebes-Chose, für die man die knackigsten Ärsche im Ensemble und den schönsten Busen sowieso gecastet hat." ... findet ihr so einen Satz wirklich in Ordnung?
Fragt erstaunt
Phädra, Graz: Karikatur der Theatersprache
Ich finde ja. Wie sonst soll man den Regisseuren den Exhibitionismus abgerwöhnen. Der Kritiktext karikiert die gegenwärtige Theatersprache.
Phädra, Graz: dehumanisierend
Das ignoriert aber, dass an den Ärschen und Brüsten auch Schauspieler dranhängen, die durch eine solche Beschreibung viel mehr dehumanisiert und entwürdigt werden als der exhibitionistische Stil des Regisseurs.
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