Kinder unserer Kultur

13. September 2012. "Anne Lepper lebt wieder in Wuppertal und will da nicht weg. Warum sollte denn woanders, etwa in Berlin, mehr Leben sein?", schreibt Peter Michalzik in der Zeit über die Dramatikerin, die jüngst völlig zu Recht zur Nachwuchskünstlerin des Jahres gewählt wurde, und die anspielungsreich schreibe, aber alles andere als geschwätzig, mit knappen Dialogen und Figuren, die nicht wissen, dass sie mit Zitaten um sich werfen. 

"So eine Schriftstellerin hat es lange nicht gegeben. So störrisch, so eigenwillig, so talentiert", so Michalzik über die Dramatikerin, die er zum Gespräch getroffen hat und nach zwei Stunden dennoch nicht wusste: "Sagt sie Dinge, die man als Reporter hören will? Oder Dinge, von denen sie denkt, dass die Medien sie nicht hören wollen? Später, nach zwei Stunden, meint sie: 'Das wird ja jetzt ein richtiges Gespräch. Das möchte ich nicht.'‘ Das glaubt man ihr gern. Und sie hat ja auch recht: Warum sollte sie sich für die Öffentlichkeit entblößen? Am Ende sagt sie: ‚Aber Sie schreiben ja ohnehin, was Sie wollen.'"

Den Kindern in ihrem Stück "Seymour oder ich bin nur aus Versehen hier" drängt ebenso Subtext aus ihrem Mund, "als müsste er sich durch die Kinder einen Weg nach draußen suchen. Sie sind die Sprecher der Kultur, die sie gemacht hat, und alles, was sie sagen, kommt woanders her. Bei Seymour reicht der Zitatenschatz von Struwwelpeter bis Slavoj Žižek, von Ernst Jünger bis zu Spielbergs E.T." Und das Berg-Sanatorium, in dem sie abgegeben sind, entstammt der Moderne des letzten Jahrhunderts: Sartres geschlossene Gesellschaften, Manns Zauberberg, Thomas Bernhards Feste mit Behinderten, Becketts Ausweglosigkeiten – all das existiert hier weiter.

Dass es ohne Wünsche, Träume, Illusionen nicht geht, auch wenn man weiß, dass sie nie wahr werden, das sei Leppers Thema. Die Familie Hermann in "Käthe Hermann" träumt davon, ein Teil der Gesellschaft zu sein, aber alles, was sie von der Gesellschaft kennt, ist das, was im Fernsehen kommt.

"Beschränkte Existenzen gab es im Theater schon viele. Die, über die Lepper schreibt, unterscheiden sich von den Vorgängern durch die Heftigkeit und Aussichtslosigkeit ihres Glücksverlangens. Je hoffnungsloser der Fall, desto maßloser melden sich die Wünsche. 'Desire is a wound of reality', heißt es bei Slavoj Žižek. In Anne Leppers Stück Seymour taucht der Satz wieder auf."

 

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