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Die Langobarden kommen

von Martin Pesl

Wien, 24. April 2012. Hubsi Kramars gottgleiche Stimme beschwört die Witwen des Chaos, dessen Kinder wir alle seien. Damit ist die Parole für "INXYZY – Flammende Liebe" ausgegeben, und für einen Moment sehen wir ein kleines Mädchen im weißen Kleidchen im grünen Gras im Licht aufleuchten. Das ist fast gruselig. Doch schon erscheinen eine Saxofonistin, ein Rapper und ein Pianist und machen ein bisschen Stimmung. Nächstes Bild: Eine Leiche wird mehrmals erschossen. Jemand sagt: "Die Langobarden kommen." Das bekommt man an diesem Abend noch öfter zu hören, genauso wie das Lied Die Liebe ist ein seltsames Spiel, Skelette und einige andere zufällig zusammengewürfelte Motive immer wieder auftauchen.

Nach einer Stunde sind ganze 23 Schauspieler, Musiker, Gaukler, Tenöre, Akrobaten und animierte Laien sinnfrei, aber begeistert durch Raum 1, den früheren Seziersaal, jetzt Barbereich des 3raum-Anatomietheaters gewuselt. Dabei haben sie geschmackssicher geschmacklose Kostüme getragen, bestehend im schrillsten Fall aus grünen Grasflächen. Manche durften nur ein paar Sätze sagen, andere bei aller gewollten Inhaltsabsenz gar eine durchgehende Figur verkörpern, etwa Christian Strasser als Jäger mit Schießgewehr. Über allem wachte Lucy McEvil, wienweit oder zumindest 3raum-weit berühmte Diseuse in Gestalt eines zuckersüßen Engleins mit Flügeln.

Drei Regeln für das 3Raum

Regel Nummer eins: Dieses Festival des Absurden ist kein Festival des absurden Theaters: Beckett und Ionesco spielen in einer anderen Liga. Absurde Dinge werden hier zelebriert, oder der Umstand, dass es diese Dinge, ja, das Absurde als Konzept überhaupt gibt, um dieser Welt beizukommen. Regel Nummer zwei: Es ist auch kein Festival des Absurden. Nach dem Text von Hausherrn Hubsi leistet man sich frech bei zwei von drei Stücken Themenverfehlungen: einmal Satire, einmal lyrisch-musikalische Performance. Regel Nummer drei: Das macht doch nichts.

Sowas darf wirklich nicht stören in diesem eigentümlich privaten Rahmen – einmal singt dank geschickt platzierter Claqueure gefühlt das halbe Publikum einen der Songs mit! Das 2006 vom Enfant terrible des österreichischen Politaktionismus in ein veterinärmedizinisches Institut hineingebaute Theater behandelt sein Publikum wie liebe Freunde. Weshalb Kramar selbst auch mitten im intensivsten Spiel mehr Gastgeber als Schauspieler bleibt.

Morgengymnastik mit Ingwer

In Raum 2, noch immer als Anatomiesaal zu erkennen, wird als Nächstes ein satirisches Hörspiel mit dem Titel "Der ausgebildete Kranke" ausgestrahlt. Prämisse: Wie können wir Kranke so erziehen, dass sie in der Lage sind, sich selbst zu behandeln, damit wir das Gesundheitssystem nicht mehr brauchen? Den etwas eintönig vorgebrachten Text peppt der Hausherr durch eine wahrlich witzige stumme Performance auf, bei der er in der Unterhose Morgengymnastik betreibt und einen an der Hörsaaltafel angeführten Plan für gesunde Ernährung mit Hilfe von Ingwer, ¼ Liter Wasser und anderen Zutaten penibel befolgt.

festivaldesabsurden4 280q barbara palffy u"Honolulu Blues" mit Hubsi Kramar und dem LeBaron-Cabrio beide hinten. © Barbara Palffy

Jazzkonzert

Für den "Honolulu Blues" von Patrik Huber in Raum 3 absolvieren Musiker und einige (unter ihnen wiederum Hubsi Kramar und der energiegeladene, urkomische Christian Strasser) in und um ein altes Chrysler-LeBaron-Cabrio herum eine einstündige Choreografie mit Texten über den Tanz des Lebens. Grautöne, schicke Anzüge und Marilyn-Monroe-Anspielungen verweisen auf ein Amerika der Fünfziger. Entsprechend auch die Musik von Edith Lettner und Martin Kratochwil. Das gesamte Ensemble ist stimmgewaltig und spielfreudig, das Timing sitzt. Dieser Teil 3 des Überflussprojektes wirkt eigentlich mehr wie ein gelungenes Jazzkonzert mit dazwischen gestreuten Spoken Words.

