altDeath and Destruction in Oberammergau

von Steffen Becker

Oberammergau, 13. Juli 2012. Hinter einem erfolgreichen Mann steht oft eine starke Frau – entgegen der heute üblichen Interpretation, dass dies zu seinem Vorteil ist, sieht William Shakespeare in seinem Drama "Antonius und Cleopatra" es als Grund für sein Scheitern. Konsequenterweise spielen in der bekanntesten Verfilmung des Stoffes mit Elizabeth Taylor und Richard Burton reale Hollywood-Wiedergänger das berühmte antike Paar. Regisseur Christian Stückl will nun mit seiner Inszenierung die Faszination von Krieg, Macht, Sex und Hörigkeit auf die Bühne des Passionstheaters in Oberammergau bringen.

Ein mutiger Schritt, hatten doch auch die Aufführungen zwischen den Passionsspielen bisher religiösen Charakter. Stückl geht die Herausforderung konsequent mit einer "Wenn schon, dann richtig"-Einstellung an. Im düster-ahnungsvollen Setting von schwarzem Sand und angekohlten Palmen lässt er Marcus Antonius (Andreas Richter) und Kleopatra (Barbara Dobner) sich lustvoll in einem Brunnen wälzen. Botschaft Nummer eins: Leidenschaft ist eine Fessel. Marc Anton vernachlässigt über der Lust die Politik in Rom, die auf der Bühne in Form von Boten unwillig beiseite geschoben wird.

antonius 560 arnodeclair uAntonius (Andreas Richter) und Kleopatra (Barbara Dobner) am Brunnen  
© Arno Declair / Passionstheater

Machtkampf zweier Alphatiere

Stückl hat die schwarze (ägyptische) Bühnenmitte jedoch links und rechts mit roten Stufen und römischen Säulen einfassen lassen. Bildwechsel vermeidet er so und trifft mit dem vom römischen Geschehen eingekeilten Antonius auch eine starke Aussage. Seinem Widersacher Oktavian (der spätere Augustus) kann er nicht entkommen. Überhaupt legt Stückl "Antonius und Cleopatra" auch als Geschichte über den Machtkampf zweier Alphatiere an. Für deren Gegenüberstellung hat er die idealen Hauptdarsteller.

Frederik Mayet (Oktavian) und Andreas Richter ähneln sich in Duktus, Körperhaltung, Aussehen, Spielweise. Stückl lässt sie zum Beispiel gleichzeitig auf Rampen agieren, um herauszuarbeiten, warum der eine triumphiert, der andere sich ins Schwert stürzt. Mayet gibt über das ganze Stück den Strategen. Er strahlt vor allem Kontrolle aus. Richter spricht und bewegt sich in den klaren Momenten des Marc Anton ganz ähnlich, unter Einfluss der Leidenschaft für Kleopatra spricht er aber gepresst und tigert hektisch. Botschaft Nummer 2: Wer sich nicht voll und ganz auf die Karriere konzentriert, wird auch keine machen. Oktavian spricht das in einer der wenigen sehr heutigen Textstellen aus: Marc Anton hat seine Leistung nicht gebracht.

Unter Eunuchen und Speichelleckern

Die Schuldige, Barbara Dobner, legt ihre Rolle ganz im Shakespeare'schen Sinne aus. Ihre Kleopatra ist wankelmütig, überemotional, tyrannisch gegenüber ihrer Umgebung. Sie kommt damit glaubhaft leidenschaftlich und auch anziehend rüber. Aber eben auch grell, besonders in Kombination mit den grotesk überzeichneten Eunuchen und Speichelleckern ihres Hofes.

antonius3 560 arnodeclair u© Arno Declair / Passionstheater

Überhaupt sind die Aussagen von Bühnenbild, den Farben der Kostüme und des Schauspiels eindeutig, zuweilen überdeutlich. Die Inszenierung stößt permanent in die Fanfaren, Nuancen bläst sie weg. Etwas abheben kann sich allenfalls Anton Burkhart als Gefolgsmann des Antonius. Ein bodenständiger Soldat, trinkfest beim Feiern, nüchtern in der Analyse, mal fassungslos im Angesicht einer Frau, die bei militärischen Entscheidungen mitredet, dann zermürbt ob der katastrophalen Folgen und von Schuldgefühlen zerstört nach dem Desertieren in aussichtsloser Lage. Mit seiner schauspielerischen Leistung schwingt er sich so auf zum heimlichen Star der Aufführung.

Wuchtiges Volkstheater

Die widersteht zum Glück auch dem Impuls, beim Einsatz der Oberammergauer Laiendarsteller deren Masse nur als solche zu inszenieren. Die 200 Beteiligten sind mehr als umherrennende Statisten. Stückl nutzt die Weite des Raumes für originelle Ideen. Soldaten schieben Modellschiffe über die Bühne, die Feldherren brüllen ihre Befehle, die Modelle explodieren, von den Stufen purzeln die Krieger. Selten hat man eine kurzweiligere Schlachtenszene gesehen. Dann darf es auch gerne noch etwas Bombast sein – Nebel, grollende Musik des Orchesters, lateinische Klagelieder des Chors. Das ist dann pralles Volkstheater, dessen Wucht man sich gerne hingibt.

