Politische Rhetorik im Körper

von Christian Rakow

Berlin, 14. August 2012. Wie tanzt man eine düstere Zukunft? Lisbeth Gruwez tritt im weißen, kragenhoch zugeknöpften Hemd, in Bundfaltenhose und schwarzen Lackschuhen in den leeren dunklen Raum des Berliner Podewil. Ihr schwarzes Haar ist streng zurückgegelt. Eine androgyne Erscheinung, irgendwo zwischen Reichspropagandaminister und Androide. Mit kurzer, spitzer Bewegung hebt sie die gestreckte Handfläche wie zum römischen Gruß und lässt die Geste abrupt abreißen. Kantig testet sie weitere Körperzeichen an, Fragmente politischer Posen. Wieder und wieder.

Rhythmisierende Klavierklänge schleichen sich herein, darunter liegt ein blechernes Rauschen, eine Konserve aus dicht gemischten, unverständlichen Worthülsen. Es sind Reden des ultrakonservativen amerikanischen TV-Predigers Jimmy Swaggart, die Sounddesigner Maarten Van Cauwenberghe für Gruwez gesampelt hat und die jetzt wie vom DJ gescratcht den Klangraum der Choreographie bilden. Im zweiten Teil des Abends werden die Worte deutlicher vernehmbar.

Aufs Minimum reduziert

Mit sagenhafter Präzision geht die Antwerpenerin Lisbeth Gruwez in ihrer fünfundfünfzigminütigen Soloperformance "It's going to get worse…" dem physischen Erleben religiös-politischer Rhetorik auf den Grund.280 lisbethgruwez lud depreitere uLisbeth Gruwez © Lud Depreitere

Ihre Propagandagebärden werden mit der Zeit definierter, aber nie ausladend. Stets bleiben sie akzentuiert, aufs Minimum reduziert. Mit kurzem Zucken begleitet Gruwez bald einzelne Kernworte der apokalyptischen Agitation von Swaggart: "We" – "Must" – "All". Es sind Trommelschläge der Massenbewegungen. Die Botschaft "We have not made any advancement at all" schält sich schließlich heraus und eben auch das titelgebende Diktum: "It's going to get worse and worse and worse, my friend".

Wenn sich im abschließenden dritten Teil diese Tonspur wieder im hallenden Untergrund verliert, so als hörte man den Prediger aus der Kanalisation sprechen, dann bleibt nurmehr die in kalter Trance zuckende Performerin zurück, wie eine anämische Kassandra, die uns einen beklemmenden Einblick in eine Zukunft abseits des demokratischen Diskurses gewährte, wo Hypnose an die Stelle der politischen Vernunft tritt.

Über bilaterale Beziehungen

Weniger in eine beklemmende, aber doch wohl in eine ungewisse Zukunft blickt derzeit das große Berliner Festival "Tanz im August", auf dem wir uns an diesem Abend mit Gruwez befinden. Durch den Leitungswechsel am HAU von Matthias Lilienthal zu Annemie Vanackere scheiden nicht nur drei der bisher fünf KuratorInnen aus, sondern die Verantwortlichkeiten stehen grundsätzlich zur Disposition. Ob das Festival wie bisher von HAU und Tanzwerkstatt gemeinsam getragen wird, muss neu verhandelt werden.

Der kalte, packende Tanz von Lisbeth Gruwez erhielt an diesem Abend übrigens noch eine Art Satyrspiel. "Translation Included" von der Nachwuchschoreographin Lee Meir nimmt sich die ebenso alltäglich partnerschaftliche wie für bilaterale Verhältnisse zwischen Staaten taugliche Frage "Is it working between us?" zum Anlass für eine humoreske fünfzehnminütige Tanzstudie. Mit einer lockeren Meinst-du-mich-Handgeste eröffnet Meir ihre Performance, verheddert und verknotet sich bald in ihren Gesten und liegt irgendwann wie eine knorrige Korkenzieherweide auf dem leeren Bühnenboden. Eine exzentrische, charmante Fingerübung als kleine Reprise auf einen Abend, der mit Gruwez berückend intensiv ins Weite strebte.

It's going to get worse and worse and worse, my friend
Konzept, Choreografie, Tanz: Lisbeth Gruwez, Komposition, Sounddesign, Assistenz: Maarten Van Cauwenberghe, Stylistin: Veronique Branquinho, Künstlerische Beratung: Bart Meuleman, Lichtdesign: Harry Col.
Produktion: Voetvolk VZW, Koproduktion: Grand Theater Groningen, Troubleyn / Jan Fabre Antwerpen, Theater im Pumpenhaus Münster, AndWhatBeside(s)Death › Unterstützt von: Provincie West-Vlaanderen, Provincie Antwerpen, Vlaamse Gemeenschap.

Translation Included (DEA)
Konzept, Performance: Lee Meir Produktion: Lee Meir, gefördert von: HZT Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin, The Suzanne Dellal Centre Tel Aviv.

www.tanzimaugust.de

 

Kritikenrundschau

Annett Jaensch beschreibt für die tageszeitung (16.8.2012), wie sich Lisbeth Gruwez in ihrer Arbeit auf "ein körperliches Abenteuer" begibt und damit in Berlin sogleich "Begeisterung und Beklemmung" produzierte: "Gruwez' Tanzpartner ist die Sprache selbst, ein ziemlich despotischer sogar." Sie übersetze Jimmy Swaggarts "agitatorische Rhetorik in Bewegungsvokabular. Wenn ihr Arm die Luft im Sekundentakt zerhackt, rasseln die Argumente wie Fallbeile herunter." Mit zunehmender Dauer werde der "Beschwörungskatalog eines fanatischen Predigers" deutlicher vernehmbar, der Ton "herrischer". Gruwez' "perfekte Körperkontrolle gerät zur Entgleisung. Mechanisch pumpt der Oberkörper. Wie ein Marathonläufer quält sie sich ins Ziel. Demagogie ist Schwerstarbeit."

Demgegenüber zeigt sich Michaela Schlagenwerth in einem Festivalbericht für die Berliner Zeitung und die Frankfurter Rundschau (16.8.2012) "ratlos" gegenüber "dieser sehr eindimensionalen Performance" von Lisbeth Gruwez. Die Künstlerin habe "zwar eine ordentlich durchchoreografierte Arbeit vorgeführt, und sie selbst, auch das steht außer Frage, ist eine starke Performerin." Jedoch: Wer Reden wie die des TV-Predigers Swaggart "mit fanatischem Gesichtsausdruck kommentiert, mit scharfen, zackigen Gesten, mit entsprechend soldatisch-bürokratischem Kostüm, kann der Sache schlicht nicht beikommen." Verpasst worden sei ein "Kippen in ganz andere Sphären, ins Komische, Groteske, Träumerisch-Fantastische". Gern "bezaubern" ließ sich die Kritikerin dagegen anschließend von Lee Meirs kurzem Tanz-Solo.

 

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