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"Ich bin ja auch so ein teutonischer Zuchtmeister"

17. Februar 2012. Bayreuth ist für mich Grenzüberschreitung, so ist das Interview überschrieben, das Volker Blech und Stefan Kirschner für die Welt mit Frank Castorf geführt haben. Darin geht es um seine "Ring"-Inszenierung, aber auch um Die Marquise von O., die heute an der Berliner Volksbühne Premiere haben sollte, aber aufgrund einer Erkrankung von Sylvester Groth abgesagt werden musste.

Kleist habe für ihn eine ungeheure Modernität. "Die Anekdoten von Kleist sind ein einziger Schatz. Diese Kunst, Pointen zu setzen, ist grandios. Kurze Zeitungsnotizen zur Charité, in vier Zeilen kommt er auf den Punkt. Kleist ist ein Humorist, der immer das Eitrige entdeckt, der die Pestbeule aufschneiden will. Einer, der immer den Widerspruch sucht", so Castorf über Kleist.

Das Risiko, in Bayreuth zu inszenieren, gehe er ein, weil der Konservatismus dort viel stärker ausgeprägt sei. "Wenn schon Oper, dann in Bayreuth. Und wenn schon, dann den "Ring", dieses Gesamtkunstwerk. Wäre das Angebot aus Wien oder woandersher gekommen, ich hätte es nicht gemacht. Oder nur, wenn ich in die Partitur, ins Libretto hätte eingreifen dürfen. In Bayreuth geht das aus verständlichen Gründen nicht."

In den Vertragsverhandlungen habe er durchaus einiges erreicht, "es wird eine Drehbühne geben, und ich kann mit dem Medium Film arbeiten", die Möglichkeit, den Wagner-Stoff mit etwas anderem gegenzuschneiden, sei allerdings vertraglich verwehrt. Wie er den "Ring" erzählen will? "Für mich ist es eine Reise hin zum Gold unserer Tage - zum Erdöl. Und Siegfried, das ist doch die Geschichte von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen. Man kann es einfach wie Märchenfiguren erzählen. Es erinnert auch an Orson Welles' Filmklassiker 'Citizen Kane'. Im Kriegsfilm 'Apocalypse Now' kommen die Hubschrauber zu Wagners Walkürenritt angeflogen. Diese Art der Übersetzung spukte uns durch den Kopf. Weg von Illustration, mitten hinein in den logischen Widerspruch."

Und: "Ich bin ja auch so ein teutonischer Zuchtmeister. (...) Mich interessieren die liegengebliebenen Stoffe des 19. Jahrhunderts: Grabbe, Hölderlin, Lenz. Bei Kleist macht es mir Spaß, durch Widersprüche zum Lachen zu provozieren. Mein Stil ist vielleicht im Augenblick nicht angesagt. Das wird sich aber wieder ändern. Im Moment bin ich hier in Berlin in einen Spalt der Zeitmaschine gefallen."

Ansonsten gebe es in Bayreuth noch ein Publikum, das nicht nur aus künstlerischen Gründen über den roten Teppich gehe. "Wie die Kanzlerin und Thomas Gottschalk, der Großkanzler der Unterhaltung. Das finde ich gut so. Hier in Berlin ist man immer nur unter sich. Das ist auf Dauer doch langweilig."

(sik)

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