 

Antonius und Cleopatra
von William Shakespeare
In einer Übersetzung von Jens Roselt
Regie: Christian Stückl, Bühne und Kostüme: Stefan Hageneier, Musik: Markus Zwink.
Mit: Andreas Richter, Anton Burkhart, Martin Güntner, Jonas Konsek, Thomas Müller, Markus Köpf, Frederik Mayet, Anton Preisinger, Mathias Müller, Christoph Meier, Christian Bierling, Benedikt Geisenhof, Ferdinand Meiler, Barbara Dobner, Walter Rutz, Martin Schuster, Caroline Fischer, Antonie Schauer, Eva Maria Reiser und Oberammergauer Darstellern, Musikern, Sängern und Kindern.

www.passionstheater.de

 

 

Kritikenrundschau

In der Frankfurter Rundschau (16.7.2012) bemerkt K. Erik Franzen abgeklärt: "Die dreieinhalb Stunden vergehen ohne große Brüche, vorhersehbar entwickelt sich die Handlung." Er beschreibt Stückl als routinierten Handwerker, wenngleich die Laiendarsteller an ihre Grenzen stießen: "Pathetische Zauberer-Gesten" zum großen Pyrotechnik-Drama, und "manchmal verzweifelt kämpfen die Darsteller gegen den eingeübten Bibelsound an". Dass die Oberammergauer aber ihren Spaß an einem jährlichen Shakespeare-Festival hätten, daran hat Franzen keinen Zweifel.

"Intime Dialoge über physische Untiefen zu spannen – und dadurch als Gespräch zwischen zwei Wesensfremden zu entlarven; zwei feindliche Heere in der Ferne zu spiegeln – und dadurch ihre Anführer als Wesensverwandte zu entlarven", dafür stehe Christian Stückls Inszenierung von "Antonius und Cleopatra", meint Teresa Grenzmann in der Frankfurter Allgemeinen (16.7.2012). Stückl lasse "sein Ensemble hart spielen, menschlich makelhaft, beinahe unnahbar, geht es in diesem Liebes- und Kriegsdrama doch einzig um Macht." Die Übersetzung von Jens Roselt tue "ihr Bestes für eine moderne, lockere Ausstrahlung", doch Christian Stückl und sein Team setzten "auf die altbewährte Passionsspielsprache: traditionell und symbolträchtig. Ihr Theater fasst nun mal viel Pathos."

Stückl forme seine Darsteller "liebevoll zu teils grellen Figuren", schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (16.7.2012). Doch "so plastisch und voll mit Leben Stückl vieles gelingt, einem unmittelbar packendem Erlebnis steht die immer wieder epische Struktur des Stücks im Weg." Stückl wolle diese "gar nicht verleugnen, baut arabische und lateinische Chöre ein, wie ihm überhaupt Markus Zwink einen zwischen Hollywood-Cinemascope und orientalisierenden Arabesken changierenden Soundtrack komponiert hat, effektvoller Hintergrund für die Massenszenen". Wenig dezent erscheint Tholl die Textfassung: "Die ist merkwürdig. Einerseits fast streng gebunden im Rhythmus, andererseits völlig irrsinnig in der Wortwahl."

"Antonius und Cleopatra" liefere "für die Oberammergauer Breitwandbühne zumindest Steilvorlagen für das, was Regisseur Christian Stückl wirklich gut kann: Arrangement und Bewegung von Massen", meint Sven Ricklefs auf Deutschlandfunk (15.7.2012). "Dabei entstehen immer wieder beeindruckende Bilder, die fast wie Gemälde wirken oder Szenen, in denen mit wenigen Mitteln ganze Schlachten geschlagen werden." Es sei "dieses Talent fürs große Ganze, das Stückls Arbeiten in Oberammergau auszeichnet, und auch wenn man von den Laiendarstellern auch weiterhin nicht ein vollkommen ausdifferenziertes Rollenporträt oder eine spezifische Rolleninterpretation erwarten kann, so zeigt doch diese Shakespeareproduktion, wie professionell dieses Laientheater inzwischen geworden ist."

Für die "dämlichen Hollywoood-Blondperücken und lächerlichen Ägypten-Posen" der Chorsängerinnen müsse "man den Regisseur leider abstrafen", meint Gabriella Lorenz in der Münchner Abendzeitung (16.7.2012). "Aber man muss ihn loben dafür, wie er eine Seeschlacht mit Schiffsmodellen und Pyrotechnik inszeniert, ohne dass sich die Gegner berühren: das ist toll." Wenn jedoch "der hohe Bibel-Ton" fehle, höre man "schnell die Sprach-Defizite der Laien-Darsteller. Stückls Massen-Choreografie der 200 Mitspieler ist vor allem in den überlangen zwei Stunden vor der Pause sehr statisch – die Soldaten stehen halt langweilig rum. Erst im zweiten Teil kommt etwas Dynamik rein, da wird das Rumstehen dann auch mal zum Tableau vivant einer Schlacht."

 

mehr nachtkritiken