Wenig Philosophie und viel Spaghetti

von Lena Schneider

Wien, 15. November 2007. Kurz vor Schluss passiert es dann doch. Unverhofft, als der bunte Abend im Wiener Josefstadt Theater sich schon merklich dem nicht unwillkommenen Ende nähert, ahnt man plötzlich, was Peter Turrini an dem alten Stoff von Goldonis "Diener zweier Herren" interessiert haben mag: zu zeigen, dass in heutiger Zeit Goldonis Lustspiel bei aller Lustbarkeit nicht lustig enden kann.

Obwohl Turrini im Grunde den gesamten Goldoni-Text, der ursprünglich eine wortgenaue Übertragung hatte werden sollen, sehr frei behandelt, erschöpfen sich viele seiner Veränderungen in recht oberflächlichen Verheutigungen und zotigen Anzüglichkeiten. Bis auf die eine, entscheidende, am Ende eben: Wo Goldonis Diener Truffaldino nach einigen Wirrungen und Hieben triumphiert, lässt Turrini seinen Arlecchino als begossenen Pudel dastehen, ausgebeutet von allen Seiten.

Begossen im Wortsinn: Die übermütige High Society entkorkt ihren Champagner über dem Kopf des armen Teufels Arlecchino (Gregor Bloéb) und begießt ihn verschwenderisch mit dem, wonach er ein ganzes Stück über gelechzt hatte. Am Ende hat er’s auf dem Kopf, aber noch immer nicht im Mund.

Der verletzliche Narr

Das Schlussbild steht in seiner Überzeugungskraft an diesem Abend leider ziemlich alleine da. Nur ganz zu Anfang des Stückes gibt es einen Moment, der ähnlich einprägsam ist. Da lernt der junge, bei Turrini nicht frohgemute sondern sehr abgewrackte Arlecchino von einem alten Lebemann (Alexander Grill) die Lektion, die er sich zur Maxime macht: "Was sich anbietet, muss man nehmen". Woraufhin sich der Alte seines Narrenkostüms entledigt, dem Publikum seinen nackten Hintern zeigt und aus dem Leben in die Hinterbühne tritt – nicht ohne Arlecchino versichert zu haben, dass sein Leben ein einziger Spaß gewesen sei.

Spaß, das will Arlecchino jetzt auch. Er schlüpft in das Kostüm und damit in die Rolle des Alten und wird zu der Figur, als die Goldoni ihn geschrieben hat: zum Narren. Dass er diese Rolle bis zum Ende nicht wirklich zu spielen vermag, sondern Gregor Bloéb ihn stets seltsam fremd und fast debil langsam gibt, ist das Eindrücklichste an Herbert Föttingers Inszenierung. In einer Runde von kühl berechnenden Geschäftsmenschen zeigt er Arlecchino als den einzigen, der nicht spielen kann und damit verletzlich, menschlich ist.

Così fan tutte – so machen's alle

Zwischen starkem Auftakt und sehenswertem Ende aber liegt eine Art schriller Leere. Das mag an dem bedeutungslosen Beziehungshin- und her liegen, in dem Turrini der Vorlage nicht nur folgt, sondern sie mit haudegenmäßigem Einfallsreichtum übertrifft. Turrini schreibt das ganze Verwechslungsspiel um in einen humorigen Reigen, der sich vage um Geschlechtergleichheit, vor allem aber um Potenz dreht.

Ein Hauptmotiv sind darin die Potenztropfen des alten Pantalone (Heribert Sasse), der ständig an seiner Magd (Gerti Drassl) herumtätschelt. Ein weiteres ist die sexuelle Identität der als Mann verkleideten Beatrice (Maya Bothe). Das ist schon bei Goldoni ein Thema, aber Turrini setzt immer noch einen drauf: Je schmieriger, desto besser. Oder, wie Turrini im Programmheft sagt: Möglichst wenig Philosophie und möglichst viel Spaghetti.

Um der Frage, was Beatrice denn nun in der Hose hat, auf den Grund zu gehen, schlägt der bodenständige Pantalone seiner Tochter (Hilde Dalik) vor, ihm doch einfach in den Schritt zu greifen, dann wird man – "Krrrrrack" – schon merken, was drin ist. Töchterchen will nicht, weil, klar: "Die hat eine Phobie vor Eiern". Wo Pantalone ein ziemlich geiler Bock ist, ist Tochter Clara eine ziemliche Dumpfbacke à la Paris Hilton im Puschelpulli, die naiv keusche Überlegungen hegt. Aber als Beatrice ihr dann in einer wilden Küsserei die "Hügel" in der "Peripherie" ertastet, wird natürlich klar: Auch die will nichts anderes.

