Rückkehr zu traditionellen Werten?

5. Mai 2012. Kai Strittmatter unterhält sich in der Süddeutschen Zeitung (4.5.2012) mit dem Intendanten des Nationaltheaters für Nordgriechenland in Thessaloniki, Sotiris Hatzakis, über Griechenland und seine Krise.

Naturalienwirtschaft

Seit Ende März dürften die Zuschauer den Eintritt ins Nationaltheater mit einer Packung Reis oder Nudeln bezahlen. Die Reaktion sei "enorm". Bis letzte Woche seien an der Kasse 2500 Kilogramm Lebensmittel gesammelt worden, die Aufführungen seien ausverkauft, Es kämen Leute ins Theater, die nie zuvor dort gewesen seien. Ein Kino in Athen ahme dieses Beispiel bereits nach. Die Theaterleute wollten als Bewegung genauso viel erreichen wie die Kartoffelbewegung, ein "von Bürgern ins Leben gerufene Netzwerk, das Bauern und Konsumenten zusammenbringt und dabei die Zwischenhändler ausschaltet".

Dem Nationaltheater sei das Budget nur um zehn Prozent gekürzt worden. "Wir haben 8,2 Millionen Euro im Jahr für 280 Mitarbeiter, und bespielen damit neun Bühnen. Wir kommen ganz gut zurecht, recyceln die alten Kostüme und Requisiten." Gleichzeitig seien die Besucherzahlen im Vergleich zu 2010 um 92 Prozent gestiegen, fast auf das Doppelte.

Werteverlust

Griechenland habe seit den achtziger Jahren seine "Werte und Qualitäten" aufgegeben. "Wir waren ja nie so arm wie die anderen Balkanländer oder die ehemaligen Staaten der Sowjetunion. Die Europäische Union gab uns Geld, damit wir Kühlschränke und Autos, aber auch U-Boote und Flugzeuge kaufen und so die Exporte Deutschlands unterstützen konnten. Wir haben einfach zu viel konsumiert. Vor allem für Rüstung.."

Aufstieg der Faschisten

Während Hatzakis die Aussicht begrüßt, dass bis zu zehn Parteien ins Parlament einziehen könnten, kann er die Faschisten "nicht akzeptieren". Griechenland habe den mit Abstand höchsten Anteil an "illegalen Immigranten innerhalb der EU". Sie kämen in Wellen über die türkische Grenze, schafften es aber "nicht mehr raus aus Griechenland. Stellen Sie sich vor: 1,5 Millionen Illegaler bei knapp elf Millionen Einwohnern. Und die Flüchtlinge landen fast alle im Zentrum für Athen. Es ist die Hölle - auch für sie selbst." Die faschistische Chrysi Avgi beute nun die "Verzweiflung der Bürger" aus. Sie verspreche den Leuten: "Mit uns werdet ihr die Immigranten los. Sie organisieren Bürgerwehren." Und wenn die Krise weitergehe, wisse man nicht, ob sie dann nicht noch viel mehr Stimmen sammeln könnten.

Rückkehr zum besseren Leben

Übers Internet, in den Städten entstünden Bewegungen, die eine allmähliche Rückkehr der griechischen Bürger zu "traditionellen Werten" anzeigten. "Weniger Autos, weniger Handys, weniger Konsum." Dafür würden die Griechen wieder "produktiver", gingen "menschlicher miteinander um", wollten einen Staat, "in dem die Korruption zumindest Grenzen hat".

Der 1957 in Athen geborene Sotiris Hatzakis begann seine Karriere als Schauspieler, später schrieb er Bücher und Theaterstücke. Seit 2009 ist er Intendant des Nationaltheaters für Nordgriechenland in Thessaloniki.

(jnm)

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