Kaltschnäuziges Kalkülalt

14. Mai 2012. Die Neigung der Berliner Kulturpolitik, die Theater-Dinge laufen zu lassen, kritisiert Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (14.5.2012).

Gleich zweimal binnen "weniger Wochen" habe sich die große Koalition im Berliner Abgeordnetenhaus "nach tapsigen Fehlentscheidungen" von "der Öffentlichkeit korrigieren" lassen müssen.

Grips-Krise

Zuerst hätten "Haushälter und Kulturverwaltung" die Hilferufe Volker Ludwigs in Sachen Grips Theaters ignoriert. Erst als "Grips-Fans" Flash-Mobs organisierten und 17.000 Lehrer und Eltern eine Petition unterzeichneten, habe die Politik das Problem ernst genommen und den Etat um 100.000 Euro erhöht.

Ernst Busch-Krise

Kurz darauf habe erst der Protest "engagierter Schauspielschüler" verhindert, dass "ein SPD-Haushaltspolitiker" den seit drei Jahren geplanten Neubau der Ernst Busch Hochschule für Schauspielkunst stoppte. Wieder sei es um eine "vergleichsweise kleine Summe" gegangen.

Maxim Gorki-Krise

Für das Maxim Gorki Theater sei noch immer kein Nachfolger des scheidenden Intendanten Armin Petras gefunden worden, obschon neue Intendanten in Köln, Stuttgart, Leipzig, Hamburg "seit Monaten ihre Ensembles" für 2013 zusammenstellten. "Wer immer das Gorki übernimmt, dürfte es mit so kurzem Vorlauf schwer haben, attraktive Schauspieler und Regisseure an sein Haus zu binden." Des Kulturstaatssekretärs André Schmitz' Werben um Nicolas Stemann sei "ambitioniert". Stemanns Inszenierungen seien am Burgtheater Wien, am Hamburger Thalia und am Deutschen Theater Berlin zu sehen. Die "übliche Berliner Arroganz, die selbstverständlich davon ausgeht, dass die Attraktivität der Stadt alles andere ausgleicht", könnte diesmal "ins Leere laufen".

Volksbühnen-Merkwürdigkeiten

Wenn Schmitz Stemann ein Berliner Theater geben wolle, "wäre die Volksbühne die angemessene Größe". Doch dort sei nun gerade erst dem seit zwei Jahrzehnten amtierenden Frank Castorf der Vertrag bis ins Renteneintrittsalter verlängert worden.

BE- und Schaubühnen-Merkwürdigkeiten

Laudenbach weist außerdem auf die seltsame Situation am Berliner Ensemble hin, wo Claus Peymann, 74, seit 13 Jahren BE-Chef, als Gesellschafter des Hauses seinen Vertrag einfach nach Gutdünken selbst verlängere. Und an der Schaubühne werde Thomas Ostermeier zwar "das ganze Jahr über als künstlerischer Leiter bezahlt", mache aber "genau eine Inszenierung pro Spielzeit" an seinem Haus und arbeite ansonsten lieber auswärts. Was jedoch Schaubühnen-Intendant Schitthelm nicht davon abgehalten habe, eine Etaterhöhung um 500.000 Euro zu fordern, weil anders Ostermeier in Berlin nicht zu halten sei.

Freie Szenen-Krise

Derweil darbe die "quirlige" freie Szene. Seit Jahren, so beklage sich etwa Jochen Sandig vom Radialsystem, erlebe sie "eine Kontinuität der Mangelwirtschaft", die die Politik bewusst in Kauf nehme, indem sie mit der Selbstausbeutung der Künstler kalkuliere. Doch, so Laudenbach, sei dieses Kunst-Prekariat bisher nur durch die "billigen Lebens- und Produktionsbedingungen" in Berlin "geschützt" worden. Steigende Mieten sorgten auch hier für "härtere Zeiten". Eine "Sicherung kostengünstiger Produktionsräume" sei "wichtiger als Subventionserhöhungen", glaube etwa Sandig.

Staatssekretärs-Krise

Als Redakteure der Fachzeitschrift Theater heute den Kulturstaatssekretär Schmitz jüngst "zur Theatersituation" befragen wollten, habe der das Interview nach zehn Minuten abgebrochen.

(jnm)

Kommentare  
Presseschau Berliner Theaterpolitik: Nachfolger Leipzig?
"...obschon neue Intendanten in Köln, Stuttgart, Leipzig, Hamburg "seit Monaten ihre Ensembles" für 2013 zusammenstellten..."

Wer wird denn Nachfolger von Herr Hartmann in Leipzig???
Habe ich da was verpasst und der designierte Intendant für Leipzig steht schon fest?

(Lieber Mathias,
nein, unseres Wissens nicht. Vielleicht weiß Peter Laudenbach mehr? Es ist dies ein Zitat aus dessen Text in der Süddeutschen.
Gruß
jnm)
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