Ein Raum für Gegenwartsflucht

Weil Turrini die Handlung ins Venedig der Karnevalszeit verlegt, ist das ganze überladene und gleichzeitig seltsam klemmige sexuelle Treiben und Beschreiben ja irgendwie am Platz. Und sicher klingen sogar auch hier und da kritische Töne durch – so ist Pantalone, der größte Lustmolch, ehrgeiziger "stellvertretender Vorsitzender der katholischen Moralkommission". Nur, warum das alles? Um zu schockieren, ist die Inszenierung dann doch zu brav, sogar die "Cante delle Osterie", die Lieder, die laut Turrini angeblich so schweinisch und blasphemisch sein sollen, kann nur verstehen, wer italienisch kann. Schade.

Das Publikum aber war angetan, für den Autor hagelte es Bravos. Immerhin hat man jetzt – endlich, endlich, nach viermonatiger Renovierung für insgesamt satte 18 Millionen Euro – die große Bühne des Josefstadt Theaters wieder. Schon 1924 hatte Max Reinhardt mit Goldonis Stück die Josefstadt nach einem Umbau eröffnet. Er nannte das Haus damals einen "mit venezianischem Lüster-Prunk ausgestatteten Raum für Gegenwartsflucht". So ähnlich lässt sich das auch 2007 noch sagen.

 

Der Diener zweier Herren (UA)
von Peter Turrini nach Carlo Goldoni 
Regie: Herbert Föttinger, Ausstattung: Rolf Langenfass, Musik: Michael Rüggeberg.
Mit: Alexander Grill, Gregor Bloéb, Heribert Sasse, Hilde Dalik, Gerti Drassl, Toni Slama, Manuel Witting, Maya Bothe, Florian Teichtmeister, Erich Altenkopf, Eva Mayer u.a.

www.josefstadt.org

 

Kritikenrundschau

Aus Sicht von Martin Lhotzky von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (16.11.2007) hat das "dynamische Duo" Turrini/Föttinger schon Besseres und Böseres auf die Beine gestellt als diese Goldoni-Adaption. Das Anzüglichste, was es zu sehen gab, war Lhotzkys Bericht zufolge wohl der Kuss des Josefstädter Direktors auf den Dramatikermund beim Schlussapplaus. Die Derbheiten des Stücks lasse man vorsichtshalber in italienischer Sprache und unverständlich durcheinander singen. Die Akteure trügen zwar wunderhübsche Masken, aber fallen dem herb enttäuschten Kritiker ansonsten vor allem durch Gediegenheit auf. Und die Antagonisten Gregor Bloéb als Colliusco und Heribert Sasse als Sacchi? "Ersterer bemüht sich der Rolle doch eine Goldoni-Note abzuringen...Sasse schert sich um das alles nicht, und lebt eine Art Mackie Messer im Smoking vor. Zum Glück singt er nicht auch noch."

In der Wiener Tageszeitung Der Standard (16.11.2007) gibt Margarete Affenzeller allerlei Missfallen an einer behäbigen Regie zu Protokoll. Aber auch Turrinis Versuch, Goldonis Klassiker in die Welt der Wirtschaftkriminalität zu verlegen und Bezüge zu einer uneindeutigen Gegenwart zu schaffen, überzeugt sie nicht. Die Inszenierung führe nichts zueinander. Von den Entfernungen im sozialen Gefälle dieser Gesellschaft, deren Thematisierung sich der Abend eigentlich auf die Fahnen geschrieben habe, erzähle an diesem Premierenabend am auffälligsten das Bühnenbild von Rolf Langenfass.

Ähnlich unzufrieden äußert sich die Wiener Tageszeitung Die Presse (16.11.2007), nämlich hier. Der Dramatiker und sein Regisseur hätten den Stoff und den Karneval aus dem Venedig des 18. Jahrhunderts in das Jahr 1920 verlegt - man treffe aber auch auf Spider- und Superman. Doch unter den Masken, die Turrini Goldonis Protagonisten herunterreißt, tauchten in Herbert Föttingers Regie "nicht Fratzen, sondern recht harmlose, konventionelle Gesichter auf. Der Karneval entpuppt sich nicht als Albtraum, sondern bleibt Komödie. Lustig und gleichzeitig böse, alt und neu zugleich? Auch Föttinger gelingt es nicht ohne Verrenkungen, Diener zweier Herren zu sein."

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