Willkürlich und realitätsblind

2. Februar 2012. Für die Süddeutsche Zeitung interviewt Martin Krumbholz den Bonner Intendanten Klaus Weise, der das Theater der ehemaligen Bundeshauptstadt 2013 verlassen wird. Wer ihm nachfolgt, ist noch unklar – zuletzt bekam die Stadt Bonn eine Absage von der Saarbrücker Intendantin Dagmar Schlingmann.

Davon zeigt Klaus Weise sich nicht überrascht: Er glaube, dass die Stadt unentschieden sei, ob man die einzusparende Summe von 3,5 Millionen schlagartig 2013/14 umsetzen wolle oder in Tranchen. "Da hat Frau Schlingmann vermutlich zu Recht kalte Füße bekommen." Zumal das Theater Bonn in den vergangenen zehn Jahren bereits 14 Millionen eingespart habe, "das sind 230 Mitarbeiter weniger." Kein Theater hätte so gespart wie Bonn – "Und das ohne Publikumsverluste". Jetzt würde es unmittelbar an die Substanz gehen, das heiße, auch an die Qualität der Aufführungen. "Das hat Frau Schlingmann wohl ähnlich gesehen."

Er selbst habe seinen Vertrag "aus Überzeugung" aufgelöst. "Wenn ich nur noch über Sparmaßnahmen nachdenken muss, ohne wirklich an die Erhaltung der künstlerischen Substanz zu glauben, ist das für mich nicht mehr zu verantworten." Die 3.5 Millionen Euro, die das Bonner Theater der Stadt zufolge weiter einsparen soll, seien nicht mit ihm besprochen, sondern "willkürlich und realitätsblind" festgesetzt worden.

Mit dem Wegfall der Bundeshauptstadt habe Bonn einen Bedeutungsverlust erlitten. "Dieses Vakuum will man nun mit Beethoven füllen, einer Marke." Man müsse sich nun fragen, wie sich die alten Angebote mit neuen Ideen verbinden ließen. "Mein Vorschlag war es, eine Festspiel-GmbH zu gründen, die Orchester, Festivals, Oper und Schauspiel unter einem Dach integriert." Er habe aber den Eindruck, dass die Finanzdebatte die wirklich spannenden Fragen auffresse.

"Heutzutage sind viele Politiker dazu bereit, die Kultur symbolisch zu opfern - dem Fetisch der Zahlen und der Effizienz." Wozu man die Oper oder das Schauspiel brauche, sei "nicht so ohne weiteres quantifizierbar in einer Gesellschaft, die vorwiegend ökonomisch tickt."

(Süddeutsche Zeitung / sd)

Kommentare  
Interview Klaus Weise: kein Wunder
laut einem bericht in der stuttgarter zeitung verdient klaus weise 320 000 euro im jahr.das hat der bundesrechnungshof ermittelt und nachgefragt ob das angemessen ist.kein wunder das er zahlen und effizienz für einen fetisch hält.angesichts der dumpinglöhne allzuvieler ausführender theater arbeiter stellt sich die frage des angemessenen doch tatsächlich,und die frage wo sparen wäre vielleicht auch zu beantworten.
Interview Klaus Weise: würden Sie eigene Gage kürzen?
Ach, ah ja, das ist doch jetzt aber ein bisschen Stammtisch, finden Sie nicht? Warum soll er denn eine Gage, die die Stadt mal angemessen fand, freiwillig kürzen wollen? Das würden Sie nicht tun, das würde ich nicht tun, das würde vermutlich kaum jemand tun ...
Interview Klaus Weise: nicht angemessen
na ja, angesichts der umstände wäre das nur anständig. ich würde das auch nicht tun bei meinem aktuellen gehalt. aber auf die gefahr hin, als gutmensch dazustehen: ich kann es mir zwar schwer vorstellen, aber wenn ich 320 000 im jahr verdienen würde, könnte ich auf einen teil des geldes verzichten. angemessen ist das nicht. und verlogen finde ich es auch, tausender in dieser menge zu scheffeln und dann - nach dem motto "nach mir die sintflut" - "aus überzeugung" zu kündigen. und jetzt auch noch die kritik hinterherzuschicken, die gesellschaft würde "ökonomisch ticken". der idealismus, aus dem viele theaterschaffende ihre energie beziehen müssen, sollte bis zu einem gewissen grad schon auch für intendanten gelten.
Interview Klaus Weise: Gehalt nicht das Problem
trotzdem am Thema vorbei.
Außerdem gehts um Millionen, nicht um wenige Hunderttausende.
Das Problem ist nicht das Gehalt Weises, sondern das Verhalten der STadtoberen.
Interview Klaus Weise: die Gehaltsschere klafft
Doch, das Problem ist sehr wohl auch das Gehalt von Herrn Weise! Seit Jahren Schrumpfen die Bugets und die Gehälter der Schauspieler, Assistenten,Kostümbildner,Bühnenbildner und manchmal sogar die der Regisseure.(real). Aber die Intendanten und Geschäftsführer nehmen sich mehrheitlich einen grosszügigen Schluck aus der Pulle. Die Gehaltsscheere klafft wie in anderen Bereichen der Wirtschaft auch im Theater immer mehr. Und in diesem Zusammenhang ist die sehr grosszügige Vergütung(320000 ist deutlich mehr als das Intendantengehalt in Köln oder Hamburg, soviel ich weis lässt sich Frau Beier ihre Inszenierungen am eigenen Haus nicht vergolden)von Herrn Weise eine Schwächung der Argumentation gegenüber der öffentlichen Hand. Glaubwürdigkeit ist ein seltenes Gut. Mehr Geld fürs Theater,für Kultur! Ja, natürlich. Aber nicht unbedingt für ihre Chefs
Interview Weise: ohne Netz und doppelten Boden
Ein großes Dreispartenhaus ist ein Unternehmen und keine städtische Behörde, in der der Abteilungsleiter nach BAT bezahlt wird. Dafür liegt ja auch die Erwartung an die (künstlerische) Qualität und an die Führung des Hauses auf einem anderen Niveau, als bei einer Hauptabteilung der Stadtwerke. Insofern halte ich ein frei verhandeltes Gehalt der Intendanten für gerechtfertigt. Es in direkte Verbindung zu den Sparplänen Bonns, die absolut zu der allgemeinen Marginalisierung dieser Stadt im Bewußtsein unserer Gesellschaft passen, halte ich für falsch.
Gleichwohl stimmt noch etwas anderes im deutschen Gesamtbetrieb Theater nicht. Schauspieler sind das schwächste Glied. Sie werden meist nur für ein paar Jahre engagiert, da sie sonst ja ein Anrecht auf feste Anstellung hätten. Sie arbeiten wohl in ihrem Traumberuf, aber für wenig Geld. Was passiert eigentlich mit den von neuen Intendanten auf die Straße gesetzten Schauspielern und Tänzern, die jedes Jahr Hunderte zählen? Wieviel Absicherung, wieviel Respekt billigt ihnen die Gesellschaft zu? Beispielhaft wird das alles gerade wieder beim Intendantenwechsel in Münster vorgemacht. Alles was nicht bei drei auf den Bäumen ist: raus! Und wer ist bei drei auf den Bäumen? Alle mit festem Vertrag. Also im wesentlichen alles was nicht auf der Bühne steht.
Vergleichbare brutale Zustände habe ich in meiner Berufszeit nirgends in der freien Wirtschaft finden können. Im Theaterbetrieb geht das alles ohne Netz und doppelten Boden. Wow! Das muß ein guter Boden für die Werte, für die das Theater steht sein!
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