Nach dem Mord

14. April 2012. Mounia Meiborg schreibt in der Süddeutschen Zeitung (14.4.2012) über das Freedom Theatre im Flüchtlingslager von Dschenin, im Westjordanland.

Nach dem Mord an dem Leiter des Theaters Juliano Mer-Khamis vor einem Jahr stünde das Freedom Theatre, dieses von Israelis gegründete "palästinensische Vorzeigeprojekt im Westen" nach außen besser da denn je. "Der Mord an Mer-Khamis hat weltweite Aufmerksamkeit gebracht: Neue Projekte, mehr Geld, mehr Gastspiele." Aber in Dschenin stecke das Theater in einer Krise.

Es gebe nach wie vor "die Schauspielschule, Kurse in kreativem Schreiben, Fotografieren und Filmen", aber die Zukunft sei "unklar". Die "einen" wollten sich aufs Theater konzentrieren, die "anderen" ein "Rundum-Kulturzentrum" betreiben. "Die einen wollen Stücke machen, für die es Fördergelder gibt, die anderen möchten sich die Stoffe frei aussuchen. Die einen wollen sich aufs Flüchtlingslager beschränken, die anderen auf Welttournee gehen."

Nach wie vor sei der Mord an Juliano Mer-Khamis nicht aufgeklärt. Die Spekulationen über den Mörder Mer-Khamis' gingen in zwei Richtungen: "entweder ein Israeli mit politischem Motiv oder ein Palästinenser mit moralischen Vorbehalten", denn das Flüchtlingslager sei "konservativ", obwohl 60 Prozent der Einwohner jünger als 25 Jahre seien.

Von den sechs Jungen in der Schauspielschul-Klasse, die Meiborg besucht hat, kämen fünf nicht aus dem Camp, sondern aus umliegenden Dörfern. "Vom ursprünglichen Ziel, Kindern aus dem Flüchtlingslager eine Chance zu geben, ist nicht viel übrig geblieben. Die zwei Mädchen, die anfangs in der Klasse waren, dürfen nicht mehr kommen, die Eltern haben Angst."

Eine Figur wie Juliano Mer-Khamis, jemand, der mit seiner Energie alle überrollt und angesteckt habe, fehle jetzt. "Nabil Al-Raee, der neue künstlerische Leiter, könnte das sein. Aber er geht im Sommer, um sein eigenes Theater zu gründen."

In den Wochen nach dem Mord sei die finanzielle Krise des Theaters schnell überwunden worden. Die Probleme mit dem Camp aber seien gewachsen. "Seit israelische Soldaten Mitarbeiter des Theaters festnahmen, stehen die Theaterleute in dem Ruf, Ärger zu machen." Der Kampf des Theaters gehe gegen die israelische Besatzung und die "Engstirningkeit" der "eigenen Leute".

Viele Künstler, die in Dschenin arbeiten, kämen aus dem Ausland. Sie brächten zwar "neuen Input und Expertise mit" - nur könnten sie kaum helfen, "langfristig palästinensische Zuschauer auszubilden". Über die Zukunft des Theaters entschieden die "jungen Schauspieler, Regisseure und Filmemacher aus Dschenin".

(jnm)

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