Apropos Überfluss: Während seines Beitrags „INXYZY" projiziert Hubsi Kramar Fotos von Orchideen auf die Bühne, am Ende lässt er vier Schauspieler als solche verkleidet auftreten. Orchideen gelten als Symbol für Zartheit und Schönheit und gegen jeden Verstand wert, es sich zu leisten. Darf man dieses Festival des Absurden also zum Abfeiern des Überflüssigen umdeuten, hat Hubsi Kramar damit ein zutiefst humanistisches Plädoyer abgehalten.

 

2. Festival des Absurden
Leitung: Hubsi Kramar

1.Teil: "INXYZY" Flammende Liebe
Text und Regie: Hubsi Kramar, Musik: Edith Lettner, Martin Kratochwil, Orchideenfotos: Hubsi Kramar, Kostüme: Michaela Studeny, Hanna Hollmann und die Tiger von Eschnapur.
Mit: Eri Bakali, Patrick Bongola, Rainer Fussgänger, Heidi Gross, Patrik Huber, Alev Irmak, Erich Joham, Julia Karnel, Marko Kölbl, Sandra Korczynski, Hubsi Kramar, Martin Kratochwil, Hannes Lengauer, Edith Lettner, Markus Liszt, Lucy McEvil, Karl Schrumpf, Eva Schuster, Christian Strasser, Michaela Studeny, Tini Trampler, Sascha Tscheik, Mathias Wiltsche und Nini.

2. Teil: Der ausgebildete Kranke
Text: Peter Matejka und Gerhard Jaschke, Regie: Hubsi Kramar.
Mit: Hubsi Kramar, Lucy McEvil, Christian Strasser; Toneinspielung: Julia Karnel, Lilly Prohaska, Michael Smulik, Christian Strasser.

3.Teil: Honolulu Blues
Text und Regie: Patrik Huber, Musik: Edith Lettner, Martin Kratochwil, Kostüme: Hanna Hollmann.
Mit: Patrik Huber, Hubsi Kramar, Michael Smulik, Roswitha Soukup, Christian Strasser, Tini Trampler, Sascha Tscheik.

www.3raum.or.at

 

Kritikenrundschau

"Highlight des – insgesamt vielleicht ein wenig zu lang geratenen – Abends, weil gerade dieser doch einige Konzentration erfordert, ist der von Patrick Huber geschriebene, komponierte und inszenierte 'Honolulu-Blues'", schreibt Heinz Wagner im Kurier (26.4.2012). Trat bei "INXYZY" schon eine Claudia Schiffer auf, so agieren hier Figuren wie Elvis, Marilyn Monroe an einem dazu passenden Schlitten, "dessen Motor- oder Hupgeräusche von einer dahinter bedienten Soundmaschine" kämen. "Szenen, die an Filmsequenzen erinnern ebenso wie völlig abgespacte herrlich absurde, manche als running gag immer wieder kehrende Passagen verursachen heftige Lach-, mitunter auch 'nur' Schmunzel-Attacken."

Auch Andrea Heinz hält im Standard (26.4.2012) "Honolulu Blues" für einen Höhepunkt. Die Darsteller werfen in Posen und mit Zitaten um sich: "Gangster treiben ihr Unwesen, die Monroe singt, und eine Elvis-Type schmeißt sich in 'Grease'-Manier auf den Fond des Wagens." Wie schon im ersten Teil werde gemordet, gesungen, geliebt. "Und dem großartigen Ensemble beim irrwitzigen Treiben zuzusehen ist auch hier ein Vergnügen. Doch der Abend bietet mehr als Lacher: Gerade da dem Publikum eine eindeutige Handlung zwar verweigert, dafür aber jede Menge Rohmaterial geboten wird, kann sich hier jeder seinen eigenen Reim auf die Geschichte machen. Ein eindeutiges Kompliment an das Absurde."

 

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