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"Die Strafe für mein sündiges Leben"

29. März 2012. "Nein, ich verarsche Sie nicht", ist das Gespräch überschrieben, das Axel Brüggemann mit dem Intendanten der Berliner Volksbühne, Frank Castorf, für das April-Heft von Cicero geführt hat. Und in der Unterüberschrift wird eine Antwort auf die Frage versprochen, "warum es einer als politisches Statement versteht, sich auf der Bühne als anarchistischer Querulant zu geben und trotzdem alles Geld einzusacken, das er kriegen kann." Das klingt spannend, mal lesen.

Jetzt habe ich es gelesen. Gut, es ist das übliche Gesülze vom Luxemburg-Frank. Von Castro, dem zu Ehren er seinen Trainingsanzug trägt, von Tito, den er verehrt, weil der zwar ein Stalinist gewesen sei, aber dafür Jugoslawien zusammengehalten habe. Natürlich geht es um Anklam, die Gysis und um Vater Castorf, der im Krieg im Maschinengewehrkessel gesessen habe und heute – 90 Jahre alt - immer noch mit dem Benz zu des Sohnes Premieren vorfahre.

Ja.

Keine Wut mehr

Die Meldung kennen Sie schon, oder?
Die Schwadronage über die jungen Karriereregisseure, die "schlecht abkupfern, was wir vor zehn oder 15 Jahren gemacht haben". Die "keine Wut" mehr hätten, sondern nur nach "oben" und so weiter. Wir? Wieso eigentlich wir? Meint F.C. sich und Peymann und Zadek, von denen zuvor die Rede war? Seltsam, alles sehr seltsam.

Interessant, dass sich F.C. weder sicher ist, ob er ein Arschloch ist, noch ob er Frau Merkel nun gut findet oder doch eher auch ein A... . Denn einerseits habe Frau Merkel "Chuzpe", sie sei "wach und für die Situation [welche Situation wird nicht verraten] vielleicht nicht einmal die Schlechteste". Andererseits aber sei sie "verletzend, überheblich und vernichtend". Sie sei "so männlich wie kein Mann".

Doch genug von diesen dollen und prinzipiell begründungslosen Weisheiten aus Ostberlin. Wenden wir uns denn interessanten Punkten zu.

Widerspruch aushalten

Erstens: F.C. ist anders als die Politiker, weil er nämlich zu seinem "pöbelnden Zynismus" steht. Das bedeutet? Einerseits: "alles Geld mitnehmen", dass er "kriegen kann" und sich andererseits wie ein "blöder, querulatorischer Anarchist gebärden". Ein Widerspruch, der nicht aufzulösen sei, aber wenigstens könne er, F.C., "das Dreckige, das Eklige finden und zeigen und beweisen", dass "in jeder zwischenmenschlichen Beziehung der Faschismus bereits angelegt" sei. Auch bei ihm, F.C.

Das ist zwar nicht einsichtig, aber immerhin kernig dahergeredet.

Nur verarscht?

Zweitens: Auf die Frage, ob er, F.C, ihn, Brüggemann, für dessen Leben Castorf-Inszenierungen "existenzielle Bedeutung" gehabt hätten, "am Ende nur verarscht" habe, antwortet F.C.: "Nein, natürlich nicht. Das mache ich nicht. Ich schwöre. Ich glaube, Sie haben das damals schon richtig verstanden." Vielleicht hätten seine Produktionen früher deshalb berührt, weil man Schauspieler gesehen habe, die "am Ende waren". "Borderline-Leute", "Trinker", "Menschen, die auf der Grenze des Lebens tanzten", er, F.C., habe diese "asoziale Grundausrichtung in eine Haltung und Politisierung überführen" wollen.

Katholische Exerzitien

Drittens: Er, F.C., verstehe das Theater nicht als einen politischen Ort, sondern als einen Ort der Überforderung, "an dem wir unsere Dunkelheit ausleben können, um nicht von ihr in den Tod gerissen zu werden". Er verlange von sich genauso viel wie von seinen Schauspielern. Auf der Probe mache er ja alles mit ihnen zusammen, "brüllen", sie "über die Bühne reißen", "schubsen", und er habe "das Privileg", dass "die größten Egoisten und Narzissten, so wie Sophie Rois, sich diesen katholischen Exerzitien zur Verfügung" stellten.

Arschloch oder kein Arschloch?

Viertens: Er sei - nach einigem Nachdenken kommt er darauf – doch kein Arschloch. Aber er habe sich nicht um einige seiner sechs Kinder gekümmert und habe Menschen "extrem verletzt", es handele sich dabei um den schon erwähnten "zwischenmenschlichen Faschismus". Als Strafe für sein sündiges Leben nehme er es heute an, wenn den Kindern die Schokolade nicht schmeckt, eben neue holen zu gehen oder mit seinem "Zweijährigen bei seiner Mutter mit zwei Tüten aus dem Ökoladen" aufzulaufen. Das habe er früher nie getan. Das sei gut für ihn, den 60Jährigen.

(jnm)

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